Sulzbach-Rosenberg
19.09.2024 - 17:19 Uhr

Von der Macht der Mütter: Katja Lange-Müller stellt Roman "Unser Ole" im Literaturhaus Oberpfalz vor

Der Buchdeckel ist zugeklappt, die Fantasie rattert auf Hochtouren: Der Roman "Unser Ole“ nimmt gefangen ohne Wohlfühl-Lektüre zu sein. Im Literaturhaus Oberpfalz erzählt Katja Lange-Müller mehr zur neuen Geschichte und deren Hintergrund.

Vordergründig kreist der erst vor wenigen Tagen erschienene Roman von Katja Lange-Müller, mit dem sie am Dienstag, 24. September nach Sulzbach-Rosenberg kommt, um drei Frauen, die ihre Existenz am Rande der Gesellschaft fristen. Immerhin gibt es ein Haus am Wald, das als lokaler Dreh- und Angelpunkt fungiert. Dort kriecht Westfrau Ida, eine „Pionierin der Silikonbrüste“, deren Reize nicht mehr ausreichen, sich von Männern aushalten zu lassen, bei Ostfrau Elvira, einer Zufallsbekanntschaft, unter.

Das für beide halbwegs akzeptable Arrangement gerät unter Druck als Elvira plötzlich stirbt und deren Tochter Manuela ihren Auftritt als Erbin hat, was für Ida viele Ungewissheiten aufwirft und sie in eine unterwürfige Position zwingt.

Was Katja Lange-Müllers Protagonistinnen-Trio eint, ist das Abarbeiten am lieblosen und gestörten Verhältnis zur jeweiligen Mutter. „Das ist das verbindende Element“, bestätigt Katja Lange-Müller im Telefoninterview, um dann gleich einzuschränken: „Die Frauen fühlen sich dadurch aber nicht verbunden, sie sind Sozial-Autistinnen“. Dass eine solche Bindungsschwäche einsam macht und nur sehr schwer zu überwinden ist, hat die Schriftstellerin oft genug beobachtet. Wie generell die Macht der Mütter und die fatalen Seiten dieser Macht.

Die inneren Stimmen

Die von Katja Lange-Müller sorgsam gewählte Sprache erfüllt auch in diesem Fall wieder eine Funktion: „Ich kenne solche älteren Frauen, ich höre solche Frauen und habe ihre inneren Stimmen meiner inneren Stimme abgelauscht“. Dass dieses Innere nicht ganz dem entspricht, was die drei Frauen sagen, eröffne eine Lücke, in der wiederum eine ganz spezielle Verlogenheit stecke.

Da ist aber auch noch Ole, Manuelas autistischer und von Großmutter Elvira aufgezogener Sohn. „Ole ist der Elefant im Raum“, so Katja Lange-Müller. Und er ist der stille Held der Novelle, der für einen überraschenden und lange nachhallenden Schlusspunkt sorgt, der die eigene Fantasie zum Ausmalen diverser Szenarien lockt. „Ich wollte, dass die Leser genau in dieser Situation sind“, sagt die Schriftstellerin, „ich konnte die Geschichte nicht schließen, denn dann verlöre sie etwas von ihrer Nachhaltigkeit“.

Oles rätselhaftes und spurloses Verschwinden führt Ida und Manuela ihre erschütternde Lieblosigkeit ihm gegenüber – zu spät – vor Augen. Der Verdacht, den sie im Zusammenhang mit Elviras Tod gegen ihn hegen, reicht nun als Begründung für diese Herzlosigkeit nicht mehr aus, Oles Funktion als Sündenbock für die eigenen Defizite tritt überdeutlich zu Tage. Die Wendung schweißt die beiden jedoch zusammen, wenn auch nicht auf Augenhöhe: „Man hofft und bangt doch lieber mit Ida, der anderen alten Schachtel“, so die Schriftstellerin.

Untertauchen in der Großstadt

Ihrem Titelhelden würde sie im übrigen wünschen, dass er geschafft hat, in der Großstadt unterzutauchen: „Hier in Berlin sieht man so viele seiner oder ähnlicher Art“. Die Inspiration zum Buch generell und zur Figur Ole im Besonderen kam während des Corona-Lockdowns, als Katja Lange-Müller beobachtete, wie ein solcher „Bär“ immer abends auf einen Spielplatz tapste und sich auf die Ecke einer Bank setzte. Ihre Erfahrung aus der Arbeit in der Psychatrie und der dortigen Begegnung mit intellektuell beeinträchtigten Kindern, deren Eltern und insbesondere deren Großmüttern unterfütterten den Plot zusätzlich: „Es geht mir auch um Fragen, die mich schon mein Leben lang beschäftigen“.

Wenn der kreative Part dann abgeschlossen ist, das Buch aber noch nicht in den Läden steht, bricht für Katja Lange-Müller eine „komische Zwischenzeit“ an, in der sie nicht mit etwas Neuem anfangen könne. Stattdessen wartet sie auf die ersten Reaktionen. Im Falle des neuen Romans sei sie erstaunt gewesen, wie positiv das Buch aufgenommen wurde, schließlich seien die Frauen ja keine Herzensbrecherinnen und Ole auch kein wahrer Sympathieträger.

Grübeln und Schmunzeln

Und doch bewegen alle vier Figuren die Leser, bringen sie ins Grübeln und immer wieder zum Schmunzeln. Bei der Lesung im Literaturhaus Oberpfalz, moderiert von Thomas Geiger, dem Katja Lange-Müller „herzlich zugetan“ ist, kommt vielleicht auch noch ein besonderer Coup der Schriftstellerin zur Sprache: Der so schön formulierte Einstieg „Diese Geschichte ist nicht erfunden, schon gar nicht frei“ sei natürlich Fake: „Ein Spiel mit der von vielen Seiten geforderten Autofiktion“. Darauf anschließend einen „genialen Schweinsbraten in Biersoße mit selbst gemachten Klößen“, wie beim letzten Besuch 2017.

HINTERGRUND:

Zu Person, Buch und Lesung

  • Katja Lange-Müller, Schriftstellerin, 73, geboren in Ostberlin, vielfach ausgezeichnet u.a. mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis 1986, dem Alfred-Döblin-Preis 1995, dem Wilhelm-Raabe-Preis 2008 und dem Günter-Grass-Preis 2017, zuletzt vor 7 Jahren zu Gast im Literaturhaus Oberpfalz mit dem Roman "Drehtür". Katja Lange-Müller lebt in Berlin und im Aargau/Schweiz.
  • Unser Ole, von Katja Lange-Müller, Roman, 240 Seiten, gebunden, erschienen am 5. September im Verlag Kiepenheuer & Witsch, 24 Euro
  • Lesung und Gespräch mit Katja Lange-Müller am Dienstag, 24. September um 19 Uhr im Literaturhaus Oberpfalz, Moderation Thomas Geiger, Tickets unter www.nt-ticket.de
 
Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Zum Fortsetzen bitte

Sie sind bereits eingeloggt.

Um diesen Artikel lesen zu können, benötigen Sie ein OnetzPlus- oder E-Paper-Abo.