Margot Käßmann und ein Buch über Freundschaft: "Niemand muss einsam sein"

Sulzbach-Rosenberg
25.08.2022 - 17:15 Uhr
OnetzPlus

Wie Freunde durchs Leben tragen, beschreibt Theologin Margot Käßmann in ihrem Buch, das sie am 27. September in Sulzbach-Rosenberg vorstellt. Im Interview erklärt sie auch, warum es nie zu spät ist, neue Freundschaften zu schließen.

Theologin und Autorin Margot Käßmann

ONETZ: Frau Käßmann, wo erreiche ich Sie gerade?

Margot Käßmann: Mit meinem Partner mache ich gerade eine Radtour in Polen, durch Masuren. Das habe ich mir schon lange gewünscht, seit ich das Buch "Namen, die keiner mehr nennt" von Marion Gräfin Dönhoff gelesen habe.

ONETZ: Wie groß ist bei Ihnen das Durchatmen nach zwei Jahren, in den gerade und vor allem auch zwischenmenschlichen Beziehungen eingeschränkt waren?

Ich bin einfach sehr, sehr dankbar, Familie und Freunde wieder frei treffen zu dürfen. Dabei bleibe ich vorsichtig. Alle meine Töchter samt Familien sind inzwischen an Corona erkrankt gewesen, ich erstaunlicherweise noch immer nicht.

ONETZ: Ihr Buch ist vor der Pandemie entstanden und plädiert für echte Begegnungen im wirklichen Leben. Haben Ihre Corona-Erfahrungen die Waagschale ein wenig mehr in Richtung digitaler Austausch geneigt?

Nicht wirklich. Natürlich bin ich froh und dankbar, dass wir während der Pandemie digital kommunzieren konnten, auch als Kirchen. Aber es geht nichts über reale Begegnung, über Gespräche face to face.

ONETZ: Freunde finden, Vertrauen schenken und aufgeschlossen bleiben: Das war schon vor Corona keine immer leichte Übung. Wie kann so etwas in so vielfältig schwierigen Zeiten wie heute überhaupt noch gelingen?

Im Buch habe ich eine Statistik zitiert, die besagt, dass es 200 gemeinsam verbrachte Stunden braucht, um wirklich beste Freundinnen oder Freunde zu werden. Das zeigt: Vertrauen entsteht durch gemeinsame Zeit. Und dafür sollten wir uns Zeit nehmen. Am Ende sind doch familiäre und freundschaftliche Beziehungen das wichtigste im Leben. Sie halten uns und geben uns Halt. Sie sind nicht käuflich, sondern unbezahlbar.

ONETZ: Welchen Mutmacher-Satz geben Sie all denen mit auf den Weg, die beim Blick auf die aktuellen Nachrichten nur noch verzweifeln?

Bei meinem Rücktritt vor mehr als zwölf Jahren habe ich Arno Pötzsch zitiert: "Du kannst nie tiefer fallen als in Gottes Hand." Das finde ich auch heute ermutigend.

ONETZ: Wie sehr rütteln der brutale Angriffskrieg Russlands und das dadurch entstandene Leid der Ukrainerinnen und Ukrainer an ihren pazifistischen Grundfesten?

Für mich ist unfassbar, dass es in Europa noch einmal einen derart brutalen Angriffskrieg gibt, um Territorium zu erobern! Hier in Masuren gibt es Geschichte auf Schritt und Tritt. Mal waren die Russen, mal die Polen, mal die Deutschen, mal die Schweden Herrscher. Wie unsinnig ist das! Ich wünsche mir ein Europa, in dem es nicht wichtig ist, wer die Macht hat. Nehmen wir Elsaß-Lothringen – es ist französisch, aber auch deutsch, doch vor allem friedlich! Ich habe als Pazifistin immer wieder argumentieren müssen, wenn es hieß: Jetzt helfen nur noch Waffen. Doch ich bleibe dabei – auch wenn es manchmal schwer fällt – mehr Waffen führen zu mehr Leid. Nur Waffenstillstand führt zu Frieden.

ONETZ: Freundschaft in Form von Gastfreundschaft ist ja auch ein gutes Stichwort in Sachen ukrainische Flüchtlinge: Wie beurteilen die aktuelle Stimmung, auch im Vergleich zur Flüchtlingswelle 2015?

Es ist gut, dass Frauen und Kinder aus der Ukraine so hilfsbereit aufgenommen werden. Aber manchmal ich sehe auch den Schmerz der Geflüchteten aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Sie durften sich nicht aufhalten, wo sie wollten. Auch nach sieben Jahren erhalten sie keine gesicherte Aufenthaltsgenehmigung geschweige denn eine Arbeitserlaubnis. Von kostenfreien Bahnreisen ganz zu schweigen. Es ist bitter, dass wir Geflüchtete derart unterschiedlich behandeln.

ONETZ: Und zum Schluss angelehnt an Rainer Maria Rilkes "Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr": Wer jetzt keine Freunde hat, findet keine mehr?

Oh nein, das sehe ich anders! Wir können immer wieder neue Freundschaften schließen. Indem wir uns für andere interessieren, auf sie zugehen, rausgehen aus unserer Komfortzone hinein in das Miteinander im Leben. Freundschaft neu begründen, das ist auch im Alter noch möglich. Da bin ich ganz zuversichtlich: Niemand muss einsam sein!

Hintergrund:

Zu Person, Buch und Lesung

  • Margot Käßmann, Prof. Dr. theolog., Dr. h.c., Jahrgang 1958, evangelisch-lutherische Theologin und Pfarrerin, 1999 bis 2010 Bischöfin der evangelischen Landeskirche Hannover, 2009-2010 Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, seit 2018 in Ruhestand. Margot Käßmann ist Mutter von vier erwachsenen Töchtern und siebenfache Großmutter.
  • Freundschaft, die uns im Leben trägt, 192 Seiten, mit Zeichnungen von Sarah Wiesner, Taschenbuch, bene! Verlag, 12 Euro
  • Lesung am Dienstag, 27. September, 19 Uhr, Evangelische Christuskirche Sulzbach-Rosenberg, Tickets bei der Buchhandlung Dorner, Tel. 09661/9069965 oder Mail an info[at]buch-dorner[dot]de
 
 

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