Sulzbach-Rosenberg
11.05.2023 - 09:47 Uhr

Sulzbach-Rosenberg-Premiere für Schriftstellerin Anna Kim

Eine vor Rassismus nur so strotzende Akte steht im Mittelpunkt des Romans „Geschichte eines Kindes“. Wie Anna Kim die wahre Tragödie aus den USA der 1950er-Jahre mit der Gegenwart verbunden hat, präsentiert sie im Literaturhaus Oberpfalz.

Daniel Truttman wird von seiner gerade der Kindheit entwachsenen, weißen Mutter zur Adoption freigegeben. Den mutmaßlich schwarzen Vater will sie jedoch unter keinen Umständen nennen. Das wiederum ruft eine übergriffige Sozialarbeiterin auf den Plan, deren berufliche Wurzeln von Rassetheorien geprägt sind. Am Ende entpuppt sich vielleicht "gut gemeint" als tatsächlich "schlecht gemacht". Befragt, ob mehr Menschenverstand und weniger Ideologie das Drama hätten verhindern können, schreibt Anna Kim auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien: "Es ist die Frage, inwieweit Ideologie und Menschenverstand von einander zu trennen sind… Grundsätzlich würde ich sagen, ja, es erfordert aber auch sehr viel Mut – Mut, das System zu hinterfragen, Mut, gegen das bestehende System zu agieren, falls es am Unrecht schuldig ist". Schon beim Lesen der echten Fallakte sei sie fasziniert gewesen - "erschüttert und fasziniert". Und da sie schon seit vielen Jahren das Thema ethnische Herkunft bzw. Rassismus in einem längeren Text behandeln wollte, habe sie sozusagen sofort zugegriffen. Aber warum ist dem so ewigen wie finsteren Thema "Rasse" bis heute eigentlich nicht beizukommen? "Der Rassismus in den USA ist für uns in Europa auch deshalb so interessant, weil er zeigt, was nicht geschehen darf: Da steht an erster Linie die Verknüpfung von ethnischer Herkunft mit Klasse bzw. allgemeiner gesagt, Einkommen. Und Geld ist, wie wir wissen, Macht", so Anna Kim.

Sprache ist Thema Nummer Eins

Angesichts der blanken rassistischen Formulierungen des Sozialdienst-Dokuments ist Leserinnen und Lesern ein dickes Fell angeraten, vom geradezu penetranten Auftauchen des N-Wortes gar nicht erst zu reden. Insofern wundert es wenig, dass die Sprache dieser Akte auch Thema Nummer eins der Reaktionen ist, die Anna Kim seit Veröffentlichung des Buches erreichen. In dieser Hinsicht missverstanden zu werden, fürchtet Anna Kim im übrigen nicht: "Die Dummheit und Grausamkeit der Berichte entlarven sich doch selbst". Im Vorwort findet sich darüber hinaus der Hinweis, sie habe versucht, dem respektvollen Umgang mit dem kostbaren Geschenk dieser wahren Begebenheit, der Kindheit eines Menschen, gerecht zu werden, indem sie die Vergangenheit unverändert, unbeschönigt dargestellt habe, gerade, was ihren Wortschatz betreffe. Zu dem in letzter Zeit in diesem Zusammenhang immer wieder auftauchenden Thema sprachlicher "Anpassungen", Stichwort Winnetou und Co., hat Anna Kim eine klare Auffassung: "Als Autorin kommen für mich solche "Anpassungen" nur dann in Frage, wenn sie mit den jeweiligen Autorinnen und Autoren abgesprochen wurden, im Idealfall führen sie diese Korrekturen selbst durch. Denn das eigenmächtige Umschreiben eines Werkes ist ein schwerer Eingriff in die künstlerische Autonomie". Sie begrüße es aber sehr, dass über Änderungsmöglichkeiten gesprochen wird, dass es leidenschaftliche Diskussionen gibt, über Sprache und hoffentlich auch über die Rolle der Gesellschaft und Wirtschaft.

Zum Abschluss verrät sie noch mit Lachen, dass sie das anstehende Reiseziel Sulzbach-Rosenberg erst einmal googeln musste. Im Literaturhaus Oberpfalz angekommen, wird es Moderator Thomas Geiger und Anna Kim aber sicher nicht an Gesprächsstoff mangeln.

Hintergrund:

Zu Person, Buch, Lesung

  • Anna Kim, Schrifstellerin, geboren 1977 in Südkorea, zog 1979 mit ihrer Familie nach Deutschland, ausgezeichnet u.a. mit dem Literaturpreis der Europäischen Union, ihr Roman "Geschichte eines Kindes" stand auf der Longlist zum Buchpreis 2022, auf der Shortlist des Österreichischen Buchpreises und Platz 1 der SWR-Bestenliste. Anna Kim lebt in Wien.
  • Geschichte eines Kindes, Roman, 220 Seiten, Hardcover, Suhrkamp Verlag, 23 Euro
  • Lesung und Gespräch am Dienstag, 16. Mai um 19 Uhr im Literaturhaus Oberpfalz, Moderation Thomas Geiger, Tickets unter Tel. 09661/8159590 oder info[at]literaturarchiv[dot]de
 
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