Sulzbach-Rosenberg
04.05.2022 - 12:45 Uhr

Vater-Sohn-Geschichte im Spannungsfeld von Krieg und Schuld

Als Bundespräsident ist Richard von Weizsäcker in Erinnerung, als Mit-Verteidiger des Vaters bei den Nürnberger Prozessen weniger. Schriftsteller Fridolin Schley erzählt mehr davon als Gast im Literaturhaus Oberpfalz.

Schriftsteller Fridolin Schley liest aus seinem Roman "Die Verteidigung". Bild: Isolde Ohlbaum/exb
Schriftsteller Fridolin Schley liest aus seinem Roman "Die Verteidigung".

Die einzigartige Vater-Sohn-Konstellation war für Fridolin Schley zunächst ein Zufallsfund, erzählt er im schriftlichen geführten Interview: "Die berühmte Fotografie, die jetzt auch auf dem Cover zu sehen ist, sprang mich förmlich an. So viel schien mir darin verdichtet zu sein, auf der gesellschaftspolitischen Ebene ebenso wie auf der privat-familiären."

Das Ineinandergreifen dieser beiden Ebenen empfand er als literarisches Geschenk. Dass es noch nie künstlerisch bearbeitet worden war, erst recht. Weil er zunächst aber nicht die richtige Form dafür fand, blieb der Stoff lange liegen. "Vor drei Jahren ploppte er dann fast wie aus dem Nichts wieder in mir auf - und plötzlich wusste ich, wie ich es angehen muss. So etwas ist mir vorher auch noch nie passiert."

Bisher kein Kontakt mit der Familie

Mit der Familie von Weizsäcker gab es noch keinen direkten Austausch, Überlegungen in diese Richtung schon. Weil er aber den Eindruck vermeiden wollte, über persönlichen Kontakt noch irgendetwas Besonderes aus dieser Geschichte herauszukitzeln, entschied er sich dagegen. Zudem lag ihm daran, sich nicht befangen zu machen oder auf der anderen Seite falsche Ängste oder Erwartungen zu wecken. "Als das Buch dann erschienen ist und gut aufgenommen wurde, dachte ich, vielleicht ergibt sich jetzt ein Gespräch. Gerade weil es eben keine Abrechnung ist, sondern Ambivalenzen gelten lässt." Aber das sei bisher noch nicht der Fall gewesen.

Das Thema Kriegsverbrechen und Mitschuld liefert natürlich auch das Stichwort für einen Vergleich zum Ukraine-Krieg und die Frage nach der Wiederholung der Geschichte: "Ich glaube, wir müssen mit der Schwierigkeit leben, dass gewissermaßen beides zugleich zutrifft: Bei aller Ähnlichkeit ist alles anders. Mit Analogien zum Zweiten Weltkrieg bin ich enorm vorsichtig, sie werden inzwischen viel zu schnell bemüht."

Verantwortung gegenüber der Ukraine

Im Buch-Projekt ging es ihm vor allem um spezielle Schuldphänomene auf der Schnittmenge von gesellschaftlicher und persönlicher Ebene. Um das einigermaßen durchdringen zu können, habe er jedoch viel Abstand, Recherche und historisches Wissen gebraucht. All das fehle ihm noch im Bezug auf den Krieg in der Ukraine.

Schley würde sich daher eher auf zwei Aspekte aus der Makroperspektive konzentrieren: „Zum einen sollten für mich sämtliche Fehler, die der Westen möglicherweise im Umgang mit Russland gemacht hat, nicht mit der Kriegsschuld des Angreifers abgewogen werden; der Begriff ‘Mitschuld‘ ist hier zu undifferenziert. Und zum zweiten trifft uns Deutsche eine besondere Verantwortung gegenüber der Ukraine, wo unsere Vorfahren vor gerade einmal 80 Jahren verheerend gewütet haben. In dieser Schuld stehen wir.“

Hintergrund:

Fridolin Schley zu Gast in Sulzbach-Rosenberg

  • Zur Person: Fridolin Schley, 1976 in München geboren
  • Zum Buch: "Die Verteidigung", 272 Seiten, gebunden, Hanser Berlin, 24 Euro; 2021 von der Stadt München mit dem Tukan-Preis ausgezeichnet
  • Zur Lesung: Donnerstag, 5. Mai, 19 Uhr, Literaturhaus Oberpfalz, Moderation Katharina Erlenwein, Reservierung und Info unter info[at]literaturarchiv[dot]de oder 09661/8 15 95 90
 
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