Bereits beim Schreiben von „Ein Weißes Land“, erschienen 2011, habe er geahnt, dass der Stoff zu gewaltig für einen Roman mit sinnvoller Länge ist, erzählt Sherko Fatah auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien. Es sind nun drei Bücher geworden, mit dem letzten der Reihe feiert er beim Sommerfest im Literaturhaus Oberpfalz Vorpremiere. „Die Verbindung liegt vor allem in der Chronologie und dem Auftauchen jeweils einzelner Figuren. Sie ist also sehr locker, es gibt keine Cliffhanger, jeder Roman ist ohne weiteres einzeln lesbar und abgeschlossen“, so der Schriftsteller.
Zeitlich gesehen deckt die Trilogie hundert Jahre Nahost-Geschichte ab: „Dieser lange und weiterhin andauernde Konflikt hat das Leben meiner Familie väterlicherseits und vieler anderer Menschen so sehr geprägt, dass ich als Autor von Romanen irgendwann beinahe zwangsläufig über die Ursprünge dieser Gegebenheiten nachdachte. Das entwickelte sich für mich zu einer Reise zurück an den Anfang des stürmischen und zum Teil auch schrecklichen zwanzigsten Jahrhunderts.“
Im Mittelpunkt des mit „Der große Wunsch“ betitelten Finales steht ein aus Syrien stammender Vater, der sich von Berlin aus auf den Weg ins Kurdengebiet an der türkisch-syrischen gemacht hat. Das Ziel: Seine gerade erwachsen gewordene Tochter aus den Fängen eines islamistischen Gotteskriegers zu befreien und nach Deutschland zurückzuholen.
Vom Gefühl, einen Menschen zu früh aufgegeben zu haben
Diese spezielle Form eines Terror-Tourismus sei zwar aktuell weitgehend zum Erliegen gekommen, so Fatah: „ Aber es bleibt das Rätsel der Sogkraft jenes sogenannten Islamischen Staates auf junge Leute auch aus dem Westen. Der Roman handelt auch davon. Vor allem aber erzählt er die Geschichte der nachgetragenen Liebe eines Vaters zu seiner Tochter, vom Gefühl, einen Menschen zu früh aufgegeben und verloren zu haben, und von der mühsamen verspäteten Suche nach ihm, die auch eine Suche nach dem Vergangenen darstellt. Es ist ein kühler, aber nicht distanzierter Roman über die Liebe.“
Und auch wenn das Thema Islamischer Staat durch Pandemie und Ukraine-Krieg weitgehend aus den Nachrichten verdrängt wurde, ist es nach Fatahs Einschätzung nach wie vor virulent: „Die Gotteskrieger sind zurückgedrängt, aber natürlich nicht einfach verschwunden. Der Dschihadismus stellt nach meiner Einschätzung neben dem globalen Autoritarismus – Indien, Russland, China, um nur einige zu nennen – nach wie vor die größte Gefahr für den liberalen Westen dar. Beide gefährden ihn von innen und außen gleichermaßen.“
Als selbst erklärter Autor der Globalisierung und der globalen Migrationsbewegungen müsse er daher über den Tellerrand schauen: „Der Westen erscheint durch den Ukraine-Krieg im Moment stärker als er ist. Viele seiner Feinde aber finden sich auch unter seinen eigenen, politisch verwahrlosten Bewohnern ganz unterschiedlicher Couleur“, befindet der Schriftsteller, den insbesondere die Motive und die menschlichen Folgen aller möglichen Verstrickungen ins Politische beschäftigen.
Wunschberuf: Zauberer
Bei der kreativen Umsetzung einer Idee wird Sherko Fatah von dem sicheren Gefühl begleitet, dass alle Stoffe ihn finden. „Ich habe immer nur den Anfang im Kopf und vielleicht noch die blasse Vision eines Schlusses – der dann immer ganz anders wird. Beim Schreiben kann ich mich darauf verlassen, dass der Text mir nach und nach zu verstehen gibt, wohin er will. Das Ende überrascht mich dann oft selbst.“ Schriftsteller sei im Übrigen durchaus einer seiner Wunschberufe gewesen: „Ich wollte in genau dieser Reihenfolge Zauberer, Feuerwehrmann, Tierforscher und Schriftsteller werden.“
Was die Wirkung seines Schaffens angeht, hat er ebenfalls eine klare Auffassung: „Wir leben unter der Herrschaft der Über-Information, einer Schwester der Vergesslichkeit. Ein Roman zwingt uns zur Konzentration auf Einzelschicksale und ansonsten schnell vergessene menschliche Dramen.“ Literatur könne das aufbewahren und wiedererlebbar machen. Darin liege ihre Daseinsberechtigung: „Kein anderes Medium ist in diesem Maße dazu imstande, sonst wäre die Literatur längst verschwunden. Öffentlichkeit ist nie verkehrt, aber zweitrangig. Die Belletristik ist wie alle Kunst ein Minderheitenprojekt.“
Lesungen macht Sherko Fatah sehr gerne, nicht zuletzt weil er eine ausgeprägte Schwäche für kluge Menschen habe und bei solchen Veranstaltungen fast immer auf Neugier und Weltoffenheit sowie auf einen angenehmen Individualismus – Leserinnen und Leser seien per se individualistisch – treffe, der aber den Blick hinaus nicht verweigere.
Zu Person, Buch, Literatursommerfest
- Sherko Fatah, Schriftsteller, geboren 1964 in Ost-Berlin, aufgewachsen in der DDR, kam 1975 mit seiner Familie über Wien nach West-Berlin, Studium der Philosophie und Kunstgeschichte, Aspekte-Literaturpreis für "Im Grenzland", mehrfach für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, mit "Das dunkle Schiff" auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises 2008. Sherko Fatah lebt in Berlin.
- Der große Wunsch, 384 Seiten, Hardcover, erscheint am 30. August im Luchterhand Literaturverlag
- LiteraturSommerFest am Samstag, 15. Juli im Literaturhaus Oberpfalz: 16 Uhr Eröffnung der Sonderausstellung "Beim Zeichnen setzen sich die Sätze fort" zum künstlerischen Werk von Günter Grass, 17 Uhr Lesung Ulrike Anna Bleier aus ihrem Roman "Spukhafte Fernwirkung", 18 Uhr Präsentation Kabinettausstellung "Erschließung des Archivs des Literarischen Colloquiums Berlin" mit den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Nicole Fischer und Katharina Heigl, 19 Uhr Lesung Sherko Fatah aus "Der große Wunsch", musikalische Umrahmung Andreas Fischer (Gitarre), Tickets unter Tel. 09661/8159590 oder info[at]literaturarchiv[dot]de
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