Tirschenreuth
23.12.2022 - 09:25 Uhr

Heiligabend im Wandel der Zeit

Der Stadtheimatpfleger erzählt von Weihnachten als ganztägigem Fastentag und von frommen Wünschen vom Christkind.

Von Eberhard Polland

Wenn am Heiligabend das Christkind das Zeichen gibt, dass die Geschenke ausgepackt werden dürfen, strahlen wieder die Kinderaugen mit den Christbaumkerzen um die Wette. Daran hat sich nichts geändert, solange das Christkind die Geschenke verteilt. Die moderne Technik ist längst in die Kinderzimmer eingezogen und Schaukelpferde oder Puppenküchen aus Omas Zeiten sind nicht mehr gefragt. Heute stehen Handys, Laptops und technische Errungenschaften auf den Wunschzetteln, von denen die meisten Großeltern nicht wissen, dass es so etwas gibt. Fragen sie vorsichtig nach, erklären ihnen die Kleinen genervt, wie alles funktioniert. Wenn Opa etwas später beim gemeinsamen Abendessen erzählt, dass der Heiligabend früher einmal ein ganztägiger Fasttag war und es am Mittag "Dampfnudel mit Zwetschg´nbroi" gab, am Abend Salzheringe mit Kartoffeln, erntet er dafür ebenfalls nur ein müdes Lächeln. Die Veganer am Tisch essen mit Begeisterung ihre Riesenportion Tofu und der Rest stochert gelangweilt im Sauerkraut herum. Seitdem der Papa im Sommer mehrmals in der Woche den Grill anheizt und Bratwürste auflegt, sind sie am Heiligabend auch nicht mehr der große Hit. Die Supermärkte haben das schnell mitbekommen und bieten als Ersatz ein "Deluxe Entrecote vom Charolais Rind" oder das "Sansibar Deluxe Filet vom Merino Lamm" zum sagenhaften Schnäppchenpreis für nur 35 Euro pro Kilo an. Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag, dass der Heiligabend wieder so einmalig wird, wie er früher einmal war. Den inzwischen "pensionierten Nikolaus" Rudi Schmidt, der über 60 Jahre den Tirschenreuthern Kindern Gabensäckchen überreicht und ihnen ihre Schandtaten vorgelesen hat, fragte ich, wie er in seiner Kindheit den Heiligabend erlebte und was bei ihm unter dem Weihnachtsbaum lag. "Ach", sagte er, "ich bin mit meinen zwei Brüdern in der Ringstraße bei der Oma und der Tante aufgewachsen und war vielleicht glücklicher als viele andere Buben in der Stadt." Etwas gewünscht haben sich die drei nie. "Wir haben es jeden Tag am Leib gespürt, dass wenig Geld im Haus war. Trotzdem lag für jeden von uns immer etwas unter dem Christbaum." Als Rudi Schmidt 1953 sechs Jahre alt war, brachte ihm das Christkind einen Wintermantel. "Stolz ging ich noch in derselben Nacht in der verschneiten Ringstraße auf und ab und stellte freudig fest, dass ich ab nun nicht mehr frieren muss."

 
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