Tirschenreuth
05.04.2021 - 14:19 Uhr

Katholische Jugendfürsorge Tirschenreuth: Weiterhin für Familien erreichbar

Von einer gewissen "Erschöpfung" berichten die Berater: Veränderungen im sozialen Umfeld und in der Schule, dazu Probleme in den eigenen vier Wänden. Familien, die der Lockdown über Gebühr strapaziert, müssen aber nicht ohne Hilfe bleiben.

Im Screenshot zu sehen von oben links: Marion Neumann (Leitung), Katja Schmutzler (Psychologin), Beate Wiedemann (Sozialpädagogin), Isabella Oelschlegel (Psychologin), Martina Knirsch (Teamassistentin), Susanne Piller (Pädagogin) und Sophia Gleixner (Psychologin B.Sc.). Screenshot: KJF Tirschenreuth/exb
Im Screenshot zu sehen von oben links: Marion Neumann (Leitung), Katja Schmutzler (Psychologin), Beate Wiedemann (Sozialpädagogin), Isabella Oelschlegel (Psychologin), Martina Knirsch (Teamassistentin), Susanne Piller (Pädagogin) und Sophia Gleixner (Psychologin B.Sc.).

Die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern der Katholischen Jugendfürsorge (KJF) in Tirschenreuth hat ihre Leistungen seit dem ersten Lockdown 2020 der aktuellen Situation angepasst. "Die Angebote wurden in hohem Tempo flexibilisiert", heißt es in einer Mitteilung. Seit Beginn der Pandemie sei nach Wegen gesucht worden, um weiterhin für Familien erreichbar zu sein. "Dies ging nach der Entwicklung eines guten Hygienekonzeptes hauptsächlich durch persönliche Kontakte sowie verstärkt durch Video- und Telefonberatungen."

Für therapeutisches und beraterisches Arbeiten würden Aufenthalte im Garten und Spaziergänge genutzt. Während des ersten Lockdowns hätten Mitarbeiter eine Briefaktion für Kinder und Jugendliche initiiert. "In den Sommerferien, als viele Kommunen und Vereine ihre Ferienprogramme einstellen mussten, unterstützte das Team die Familien durch ein Ferienangebot in sehr kleinen Gruppen."

Die Tirschenreuther Beratungsstelle verzeichnete laut Angaben im ersten Lockdown vorübergehend einen leichten Rückgang der Anfragen. Seit Herbst 2020 steigen die Nachfragen stetig. Vor allem sind eine Verdoppelung der Anmeldungen in der Altersgruppe 12 bis 18 Jahre, ein erheblicher Anstieg der Vermittlungen durch das Jugendamt und ein drastischer Rückgang der Empfehlungen durch Kindergärten und Schulen zu beobachten.

Veränderungen

In der aktuellen Lebenswelt der Kinder und Jugendlichen fallen den Beratern Veränderungen auf: Es fehle an gewohnten Spiel- und Entwicklungsräumen und vor allem an Alltagsstruktur und sozialen Kontakten. Wichtige Erfahrungen für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen fehlten. Jugendliche müssten zudem ihre Ablösungsprozesse in den vier Wänden der Familien leben. "Oft bleibt ihnen nur der Rückzug in das eigene Zimmer." Symptome wie Ängste, depressive Verstimmungen und psychosomatische Beschwerden, verstärkter Medienkonsum, Aggressivität und Geschwisterrivalität wurden von der bundesweiten „Copsy-Studie“ der Universität Hamburg-Eppendorf (2020) als Folgen der Corona-Pandemie bei Kindern und Jugendlichen genannt. Diese schlagen sich, wie es heißt, auch in den Anmeldegründen der Tirschenreuther Beratungsstelle nieder.

Für Kinder, die neben der Pandemie eine zusätzliche Krise erleben, wie etwa die Erkrankung oder der Tod eines Elternteils, sind Trauer- und Bewältigungsprozesse durch den fehlenden Alltag und den erschwerten Zugang zu Ressourcen außerhalb der Kernfamilie etwa in Trauergruppen für Kinder besonders schwer auszuhalten. Für Kinder und Jugendliche in Trennungsfamilien kommen neue Verunsicherungen hinzu.

Kinder aus Risikofamilien

Ein besonderes Augenmerk der Berater gilt den Angaben zufolge Kindern aus Risikofamilien. "Hier geht es im schlimmsten Fall um körperliche, psychische und sexuelle Gewalt, um psychisch erkrankte Elternteile oder Eltern, die an einer Suchterkrankung leiden." Hier gehen verstärkt Anfragen des Jugendamtes ein. Wichtige Lebensbereiche außerhalb des problematischen und belasteten Familienlebens seien weggefallen – Schule, Kindergarten, Nachmittagsbetreuungen. "Es ist davon auszugehen, dass Kinder und Jugendliche, die vor der Pandemie Struktur und Sicherheit erlebt und sich in ihrer Familie wohl und aufgehoben gefühlt haben, auch wohlbehaltener durch die Pandemie kommen, als Kinder aus Risikofamilien", heißt es in der Mitteilung.

Zusätzlich erleben Familien äußerst unterschiedliche Formen von Distanzunterricht. Häufig reicht ein Gerät pro Kind nicht aus, um die Unterrichtsformate zu bedienen und Internetschwankungen zu kompensieren. Schüler nutzen Computer und Handys parallel. Da oft auch die Zeiten zwischen den schulischen Videokonferenzen mit digitalen Inhalten gefüllt werden, ist es für Eltern schwierig, Überblick und Kontrolle über den Medienkonsum zu behalten. Viele Kinder sitzen in den Pausen zwischen Online-Unterrichten vor den Bildschirmen und zocken oder schauen Videos.

Lange Mediennutzung

Kritische Mediennutzungszeiten sind aktuell ein häufiger Anmeldegrund an der Beratungsstelle. Während der Pandemie kann der Medienkonsum nicht mit „normalen Zeiten“ verglichen werden. Medien während des Distanzunterrichts, chatten und digitale Verabredungen mit Freunden, der Rückzug von Jugendlichen in ihre mediale Welt – all das gehört zu einem veränderten und stärkeren Nutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen. Diese überlange Mediennutzung führe zu Gereiztheit, Niedergeschlagenheit und Einschlafproblemen.

Die Erschöpfung in den Familien ist groß – Urlaube sind aufgebraucht und das Arbeiten im Homeoffice ist bei „vollem Haus“ deutlich anstrengender und langwieriger als im gewohnten Arbeitsumfeld. Außerdem herrscht Unsicherheit auf vielen Ebenen: Kontakte, Gesundheit, Wirtschaft, Existenz. "Eltern in Corona-Zeiten müssen viel mehr trösten und erklären." Jugendliche brauchten besonderen Beistand und Geduld, weil die Perspektive für den kommenden Lebensabschnitt fehlt.

"So ist unklar, wie die Abschlussprüfung gemeistert werden soll oder ob das geplante Soziale Jahr oder das Auslandsjahr stattfindet." Eltern berichten den Angaben zufolge von angespannter, aggressiver Stimmung und einer Häufung der Familienkonflikte. Für diese neue Situation fehle der „Kompass“: "Neben dem Anspruch, ,gute Eltern‘ zu sein, kommt häufig auch noch der Anspruch, ,gute Eltern in Zeiten von Corona‘ zu sein."

Tirschenreuth15.04.2020
Info:

Seismograph für Veränderungen der Lebensumstände von Familien

Beratungsstellen für Kinder, Jugendliche und Eltern erleben sich oft als Seismograph für Veränderungen der Lebensumstände von Familien. Wie bei allen Krisen rücken die Grundlagen der Beratung wieder in den Vordergrund.

  • Über Gefühle sprechen, Belastungen benennen sowie Perspektiven entwickeln. Zentral ist hierbei auch die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. Sie brauchen Ansprechpartner für Erklärungen, Antworten und Unterstützung.
  • „Familie“ sollte dabei ein Ort sein, an dem Unsicherheit, Erschöpfung und Traurigkeit sein dürfen. Dies sind alles normale Gefühle, die in einer Krise auftauchen und ihren Raum einfordern.
  • Weitere Informationen über die Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern im Internet (www.beratungsstelle-tirschenreuth.de) oder per E-Mail (info[at]beratungsstelle-tirschenreuth[dot]de).
  • Telefonisch erreichbar ist die Beratungsstelle Montag bis Donnerstag von 8.30 bis 12 Uhr und 13 bis 17 Uhr; Freitag von 8.30 bis 14 Uhr.
 
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