Wenn Liane und Hermann Scharf sich auf ihre Gänsewiese hocken, ist ihnen die Vorfreude anzumerken. Rund 400 Gänse und 200 Enten watscheln auf der Wiese, baden ihre Füße im Weiher oder gönnen sich unter knorrigen Bäumen eine Pause – jede so, wie sie es sich gerade wünscht. Hocken sich ihre Besitzer auf die Wiese, setzt sich die Meute in Bewegung. Eifrig schnatternd und teilweise mit den Flügel schlagend wackeln die Tiere zur Wiese und kreisen ihre Besitzer wie auf ein geheimes Zeichen ein. Wer von Gänsen lieber Abstand hält, kann so lernen, dass eine Begegnung friedlich verlaufen und sogar zum Erlebnis werden kann. Bei aller Landwirtschafts-Romantik ist aber auch klar: Weihnachten werden die Tiere nicht erleben.
Wenn alle Gänse kurz vor Weihnachten geschlachtet werden, versiegt das auf dem Hof stets zu hörende Geschnatter. „Anfangs bin ich mit der Stille im Januar nicht gut klargekommen“, sagt Liane Scharf. „Inzwischen denke ich, dass sie ja ein schönes Leben gehabt haben, daher ist es ok.“ Der Platz auf dem rund 1,8 Hektar großen Hofgelände würde locker für drei Mal so viele Gänse reichen, wie jetzt hier leben. Aber die Scharfs wollen es nicht, dem Tierwohl zuliebe. Die Gänse und Enten leben in Weidehaltung und gehen nur zum Schlafen in den Stall. Sie werden mit selbst angebautem Getreide gefüttert und stressfrei in der hofeigenen Schlachtung verarbeitet. Auf Vorbestellung gibt es nur ganze oder halbe Gänse und Enten direkt ab Hof.
Umdenken beim Fleischkonsum
„Ich finde es wichtig, dass die Leute eine ganze Gans kaufen und nicht nur die Brust“, sagt die 43-Jährige. Wo nur Brüste angeboten werden, stammten diese häufig aus dem Ausland und ganz anderen Haltungsbedingungen. Sie plädiert für einen bewussteren Fleischkonsum.
Leben können die Scharfs von den Gänsen freilich nicht. „Dann müssten wir zwei- bis dreitausend Gänse haben, zwei bis drei Monate vor Weihnachten zu schlachten anfangen und an den Einzelhandel herantreten“, sagt Liane Scharf. Die Folge wären gedrückte Preise.
Während Hermann Scharf seine Kindheit auf dem Hof verbracht hat, auf dem auch seine Eltern und seine Tante Theresia lebten, hat seine Frau einen gänzlich anderen Hintergrund. Die 43-Jährige stammt aus Hof, ist dort in einer Mietwohnung groß geworden und hat Einzelhandelskauffrau gelernt. „Es war schwer für mich anfangs“, sagt sie. „Ich hatte Heimweh und habe das Stadtleben schon vermisst.“ Sie habe sich erst an die landwirtschafliche Denkweise gewöhnen müssen. Das Paar zog 2006 auf die Gänsmühle, auf der damals rund 50 Kühe gehalten wurden. „Kurz darauf ist mein Vater Jakob verstorben“, sagt Hermann Scharf. Seine Mutter lebt noch heute im alten Bauernhaus auf dem Hof.
Gänse statt Kühe
Sieben Jahre hielten die Scharfs noch im Vollerwerb Milchkühe in Anbindehaltung. „Dann hätten wir wegen neuer Vorgaben 1,5 Millionen Euro für den Stallumbau investieren müssen.“ Stattdessen entschied man sich gegen Kühe, für mehr Gänse und den Betrieb im Nebenerwerb. In der Zwischenzeit kamen Korbinian und Sophie, heute 10 und 14 Jahre alt, zur Welt. Liane bildete sich mit der nötigen Sachkunde und in der Direktvermarktung aus, wurde zertifizierte Kräuterführerin und Mentorin für Garten und Natur und ist seit über zehn Jahren Ortsbäuerin. Als nächstes plant sie eine Ausbildung in der traditionellen europäischen Heilkunde.
Die Gänsmühle kooperiert mit „Learning Campus“ und führt ökologische Bildungprojekte mit Kindern durch. Produkte aus Kräutern wie der Mauretanischen Malve, Ringelblume und dem Gänsefingerkraut, Saft aus Josta- sowie Aroniabeeren und Forellen sowie Karpfen vermarktet die Familie selbst. Neben Gänsen und Enten leben unter anderem Hühner auf der Gänsmühle, Hasen, Ziegen sowie die Esel Friedolin, Luigi, Schoki-Bailey und die Eselin Mirelle, die die Familie von der Noteselhilfe übernehmen durfte.
Hermann und Liane Scharf stecken viel Arbeit und Herzblut in Hof und Tiere, um ökologisch, wirtschaftlich und zukunftsfähig zu bleiben. An Ideen mangelt es ihnen nicht. „Die Gänsmühle ist eine Lebensaufgabe“, sagt Liane Scharf, die längst im Landleben aufgegangen ist.
Die Geschichte der Gänsmühle
- Schon im 14. Jahrhundert mahlen die Zessauer und Trabitzer ihr Getreide in einer Mühle zwischen Grünbach und Trabitz.
- Um 1480 liegt die alte Mühle still, gemahlen wird in Pressath.
- Hans von der Grün lässt um 1570 am Kohlbach die „Neumühl“ anlegen, die 1661 von der Familie Reger übernommen wird.
- Ab 1812 ist der Glasschleifer Sebastian Eichermüller neuer Besitzer.
- 1869 kauft der Müller Johann Michael Scharf, geboren in Tremmersdorf und ansässig in Oberbibrach, das im Volksmund „Gänsmühl“ genannte Anwesen. Er stirbt 1911.
- Seine Enkelin Berta führt über 20 Jahre lang die Mühle, weil ihr Vater Johann Georg (Erbe von Johann Michael Scharf) und ihr Bruder Josef früh sterben. Sie stirbt 1973.
- Ihr jüngerer Bruder Jakob legt 1939 die Meisterprüfung als Müller ab und übernimmt mit Ehefrau Theresia die Gänsmühle. Jakob Scharf stirbt 1973.
- 1983 wird die Mühle stillgelegt. Die über Trabitz hinaus bekannte Gänsezucht bleibt erhalten.
- Jakob und Theresia Scharfs jüngster Sohn Jakob junior tritt mit 23 Jahren das Erbe an. Er stirbt 2006. Seine Frau Resi übernimmt den Hof und lebt heute noch dort. Seine Schwester Theresia lebte ebenfalls auf der Gänsmühle. Sie starb im Dezember 2022.
- Resi Scharf übergibt die Gänsmühle 2009 an Sohn Hermann und seine Frau Liane.
(bjp/jak)
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