Tödliche Oberpfalz: Der verschwundene Professor

Unternankau bei Leuchtenberg
30.01.2023 - 15:22 Uhr
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An einem Waldrand im Landkreis Neustadt/WN findet die Polizei ein unverschlossenes Auto. Von dem Fahrer, ein Münchner Professor, fehlt jede Spur. Im Fahrzeug sind Blutspuren. Keine große Menge – und doch ist die Polizei alarmiert.

Der silberfarbene Volvo mit Münchener Kennzeichen blitzt in der Morgensonne durch die Bäume. Er wurde achtlos am Waldrand nahe einer kleinen Ortschaft im Landkreis Neustadt/WN abgestellt. Was führt einen Oberbayern nach Unternankau? Neugierig nähern sich Anwohner des 40-Seelen-Dorfs dem Fahrzeug. Die Türen lassen sich problemlos öffnen. Auf den Vordersitzen entdecken sie Blutspuren. Keine große Menge, dennoch stechen sie sofort ins Auge. Neben persönlichen Gegenständen liegt ein großer schwarzer Koffer mit Finanzunterlagen im Auto.

Als der Wagen am Nachmittag immer noch nicht weg ist, alarmieren die Bewohner die Polizei. Schnell steht fest: Das Fahrzeug gehört einem BWL-Professor aus München. Der 59-Jährige wollte am Vortag, 13. September 2002, sein Anwesen in Oberviechtach (Landkreis Schwandorf) an einen Tschechen verkaufen. Doch der Käufer kam nicht zum vereinbarten Termin. Also machte sich der Professor wieder auf den Heimweg. Seitdem fehlt von ihm jede Spur. Die Polizei startet umfangreiche Suchmaßnahmen. Eine Vielzahl an Einsatzkräften durchkämmt die umliegenden Wälder. Bereitschaftspolizisten aus Eichstätt und Bamberg unterstützen in den folgenden Tagen ihre Oberpfälzer Kollegen. Ein speziell auf Leichensuche im Wasser ausgebildeter Spürhund sucht gemeinsam mit Tauchern umliegende Fischweiher ab. Hubschrauber mit Wärmebildkameras kreisen über dem Ortsteil von Leuchtenberg.

Doch alle Bemühungen bleiben vergebens. Es gibt weder Zeugen noch konkrete Spuren. Die Untersuchung des Autos ergab lediglich, dass die gefundenen Blutflecken und Haare wirklich von dem Vermissten stammen. Auch die Auswertung des Mobiltelefons, das die Spurensicherung im Auto entdeckte, brachte die Beamten nicht weiter. Nur Suizid kann die Polizei schnell ausschließen.

Zwölf Prozent Rendite

Die Ermittler verlegen ihren Fokus nach München. Dort nehmen sie die Finanzgeschäfte des Professors etwas genauer unter die Lupe. Der 59-Jährige war Vorstandschef einer Vermögensverwaltungs-GmbH. Das Unternehmen versprach Anlegern rund zwölf Prozent Rendite. Zehn Millionen Euro sollen von gutgläubigen Anlegern eingegangen sein. Doch der Professor hat das Geld nicht wie versprochen in "abgesicherte Geschäfte" investiert, sondern zum Teil in die eigene Tasche abgezweigt.

Zehn Tage nach dem Verschwinden ließ der vom Professor ernannte Geschäftsführer den Anlage-Betrug auffliegen. Die Polizei durchsuchte die Geschäftsräume und beschlagnahmte Unterlagen. Schnell wird klar, dass die Firma zahlungsunfähig ist. Von dem Professor fehlt weiterhin jede Spur. Hat sich der Unternehmer möglicherweise mit den Falschen angelegt? Haben Anleger von dem Betrug Wind bekommen? Oder hat sich der 59-Jährige ins Ausland abgesetzt? Die Hoffnung der neunköpfigen Sonderkommission liegt nun auf der ZDF-Fernsehsendung Aktenzeichen XY. Doch auch ein deutschlandweiter Zeugenaufruf bringt kaum neue Erkenntnisse. Die wenigen Hinweise, die eingehen, widersprechen sich. Erst als sich ein Segelfreund des Professors meldet, haben die Ermittler endlich eine konkrete Spur. Der Mann aus Frankreich teilt sich mit dem Professor ein Konto. Davon finanzieren sie gemeinsame Segelausflüge. Das Konto läuft auf den Franzosen, Kreditkarte und Pin hat der Professor. Der Segelfreund sagt den Ermittlern, dass zwei Tage nach dem Verschwinden Geld in Paris abgehoben wurde. Weitere Abbuchungen folgten auf der karibischen Insel Martinique. Der Segelfreund ist sich sicher, dass eigentlich nur der 59-Jährige das Geld abheben konnte.

Zielfahnder aus München reisen daraufhin in die Karibik. Der Professor wird putzmunter auf seiner 100 000 Euro teuren Hochseejacht "Marivent" im Hafen der Stadt Le Marin festgenommen. Nach einem Monat klicken die Handschellen. Die Ermittler gehen davon aus, dass der Mann sein Verschwinden von langer Hand akribisch geplant hatte, um der Strafe der Justiz zu entgehen.

Lutz Höbold, damals Leitender Oberstaatsanwalt in Weiden, sagt: "Der Professor hat bewusst eine falsche Fährte nach Osteuropa gelegt, um sich einen zeitlichen Vorsprung zu verschaffen." Er habe die Entführung vorgetäuscht. Doch ganz so durchdacht war der Plan dann doch nicht. Laut dem Leiter der Oberstaatsanwaltschaft in München sind dem Professor "dilettantische Fehler" unterlaufen. Der 59-Jährige soll gegenüber seinen Mitarbeitern gedroht haben, sich aus dem Staub zu machen, sollte es mit der Firma bergab gehen. Er habe kurz vor seinem Verschwinden einen Gerichtstermin und eine Betriebsprüfung abgesagt, was die Ermittler hellhörig werden ließ. Durch die Kreditkartenabbuchungen mussten sie dann nur noch der Spur des Geldes folgen.

Der Professor dagegen weist die Vorwürfe auch noch im späteren Prozess vor dem Landgericht München vehement zurück. Stattdessen behauptet er, er sei 2002 nicht vor der Staatsanwaltschaft, sondern vor einer "Mafia-ähnlichen Organisation" geflohen. Drei Tschechen hätten ihn bei einem Geschäftstermin in der Oberpfalz überfallen und vergewaltigt. Danach hätten ihn die Entführer im Wald ausgesetzt. Daraufhin habe er sich auf sein vor der Insel Martinique ankerndes Boot zurückgezogen, wo er viele Tage "in Agonie und Paralyse" verbracht habe.

Das Landgericht verurteilte den Professor wegen Millionenbetrugs zu sieben Jahren Haft. Zusammen mit seinem Geschäftsführer hatte er Anleger um insgesamt 6,4 Millionen Euro geprellt. Der mittlerweile 61 Jahre alte Münchener nahm das Urteil an. Für seine vorgetäuschte Entführung musste er sich nicht vor Gericht verantworten. Die Kosten für die aufwendigen, tagelangen Suchmaßnahmen betrugen rund 150 000 Euro.

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Amberg30.01.2023
 
 

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