Sie haben sich mehr als 60 Jahre nicht mehr gesehen, aber sie plaudern wie alte Bekannte. Besonders über einen fast schon berühmten Vorfahren der beiden. Was man nicht so alles findet, wenn man sich mit seiner Vergangenheit und der Verwandtschaft auseinandersetzt. Christian Kuberski aus Erfurt wollte eigentlich nur für ein hölzernes Kruzifix, das von seinem Großonkel Oskar Wache kunstvoll geschnitzt wurde, ein gutes und würdevolles Plätzchen finden.
Schließlich war Wache ein bekannter schlesischer Holzbildhauer und das Kreuz ein besonders schönes Werk. Das Kruzifix ist zwar noch nicht an seinem Bestimmungsort angelangt, aber es hat Christian Kuberski bereits jetzt etwas völlig Unverhofftes beschert. Er hat seine Großcousine Erika Reinert, die Tochter von Oskar Wache, in Vilseck wiedergefunden. Nach einigen Telefonaten stand jetzt das erste Treffen seit 63 Jahren an.
Mit vier Jahren in Amberg
All die Jahrzehnte war es Kuberskis Mutter Gisela, die mit der Verwandtschaft den Kontakt hielt. Viele Briefe wechselten hin und her, denn in der Zeit, wo es noch sehr wenige Telefone gab und Ferngespräche mit stundenlanger Warterei verbunden waren, gab es kaum eine andere Möglichkeit. Aber nicht nur indirekt hielten die beiden Familien Kontakt. Es gab auch gegenseitige Besuche. An ein Treffen kann sich der Erfurter Apotheker noch erinnern. "Ich war damals vier Jahre alt, und da haben wir die Familie Wache in Amberg besucht. Sogar an die Erika erinnere ich mich."
1954 muss das gewesen sein. Da hatte Oskar Wache mit seiner Familie, zu der auch Tochter Erika gehört, bereits Krieg und Vertreibung erlebt: Aus dem beschaulichen Bad Warmbrunn (heute Cieplice Slaskie-Zdrój in Polen) ging es über den Taunus nach Amberg. Erika Reinert erinnert sich noch sehr genau und erzählt ihrem Großcousin mit lebendigen Worten, wie es damals war, als ihr Vater als geflüchteter freischaffender Künstler vier Kinder durchbringen musste. "Mein Vater hatte Gott sei Dank auch eine Ausbildung als Tischler. Da konnte er nicht nur uns nach der Flucht alle Möbel und Gebrauchsgegenstände selber bauen. Er hat auch anderen Leuten immer wieder was gerichtet oder geschnitzt und so Geld verdient", erzählt die 78-Jährige.
Der Kontakt brach dank Kuberskis Mutter Gisela nie ab. Auch als es die DDR noch gab und Treffen (so gut wie) unmöglich waren. Doch als Gisela Mitte der 80er Jahre starb, hielt niemand mehr den Kontakt zur Verwandtschaft aufrecht. Jeder wusste zwar noch um die Existenz des anderen, aber außer den jeweiligen Namen und ungefähren Wohnorten waren nur vage Erinnerungen im Bewusstsein.
Bis Ende 2017 Christian Kuberski dann das Kreuz seines Großonkels Oskar Wache in gute Hände geben wollte und mit einem Bekannten darüber sprach. Dieser hatte eine ganz besondere Idee. Das Kreuz könne doch als Schenkung an die Bonifatius-Kirche nach Zgorzelec, dem östlichen und damit auf der polnischen Seite gelegenen Stadtteil von Görlitz, gehen. Kuberski stammt selbst aus dieser Stadt, aber auch Oskar Wache hatte dorthin einen besonderen Bezug. Eines seiner Kunstwerke, einen hölzernen Altar, hatte er für die Bonifatius-Kirche geschnitzt. Da wäre das Kreuz ein schönes und wertvolles Geschenk, das in diesem Gotteshaus an den Holzbildhauer erinnert.
Wie Gedankenübertragung
Die Idee mit der Schenkung und die Auseinandersetzung mit Oskar Wache setzten einiges in Gang und weckten Erinnerungen auch an Oskar Waches Tochter, Erika Reinert. Christian Kuberski hatte seine Verwandte eigentlich nie vergessen. "Ich wollte die Cousine meiner Mutter sehr gern kennenlernen. Ich wusste noch, dass sie irgendwo bei Vilseck lebt und dass sie eine verheiratete Reinert ist. Aber ihre genaue Adresse wusste ich nicht mehr", erzählt der Erfurter. Er stellte weitere Nachforschungen an und wurde dank der Mithilfe vieler Hände schließlich fündig. Dann kam es zum allerersten Telefonat. Erika Reinert erinnert sich noch sehr genau. "Das war wie Gedankenübertragung. Ich musste in letzter Zeit öfters an ihn denken, und dann meldet er sich, das hat mich schon narrisch gefreut. Er war ja der Einzige, den ich nicht mehr gesehen habe", sagt die Axtheiderin.
Und nicht lange danach sitzen sie zusammen am Kaffeetisch, Christian Kuberski mit seiner Frau und Erika Reinert. Auch deren Sohn Oskar ist mit dabei. Sie tauschen alte Geschichten aus, erzählen aus ihrem Leben, schauen sich vergilbte Fotos in fast schon vergessenen Fotoalben an. Wenn man sie so sieht, käme man kaum auf die Idee, dass sie sich fast noch nie im Leben getroffen haben. Für Christian Kuberski und Erika Reinert steht fest, dass sie diesmal den Kontakt nicht abreißen lassen. Weitere Besuche sind schon fest eingeplant, und auch zu Reinerts Tochter, die in Amerika lebt, könnte eine Reise gehen. Und das alles nur wegen eines kunstvoll gefertigten Holzkreuzes, das nun ein besonders würdevolles Plätzchen finden soll.
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