Im Glasgow protestieren Zehntausende Menschen für konsequenteren Klimaschutz. Wissenschaftler mahnen eindringlich, weniger CO2 auszustoßen. Dabei denken und handeln immer mehr Unternehmen grün. Daimler und Totalenergies haben angekündigt, die Entwicklung von Wasserstoff-Lkw voranzutreiben. VW will in Europa bis 2035 aus dem Geschäft mit Verbrennerfahrzeugen aussteigen. Andere Firmen wollen klimaneutral werden. Das derzeit wertvollste Unternehmen der Welt, Microsoft, plant sogar, den gesamten jemals verursachten CO2-Ausstoß wieder rückgängig zu machen.
Wie das gehen soll? Unter anderem durch Zertifikate-Handel. Einen solchen forciert etwa die FDP, warb damit fleißig im Vorfeld der Bundestagswahlen. Auf der Homepage der Partei ist deren Forderung zu lesen: „Die Politik gibt vor, wie viel CO2 im Jahr ausgestoßen werden darf. Für den Ausstoß müssen Zertifikate erworben werden, die von Jahr zu Jahr weniger und damit teurer werden. Wer hingegen besonders viel CO2 spart, muss weniger Zertifikate kaufen und spart Geld und wer CO2 speichert, muss dafür Geld erhalten. So schaffen wir Anreize für Investitionen in klimafreundliche Technologien.“
Kontrollierte Pyrolyse
Doch auch schon ohne politische Vorgaben läuft dieser Handel. Seit einigen Monaten verkauft die Amberg-Sulzbacher Firma Carbon Cycle CO2-Zertifikate. Möglich ist das, weil sie Pflanzenkohle herstellt, die wiederum großteils in den Boden eingebracht wird. "Eine Tonne Pflanzenkohle im Boden bindet 3,6 Tonnen Kohlendioxid über Jahrhunderte bis Jahrtausende“, erklärt Gesellschafter Rudolf Zeitler. Das Verfahren von Carbon Cycle ist relativ einfach erklärt: In eine haushohe Anlage kommen oben Hackschnitzel hinein. Dreieinhalb Stunden später spuckt sie Pflanzenkohle aus. Kontrollierte Pyrolyse nennt sich das und ist natürlich viel komplexer als diese vereinfachte Darstellung.
Die Pflanzenkohle des Amberg-Sulzbacher Unternehmens wird dann in ganz Europa verkauft. Das gemahlene Produkt wird unter Tierfutter gemischt, Landwirte und Gärtnereien verarbeiten die Pflanzenkohle. „Wir müssen die Qualität der Kohle nachweisen, dass sie wirklich in den Boden eingebracht worden ist und den ganzen Lieferweg dokumentieren“, sagt Zeitler. Dafür gibt es dann die CO2-Zertifikate, die Carbon Cycle wiederum veräußern kann. „Microsoft hat uns bis Juni 2021 leergekauft“, berichtet der Gesellschafter weiter. Das Interesse sei riesig. Derzeit steht Zeitler mit Unternehmen wie Goldman Sachs, Shopify, Lufthansa, Total und Continental in Kontakt.
Anlage wird erweitert
Das Rohmaterial, das Carbon Cycle zur Herstellung der Pflanzenkohle braucht, die Hackschnitzel also, stammt aus einem Umkreis von rund 80 Kilometern. Zeitler hat ausgerechnet: "Wir brauchen etwa ein Viertel der Nadelhölzer, die in einer 200 Hektar großen Waldfläche abgeholzt werden." Für den Gesellschafter eine "überraschend kleine Fläche". Zudem betont er: "Wir entnehmen dem Wald nicht mehr, als nachwächst." Die Firma setzt dabei auf PEFC-Zertifikate, die eine nachhaltige Waldbewirtschaftung nachweisen. Ohnehin verarbeitet seine Firma Bäume, die nicht unbedingt für andere Bereiche eingesetzt werden. Oder plastischer formuliert: "Die krummen Bäume kommen zu uns, die geraden in die Bauindustrie."
Nadelhölzer werden zur Herstellung von Pflanzenkohle deshalb genommen, weil dadurch ein hoher Wirkungsgrad erzielt wird. Prinzipiell könne Pflanzenkohle aus allem gewonnen werden, was organisch gewachsen sei. Etwa auch Grünschnitt oder Kaffeebohnen, was aber eben zu einem schlechteren Ergebnis führe. Zeitler erzählt, dass Ferrero bereits einen Versuch mit Haselnussschalen gefahren habe, da diese bei der Produktion ihrer Produkte (Giotto, Hanuta, Ferrero Küsschen) zuhauf anfallen.
Der Gesellschafter sieht künftig noch weitere Anwendungsgebiete für die Biokohle. Durch sie könne etwa Sand als Baustoff eingespart oder beim Aufbereiten von Abwasser eingesetzt werden, weil die Kohle beispielsweise bestimmte krebserregende Stoffe binde. Zeitler, der lange als Mediziner in der Ludwig-Maximilians-Universität München als Klinikarzt sowie in verschiedenen leitenden Positionen in der Pharmaindustrie und in der Medizintechnik arbeitete, ist zuversichtlich für die Zukunft.
Derzeit stellt Carbon Cycle 350 bis 400 Tonnen Pflanzenkohle im Jahr her. Bis Mitte kommenden Jahres soll die Anlage erweitert und das Produktionsvolumen verdoppelt werden. Auch das wird nicht reichen, um die Nachfrage nach Pflanzenkohle zu befriedigen. Ganz zu schweigen von den begehrten CO2-Zertifikaten. "Davon könnten wir wahrscheinlich 100 Mal so viele verkaufen", so Zeitler.
Carbon Cycle
- Gegründet im April 2015
- In der Produktion seit August 2019
- Zertifikatehandel seit 2020
- Derzeit gibt es fünf Gesellschafter, Rudolf Zeitler ist einer davon
Davon könnten wir wahrscheinlich 100 Mal so viele verkaufen.
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