„Schatten wie Blei“ ist Lilo Seidls am schnellsten geschriebenes und am längsten recherchiertes Buch. Jörg Skriebeleit, der vielfach ausgezeichnete Leiter der Flossenbürger KZ-Gedenkstätte, wie Seidl ein Vohenstraußer, hat sein Büro noch im Flossenbürger Rathaus, als Seidl zum ersten Mal mit ihm Kontakt aufnimmt.
Das Buch-Projekt über das damalige Konzentrationslager begleitet die Autorin über Jahre. Jahre, in denen sie feststellt, wie zunehmend leicht ihr das Internet die Recherche macht. Aber die Geschichte bleibt immer wieder liegen. Bis zu einem Unfall, der sie ein halbes Jahr außer Gefecht setzt. Den Ausschlag gibt dann aber die Corona-Pandemie.
Sie stellt Suchanträge bei den einschlägigen Suchmaschinen, unter anderem auch direkt bei der KZ-Gedenkstätte, bekommt die gesuchten Informationen und plötzlich geht das Schreiben ganz schnell, ganz leicht von der Hand.
Verborgene Familiengeheimnisse
Lilo Seidl (60) geht es in ihrem Roman „Schatten wie Blei“ um Opfergruppen, die bisher vernachlässigt worden seien, sagt sie. Es ist die 400 Seiten starke Geschichte eines deutschen Häftlingsarztes und eines polnischen Zwangsarbeiters während der letzten beiden Kriegsjahre im KZ Flossenbürg; erzählt über die Perspektive des Umgangs der Enkel der beiden mit der Vergangenheit. Alte Briefe und ein lang verschollenes Tagebuch zwingen die Enkel, sich mit der NS-Zeit auseinanderzusetzen. Der Schlüssel zum Verständnis ihres Lebens liegt im Schicksal ihrer Großväter. Briefe und Tagebuch erzählen von qualvollen Erinnerungen und einer bitteren Wahrheit. Am Ende öffnet sich die Tür zur Vergangenheit und lüftet gut gehütete Familiengeheimnisse.
Seidl betont im Gespräch mit Oberpfalz-Medien, dass neben den jüdischen Opfern der Lager die übrigen Opfer gern unter den Tisch fielen. Das sei der Grund, warum sie sich einer Opfergruppe angenommen habe, über die deutlich weniger gesprochen werde, die der Zwangsarbeiter und Häftlingsärzte.
Kontakt zu ihrem Heimatort Vohenstrauß hat Seidl heute nur noch über ihren Bruder, der im Elternhaus am Marktplatz lebt. Ihre Eltern seien ihre wichtigsten Zeitzeugen der NS-Vergangenheit gewesen, sagt sie. Vor allem ihre Mutter habe ihr viel über Flossenbürg erzählt. Diese habe 1943/44 Arbeitsdienst im Landratsamt in Vohenstrauß geleistet, wobei sie unter anderem Schwerarbeiter-Lebensmittelbezugsscheine für die Kapos im KZ habe ausstellen müssen. Um den 20. April 1945 herum habe die Mutter, wie sie ihr später erzählte, vom ersten Stock ihres Elternhauses einen der berüchtigten Todesmärsche beobachtet. Vor der Bäckerei gegenüber hätten die mutige Inhaberin und eine ihrer Töchter am Rand marschierenden Häftlingen Brotlaibe zugesteckt. Gleich darauf hätten Wachen die Laibe diesen mit den Gewehrkolben aus den Händen geschlagen und die Frauen zurück auf den Bürgersteig gebrüllt. Eine Geschichte, die Eingang in das Buch gefunden hat.
Bücher im Selbstverlag
Lilo Seidl hat ihren gut bezahlten Job in der IT-Branche für das Schreiben aufgegeben. Sie kann zwar noch nicht von ihren Büchern leben, bereut den Schritt aber dennoch nicht, wie sie sagt: „Dieses Hamsterrad mit Wasserkopf-Bürokratie hätte mich ausgelaugt.“ Sie sitzt täglich von 8 bis 18 Uhr diszipliniert an ihrem Schreibtisch, manchmal auch länger, „je nachdem, wie die Worte sprudeln“.
Seidl bringt ihre Bücher – neben „Schatten wie Blei“ drei Krimis, ein New-Adult-Drama, eine Liebesgeschichte und ein historisches Epos, das sie gerade neu bearbeitet – bei einem Selfpublishing-Verlag heraus. Sie schreibe „kein Mainstream“, daher sei es schwierig, bei einem der bekannten Publikumsverlage unterzukommen.
Die Corona-Pandemie hat Seidl wie so viele Soloselbstständige erlebt – alles abgesagt, keine Lesungen, keine Buchvorstellungen. Aber viel Zeit zur Recherche. Und so erschien im Dezember dann auch „Schatten wie Blei“. Aktuell in Arbeit ist eine Art Pandemie-Kochbuch mit dem Titel „In mein Chili kommt kein Mais“, in dem sie zeigen will, wie man aus Lebensmittelvorräten gut kocht „und Verächter von Dosenfraß eines Besseren belehren kann“. Sie lässt sich eben auf kein Genre festlegen.
Mehr zum Roman:
www.liloseidl.de/schatten-wie-blei/
Über Lilo Seidl
- Aufgewachsen in Vohenstrauß, der Bruder lebt im Elternhaus
- Seit 1984 wohnhaft in Nürnberg
- Lange Jahre in der IT-Branche tätig
- Widmet sich inzwischen nur noch dem Schreiben
- Selfpublisherin („Ich schreibe kein Mainstream“)
- Lieblings-Genres: Krimi und historisch-fiktiver Roman
- Vorbild: der 2008 verstorbene US-amerikanische Beststeller-Autor, Regisseur und Produzent Michael Crichton („Jurassic Park“ u.a.)
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