Im November 1918, also vor 100 Jahren, endete der Erste Weltkrieg, der rund 20 Millionen Menschen das Leben kostete. Weitere 20 Millionen wurden verwundet. Er gilt als Schlüsselereignis und als Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts, das einschneidende politische Veränderungen in Europa auslöste. Instabilität und Unsicherheit waren prägend für diese Zeit. Frieden, neuer Wohlstand und Sicherheit: darauf hätten viele Menschen nach dem Ende des Krieges 1918 gehofft. Visionen und Hoffnungen kristallisierten sich heraus. Doch am Ende wurde nichts davon eingelöst und blieb nichts davon übrig.
Und doch war der Erste Weltkrieg in ganz fürchterlicher Weise bahnbrechend für die Entstehung einer neuen utopischen Welt des 20. Jahrhunderts. Heute erinnern Kriegerdenkmale in den verschiedensten Orten an die schlimmen Kriegsjahre in denen oftmals die Namen der Gefallenen eingraviert sind. Heute wissen aber selbst die nächsten Angehörigen nicht mehr viel über die Gefallenen. Realschüler haben sich in einer Geschichte-Arbeitsgemeinschaft mit Studienrätin Doris Thammer in einzigartiger Weise jahrgangsübergreifend mit einem ganz besonderen Projekt beschäftigt, das jetzt auch der Öffentlichkeit zugängig gemacht wird.
„Gezündet hat der Funke bei der Beschäftigung mit Napoleon“, berichtete die Lehrerin. Dass der kleine Korse auch in Regensburg eine Schlacht geschlagen hat und sich dabei verletzte, hörten die Schüler so ganz nebenbei und das war die eine Sache. Dass aber auch noch Kriegerdenkmäler von den bayerischen Soldaten berichten, die unter Napoleon gefallen sind, das war das andere. Kriegerdenkmäler gibt es in den unterschiedlichsten Bauweisen. Allein das alte Kriegerdenkmal, das an den Krieg von 1871 erinnert und im Grünanlagenbereich unterhalb des Rathauses steht, ist ein steinerner Zeuge der Geschichte. „In jedem Ort, mag er noch so klein sein, ob in Deutschland, Frankreich, England oder in einem anderen Land, das in die größten Kriege des letzten Jahrhunderts verwickelt war, befinden sich in jedem Winkel Europas Kriegerdenkmale, das die Gefallenen und manchmal auch die Vermissten der Weltkriege aufzeigt“, berichtet Thammer.
Die Antwort, warum es die Gedenksteine gibt, liegen auf der Hand und das wurde auch den Schülern, die an diesem Projekt mitarbeiteten schnell klar: „Damit man sich der Männer erinnert. Überall haben Kinder um die Väter, Mütter um die Söhne und Frauen um ihre Männer geweint.“ Doch, bewahren diese Steine die Erinnerung an die Toten? Wer erinnert sich denn noch? Wie sahen die Männer aus? Wo sind sie gefallen? Wie alt waren sie? Weiß man, welchen Beruf sie ausgeübt haben? „All diese Fragen brachen sturzbachartig auf die Schüler herein, als sie sich mit diesem Thema intensiver beschäftigten und Fotos von den Denkmälern aus ihren Heimatorten mit in die Schule brachten.“ Schritt für Schritt trugen die Projektanten mit der Lehrerin alles zusammen, um den Gefallenen der Weltkriege ein Gesicht zu verleihen. „Fast lehrbuchartig entfaltete sich dieses Projekt“, ist Thammer noch immer von der Spitzfindigkeit und der Ausdauer sowie der Art und Weise, wie ihre Schüler ans Werk gingen, begeistert. „Da steckt unheimlich viel Arbeit dahinter.“
Als Pädagoge erlebe man Momente, in denen die Schüler Zusammenhänge zwischen längst vergangenen Ereignissen und der Gegenwart herstellen, als ganz besondere Momente, aus denen viel Kraft geschöpft werden kann, schwärmt die engagierte Realschullehrerin. „Die jungen Menschen kommen irgendwann an einer Stelle an, an der sie begreifen, wo die große Geschichte in das Leben unserer Ahnen eingegriffen hat, wie es brutaler und rücksichtsloser nicht sein kann.“ In den beiden Weltkriegen. Sie kosteten unzähligen jungen Menschen, die kaum 20 oder 30 Jahre alt waren, das Leben. „Plötzlich war das Interesse der Buben und Mädchen fast greifbar und die müdesten Blicke wurden wach“, ist Thammer noch heute vom erblühenden Interesse der jungen Leute zutiefst beeindruckt.
Zum Ersten und Zweiten Weltkrieg gibt es in den allermeisten Familien Geschichten von Verwandten, von Ahnen und Nachbarn, die bis in die heutige Zeit herübergetragen wurden. Im Schuljahr 2015/2016 sammelten die Teilnehmer Fotos, Daten und Sterbebilder der Gefallenen. Thammer war überrascht, wie viel Material Fakten lieferten. Eltern und Großeltern, Onkel und Tanten machten sich auf die Suche längst vergessene aber gut gehütete Dokumentationen zur Verfügung zu stellen. Alle Bilder wurden eingescannt und tabellarisch erfasst. „Die Bilder mahnen uns, nie wieder Krieg.“ Durch diese alten Bilder wurde das Leid der Angehörigen überdeutlich. Oft stecken darin der ganze Schmerz, den es auszuhalten galt. Dann machten sich die jungen Leute auf die Suche im Internet und recherchierten, was man über Gefallene alles im Netz finden konnte.
Etliche Soldaten fanden fern der Heimat in Belgien, Frankreich, Griechenland oder Weißrussland ihre letzte Ruhe. Derzeit arbeitet die Projektgruppe daran, wie diese Ideensammlungen (im Moment sind 700 Datensätze vorhanden) der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden können. Allein 200 Sterbebilder wurden mit der Datenbank des Volksbunds Deutscher Kriegsgräber synchronisiert, Gräber via Google-Maps erfasst und die Länder aufgeführt, in denen die Gefallenen ihr Leben ließen. „Das war ausgesprochen schwierig, weil die Grenzen damals ganz anders verliefen, als es heute der Fall ist“, unterstreicht Thammer die Problematik. In Schulleiter und Direktor Andreas Meier fanden die Schüler großartige Unterstützung, denn er ging als EDV-Experte auf viele Wünsche der Jugendlichen ein und schrieb das digitale Programm so um, damit das Layout mit dem Smartphone kompatibel war. „Alle Beteiligten haben jedenfalls gelernt, ein Projekt eigenständig zu organisieren und Arbeitsschritte selbstständig zu entwickeln, systematisch zu arbeiten und die Frakturschrift zu lesen“, freute sich die Projektleiterin.
„Alle die mitarbeiteten und sich mit Bildern und anderem Material einbrachten, haben außerdem den Verlauf der Weltkriege und die Kampfschauplätze mit Menschen und Schicksalen in Verbindung gebracht und viel mit Familien über diese schlimmen Ereignisse unterhalten, die sich in der eigenen Familie zugetragen haben. „Ich als Lehrerin habe die erbauliche Erfahrung gemacht, dass man Jugendlichen in aller Ruhe viel zutrauen kann, ohne Schieben und Ziehen und so ganz nebenher während des Schuljahres und außerhalb des Unterrichts wurde viel bei den Schülern erreicht, die sich auf die Suche in der Vergangenheit auf die vielfältigen Wege machten und sich auf diese einließen.“
Fast lehrbuchartig entfaltete sich dieses Projekt.
Auf einem der Sterbebilder steht folgender Spruch, der die Grausamkeit des Zweiten Weltkriegs deutlich hervorhebt und den Schmerz der Angehörigen verdeutlicht: „Du gingst von uns mit frohem Herzen und hofftest auf ein Wiederseh’n. Doch größer sind nun jetzt die Schmerzen, weil dieses nicht mehr kann gescheh’n. Nicht durften wir zum letzten Mal, die linde Hand dir drücken, nicht deinen Grabeshügel still mit Liebesrosen schmücken. Es ist vorbei mit unserem Sehnen, nie kehrst du heim ins Elternhaus, dich wecken niemals unsere Tränen, in fremder Erde ruhst du aus.“
Auf einem anderen ist zu lesen: „Mutter trockne deine Tränen. Als mich traf das kalte Erz, war bei dir mein letztes Sehnen. Brich nicht, brich nicht, Mutterherz. Gönne mir den Tod der Helden. Trag als Heldin deinen Schmerz. Könnte man dir Schönres melden? Brich nicht, brich nicht, Mutterherz.“
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