Fastenzeit als „Impfstoff“ der Geschwisterlichkeit

Waldsassen
12.03.2021 - 10:43 Uhr

Dr. Annemarie Schraml aus Waldsassen erklärt in der Serie "Geistliche Gedanken zur Fastenzeit" wie die Gesellschaft geschwisterlicher werden kann. Dabei bezieht sie sich viel auf Papst Franziskus.

Dr. Annemarie Schraml war Orthopädin und Chefärztin an der Orthopädischen Klinik Rummelsberg und Cnopfschen Kinderklinik Nürnberg. Mittlerweile ist sie im Ruhestand. Seit 2000 engagiert sie sich stark für den Aufbau einer kleinen Kinderorthopädischen Abteilung im Norden Tansanias: das Hilfsprojekt „Feuerkinder“.

Das gesamte letzte Jahr war besonders. Ebenso ist auch diese Fastenzeit ganz besonders. Was bedeutet die Fastenzeit für jeden von uns in diesem Jahr? Haben wir wegen der Corona-Pandemie nicht schon genug verzichtet und uns eingeschränkt? Viele sind psychisch belastet und manche auch überfordert. Viele haben auch Schlimmes erlebt und haben existenzielle Nöte und Sorgen. Aufgrund der Einschränkungen haben viele von uns mehr Ruhe, erleben bewusster die Natur, haben weniger Trubel, weniger Konsum – das sollte uns aufnahmebereiter werden lassen für die kleinen Wunder des Alltags und sensibler werden für unsere Mitmenschen.

In dieser Fastenzeit habe ich mir vorgenommen, jeden Tag einen Abschnitt aus der neuen Enzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus zu lesen. Der Kerngedanke dieser Enzyklika ist, dass wir in unserer Gesellschaft geschwisterlicher werden sollen. Das haben wir in Deutschland, aber auch sonst in der Welt so bitter nötig. Universale Geschwisterlichkeit, eine Haltung, die Chiara Lubich, die Gründerin der Fokolarbewegung, schon seit Entstehung dieser Erneuerungsbewegung 1943 betonte.

"Pandemie verstärkt Ungleichheit"

Ich will nicht nur die Einschränkungen meines persönlichen Lebens sehen, sondern den Blick auf die Menschen in anderen Kontinenten, besonders in Entwicklungsländern richten. In einem Kommentar in der "Neuen Zürcher Zeitung" vom 22. Januar heißt es: „Die Pandemie ist nicht demokratisch, sie verstärkt die Ungleichheit auf der Welt zum Schaden aller.“

Trotz vieler Probleme und Nöte auch bei uns will ich beispielhaft schauen auf die Hungerkrise in Syrien, die zwölf Millionen Menschen betrifft, auf die indigenen Völker in Südamerika, die heimatlosen und hungernden Menschen im Südsudan, Kongo und Niger und auch auf viele Menschen in Tansania, die ich durch meine "Feuerkinder"-Einsätze sehr gut kenne und die nun von einem neuen Coronaausbruch betroffen sind und Not leiden. Vor allem die Kinder sind in nahezu all diesen genannten Ländern besonders von den Einschränkungen betroffen.

Füreinander verantwortlich

Schon als Jugendliche haben mich einige Sätze aus der Apostelgeschichte sehr beeindruckt und sind auch Motivation für mein Engagement in Tansania. Einer dieser Sätze steht in der Apg, 2, 32 – 35 und beschreibt die Urgemeinde: „Die Gemeinde der Gläubigen war ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam. ... Es gab auch keinen unter ihnen, der Not litt. Jedem wurde davon so viel zugeteilt, wie er nötig hatte.“

Das kann man heute natürlich nicht wörtlich nehmen. Aber es sagt uns, dass wir als Christen füreinander verantwortlich sind, nicht nur in der eigenen Gemeinde oder dem eigenen Land. Wir dürfen nicht nur die Vorteile der Globalisierung, wie billige Kleidung oder Rohstoffe für unsere elektronischen Geräte, nutzen. Wir müssen unseren Teil tun, wir haben Verantwortung füreinander und müssen uns je nach persönlichen Möglichkeiten und Fähigkeiten gegenseitig über Länder- und Kontinentgrenzen hinweg unterstützen. Es gibt viele förderungswürdige Projekte. Jeder Mensch hat ein Recht auf ein Leben in Würde. Wir leben in einer Welt und leben und arbeiten in Verantwortung vor Gott und den kommenden Generationen.

Am Aschermittwoch sagte Papst Franziskus: „Nur wenn die Schwierigkeiten und Leiden unserer Brüder und Schwestern uns nahe gehen, können wir unseren Weg auf Ostern hin beginnen. Es ist ein Weg, der das Kreuz und den Verzicht einschließt." Und im Februar beim Empfang des Diplomatischen Korps sagte er : „Geschwisterlichkeit und Hoffnung sind die Medikamente, welche die Welt heute wie Impfstoffe braucht.“ Diese Fastenzeit 2021 gibt uns die Möglichkeit, diesen „Impfstoff“ der Geschwisterlichkeit und Hoffnung durch die Kraft des Heiligen Geistes in uns neu entzünden zu lassen, an dem Platz, an dem wir leben und um damit hinaus in die Welt zu gehen.

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