Waldthurn
18.02.2023 - 09:43 Uhr

Waldthurner rettet krebskranker Zwillingsmama das Leben: Nun sind sie befreundet

Eva aus Nordrhein-Westfalen plante schon ihre Beerdigung, da schenkten ihr die Stammzellen von André Großer ein neues Leben. Die Zwillingsmutter und ihr "genetischer Zwilling" aus der Oberpfalz sind aber weiter füreinander da – als Freunde.

Wir haben mit Lebensretter André Großer aus Waldthurn und der geretteten Zwillingsmama Eva aus NRW im Podcast gesprochen:

"Alle meine Sorgen sterben, ich bin froh, dass ich lebe." Das singt keine Geringere als Céline Dion in ihrem Song "I'm alive". Es ist das Lieblingslied von André Großer aus Waldthurn (Landkreis Neustadt/WN) und Eva, die ihren Nachnamen lieber für sich behalten möchte, aus Niederkrüchten in Nordrhein-Westfalen. Beide sind Mitte 40, beide essen gerne Spaghetti Bolognese. Und: "Wir haben beide den gleichen Knall", sagt Eva und lacht laut auf. Aber André und Eva haben noch viel mehr gemeinsam.

Diese Geschichte beginnt im Jahr 2015 in der Oberpfalz. Denn da ging der heute 46-jährige André Großer mit seiner Frau zu einer Typisierungsaktion der DKMS (ehemals: Deutsche Knochenmarkspenderdatei) in Vohenstrauß. Es wurde nach passenden Stammzellspendern gesucht. André Großer wurde Blut abgenommen und dieses dann im Labor auf bestimmte Merkmale hin untersucht. Die Informationen wurden anonym in einer Datenbank gesammelt und mit den Merkmalen von Leukämie-Patienten auf der ganzen Welt verglichen. Inzwischen reicht für diese Art der Proben üblicherweise ein Abstrich mit einem Wattestäbchen an der Wangenschleimhaut.

André Großer wird ein stiller Held in dieser Geschichte sein, der andere und nicht sich selber feiert. Er nutzt den aktuellen Fokus auf seine Person am liebsten dafür, um zu weiteren Blut- und Stammzellspenden aufzurufen. Außerdem betont er, dass auch andere einen freiwilligen Beitrag geleistet haben. So hätten sowohl Autowelt Weiden als auch KFZ Kraus aus Waldthurn bei Autovermietungen auf Geld verzichtet, als es für Großer darum ging, zu Untersuchungen der DKMS zu fahren – zum Beispiel nach Dresden.

Aggressiver Blutkrebs

Für Eva in Nordrhein-Westfalen begann zwei Jahre später eine Zeit des Leidens. Eine Lebensphase, über die sie sagt: "Das war alles wie ein schlechter Film." Eine bösartige Erkrankung des Knochenmarks, gepaart mit der Diagnose MDS, riss die 44-jährige Diplompädagogin und ihre Familie im Februar 2017 aus dem unbeschwerten Alltag. Bei MDS, dem myelodysplastischen Syndrom, handelt es sich um eine chronische Erkrankung des blutbildenden Systems. Evas Zwillingstöchter waren zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre alt. Mit Transfusionen und Chemotabletten versuchte das Ärzteteam, die Krankheit in den Griff zu bekommen. Leider vergeblich: Die MDS lies sich nicht kontrollieren, zudem entwickelte sich 2019 noch eine akute myeloische Leukämie (AML), eine sehr aggressive Form von Blutkrebs.

Sie war auf Bluttransfusionen angewiesen. In der schlimmsten Phase benötigte Eva alle zwei Tage das Blut anderer Menschen, um zu überleben. Die Ärzte sagten damals: "Sie haben noch eine Lebenserwartung von maximal sechs Monaten". Eva musste ihr Testament schreiben, ihre eigene Beerdigung vorbereiten. "Das war kurz vor dem vierten Geburtstag meiner Zwillinge, das war schon hart", sagt sie. Ihre einzige Überlebenschance? Ein passender Stammzellspender. Und der wurde auch gefunden.

Dieser ist André Großer aus Waldthurn. Seine Gewebemerkmale sind mit denen von Eva nahezu identisch. Vier Jahre nach seiner Registrierung in Vohenstrauß schenkte er Eva im Mai 2019 mit seiner ambulanten Stammzellspende ein neues Leben. Es gleicht einem Wunder. Denn eine Sprecherin von der DKMS ordnet die Frage nach der Wahrscheinlichkeit folgendermaßen ein: "Bei nur einem Prozent aller Registrierten kommt es überhaupt zur Spende, deshalb sprechen wir auch von der 'Suche nach der Nadel im Heuhaufen'. Also André Großer war für Eva 'der Sechser im Lotto' und/oder die 'Nadel im Heuhaufen'."

"Wir sind rein genetisch eineiige Zwillinge", erklärt Eva, die ja selber Mama von Zwillingen ist. Es gibt aber einen großen Unterschied: "Wir sehen unterschiedlich aus und sind Junge und Mädchen." Es sei ungefähr so, als sei man bei der Geburt getrennt worden und hätte sich jetzt nach über 40 Jahren wieder getroffen, erklärt André Großer. Beide haben also in ihren Vierzigern einen besonderen Zwilling geschenkt bekommen. Doch Kontakt durften sie zwei Jahre nach der erfolgreichen Spende nur anonym halten. Eva schrieb einen Brief und verschickte ihn über die DKMS an den Spender in die Oberpfalz. "Mit zitternden Händen" habe André Großer Briefe von der DKMS aufgemacht. Denn auch er wusste: Eva ist noch nicht endgültig gerettet.

Die Phase nach der Spende

Nach so einer Spende kann viel schiefgehen. Und tatsächlich: Eva ging es eineinhalb Jahre schlecht. Sie litt an Knochenschmerzen, hatte mit Abstoßungssymptomen zu kämpfen. "In meinem Mund fühlt es sich den ganzen Tag so an, als hätte mir jemand kochenden Kaffee reingeschüttet", versucht sie ihre aktuellen Schmerzen zu beschreiben. Ihre Kinder gehen in die zweite Klasse. "Sie bringen alles an Infektionen nach Hause – die für mich wirklich gefährlich werden." Evas Immunsystem ist immer noch schwächer, als das der meisten anderen Menschen. Sie führt also immer noch ein angespanntes Leben, doch sie ist am Leben.

André Großer unterstützt die Familie. Er wurde inzwischen zu einem engen Freund. Die Töchter von Eva könnten ihn jederzeit anrufen. "Das kann auch schon mal um 7 Uhr sein", sagt er und muss schmunzeln. Aus einem anonymen Brief ist inzwischen regelmäßiger Kontakt über Whatsapp geworden. Für eine Kampagne der DKMS haben sie sich inzwischen sogar einmal persönlich getroffen, in Berlin. Es sei ein Gefühl gewesen, "als würde man sich schon ewig kennen", sagt Eva.

Die genetischen Zwillinge wollen sich auf jeden Fall noch einmal wiedersehen, die Familien des anderen kennenlernen. Nach einem passenden Termin suchen sie noch. Aber jetzt haben sie ja Zeit. Denn wie singt Céline Dion in ihrem Song "I'm alive" so passend? "Und es hat gerade erst begonnen. Ich kann den Rest meines Lebens kaum erwarten."

Info:

Registrierte DKMS-Spender und "Echtspender" in der Region:

  • Landkreis Neustadt an der Waldnaab: rund 13.000 Personen registriert, 171 konnten bereits spenden.
  • Landkreis Schwandorf: rund 14.500 Registrierte, davon haben 146 bereits gespendet.
  • Stadt Amberg und Landkreis Amberg-Sulzbach: rund 12.700 Menschen registriert, davon haben bereits 155 Stammzellen oder Knochenmark gespendet.
  • Landkreis Tirschenreuth: Rund 9.700 Menschen sind registriert. 88 davon konnten bereits spenden.
  • Stadt Weiden: rund 200 Registrierte.

Quelle: DKMS, Stand: 9. Februar 2023

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