Geplant war das Gespräch zwischen der Politikerin und Landwirten aus der Region nicht. Die Ministerin war als Rednerin zu Gast beim Neujahrsempfang der CSU. In der Max-Reger-Halle sprach sie sich vor mehreren Hundert Zuhörern dafür aus, den Landwirten nicht noch mehr Umweltschutz, Naturschutz und Tierwohl aufzuoktroyieren und erntete viel Applaus. Hinter den Kulissen ging es danach hitziger zu. Denn auch die Landwirte hatten ihrer Ministerin einiges zu sagen.
„Ich hatte am Sonntagabend gehört, dass es eventuell Protest geben soll. Eine Demonstration war bei der Polizei nicht angemeldet. Aber die Landwirte baten nach dem Neujahrsempfang zum Gespräch“, erinnert sich Bundestagsabgeordneter Albert Rupprecht, der die Diskussionsrunde kurzerhand organisierte. Es sei dafür der richtige Anlass gewesen, er habe jedoch nicht mit der „stattlichen Anzahl“ an Landwirten mit Redebedarf gerechnet, räumte er am Dienstag ein.
"Deutschland will die Bauern abschaffen"
80 bis 100 Bauern aus dem Landkreis Neustadt und darüber hinaus wollten diskutieren. Man habe zwei Mal die Örtlichkeit wechseln müssen und habe schließlich im Gustav-von-Schlör-Saal genügend Platz gefunden. Eineinhalb bis zwei Stunden habe sich die Ministerin für die Landwirte aus der Oberpfalz Zeit genommen, so Rupprecht. So etwas habe er bisher noch nicht erlebt.
„Viele haben das Gefühl, Deutschland will die Bauern abschaffen“, fasst Josef Fütterer als Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbands die Stimmung zusammen. „Die Lawine, die 2019 losgetreten wurde – damit meine ich das Volksbegehren Artenvielfalt, die Tierwohl-Diskussion, die Düngeverordnung und die Klima-Diskussion – trifft 2020 voll auf uns Bauern. Es ist eine riesengroße Lawine mit viel mehr Bürokratie, Leistung und Auflagen bei weniger Einnahmen.“
Landwirtschaft am Pranger
Hochkochende Emotionen bestätigt auch Rupprecht: „Einige Landwirte haben ihre Situation heftig geschildert, und dafür haben sie auch kräftigen Applaus geerntet“, sagt er. Die Diskussion sei „leidenschaftlich-emotional, aber trotzdem konstruktiv“ gewesen. Es sei vor allem um zwei Themen gegangen: „Wie wird die Landwirtschaft gesehen: Steht sie am Pranger oder steht sie in der Mitte der Gesellschaft?“ In seiner Ansprache habe er den Bauern klar gesagt: „Für uns steht ihr in der Mitte der Gesellschaft“. Desweiteren kritisierten die Landwirte, „aufgrund von Reglementierungen nicht mehr frei agieren zu können“, so Rupprecht. Speziell sei es um die Düngemittelverordnung gegangen.
„Wir haben der Ministerin sehr deutlich gemacht, dass die Messstellen für die Nitratbelastung an den falschen Stellen stehen und nur die schlechtesten Ergebnisse an Brüssel gemeldet wurden“, sagt Fütterer. An landwirtschaftlichen Flächen sei die Nitratbelastung zudem oft weniger hoch als beispielsweise an Stilllegungs- und Waldflächen.
"Was soll man da noch ernten?"
„Wir düngen je nachdem, was unsere Kulturen brauchen.“ Der Bedarf werde unter anderem durch Bodenuntersuchungen ermittelt. Fütterer nennt ein Beispiel: „Ein Hektar Mais braucht von der Saat im April bis zur Ernte im September rund 180 Kilogramm Stickstoff.“ Erlaubt seien derzeit rund 170, mit der neuen Verordnung allerdings nur noch gut 130 Kilogramm. „Was soll man da noch ernten“, fragt er. Bei dem Thema redet sich der Milchbauer gegenüber Oberpfalz-Medien schnell in Rage. Trotzdem findet er lobende Worte für die Ministerin: „Sie weiß um unsere Nöte und hat sich den Wortmeldungen der Bauern gestellt.“ Dafür zolle er ihr Respekt und Dank.
Kaniber sei zwar nicht dazu gekommen, viel zu sagen, aber beim Thema Messstellen habe sie Nachbesserung versprochen. Das tut auch Bundestagsabgeordneter Rupprecht. Als er wegen der Diskussion in Weiden verspätet bei der CSU-Klausurtagung in Seeon eintraf, sei es gleich um die Düngeverordnung gegangen. Zu den in Weiden diskutierten Themen seien bereits Beschlüsse gefasst worden: „Die Nitrat-Messstellen in Bayern sowie die Belastbarkeit der Daten werden überprüft.“
Gunst der Stunde genutzt
Dass die bayerische Landwirtschaftsministerin kurzfristig offene Ohren für die Nöte der Oberpfälzer Landwirte hatte, mag mit dem beginnenden Wahlkampf zu tun haben. Die Bauern jedenfalls haben die Gunst der Stunde genutzt, als sie sich ihre Ministerin „schnappten“. Man könnte darüber streiten, ob Themen wie Tierwohl, Artensterben und Klima im Jahr 2020 ähnlich einer Lawine plötzlich auf die Landwirte zukommen. Doch in der Praxis nicht zu realisierende Auflagen, die im schlimmsten Fall zur Aufgabe landwirtschaftlicher Betriebe führen, sind keine Lösung. „Die Diskrepanz zwischen dem, was die EU-Kommission für den Grundwasserschutz will und dem, was für die Landwirtschaft vernünftig ist, ist aus Sicht der Landwirte zu groß“, fasste Albert Rupprecht gegenüber Oberpfalz-Medien zusammen. Diese Diskrepanz so klein zu halten wie möglich, dürfte eine der größten Herausforderungen sein – nicht nur im Wahlkampf.
Die Landwirte wehren sich vehement gegen Veränderungen und weitere Auflagen durch die Düngemittelverordnung. Angeblich liegen die hohen Nitrat-Meßergebnisse an falschen Meßstellen und undichten Kanälen, so ein gerne verwendetes Argument des Bauernverbandes. Die Wissenschaft hegt da so ihre Zweifel, zumal der Bauernverband eigens eine gerichtliche Klage führte, um Gülle grenzüberschreitend als "Handelsgut" vermarkten zu können. Seitdem blüht der Import von Gülle aus Holland und Belgien, die deutlich strenger Düngevorschriften haben.
Die zunehmende Nitratbelastung des Grundwassers wird seit den 1980-er Jahren thematisiert, aber von der Politik ignoriert und kleingeredet.
Bereits 2004 berichtete Onetz: „Wegen Bodenverunreinigung muss sich derzeit ein Landwirt aus dem Altlandkreis Vohenstrauß vor Richter Johann Mirl verantworten. Der 37-Jährige soll im Herbst 2003 auf seinen in einem Wasserschutzgebiet mit Brunnen liegenden Äckern enorme Mengen stickstoffhaltiger Düngemittel verteilt haben, Das führte angeblich zu einer mindestens zweieinhalb Meter tief reichenden Nitratbelastung, die das Zehnfache des Normalen überstieg.“
Die Situation unserer Bauern ist nicht berauschend, aber welchen Anteil hat die eigene Verbandsführung (DBV und BBV) an dieser Situation? Hier versucht der Bauernverband von eigenen Versäumnissen abzulenken. Waren der Fall der Hektarbindung und die Freigabe der Milchmengen ein Erfolg, oder werden die kleinen bayerischen Familienbetriebe nun zerrieben? Was haben 70 Jahre Lobbyarbeit des Deutschen- und Bayerischen Bauernverbandes und der Klüngel mit Agrarchemie, Molkereien und Futtermittelindustrie gebracht? Die bayerische Land- und Milchwirtschaft gilt im europäischen Vergleich eher als kleinstrukturiert. Die Verbandspolitik hat die Bauern in eine europaweite Überproduktion getrieben und bayerische Bauern in einen Preis- und Konkurrenzkampf mit Agrarfabriken aus dem Osten, die 2.000 ha und mehr bewirtschaften, sowie einen Großteil der Agrarsubventionen einstreichen. Mit aktiver Unterstützung des BBV und DBV wurde von der EU ein Fördersystem installiert, das einigen Agrarunternehmen jährliche Fördergelder in Millionenhöhe beschert. Betrachtet man die Mittelvergabe in Europa, so erhalten sechs Prozent der größten Betriebe 69 Prozent der Hilfsgelder. Der kleine Bauer kann als Nebenerwerbsbauer gerade noch so überleben, der große Agrarökonom, eher Monokulturen anbauend, wird reich. Der gegenseitige Austausch des Spitzenpersonals mit den konservativen Parteien und der „Seitenwechsel“ in gut bezahlte Posten der landwirtschaftsnahen Industrie ist bei Funktionären des Bauernverbandes praktisch die Regel. Aus diesem Grunde wird sich die Agrarpolitik auch nicht ändern, weil Großbetriebe entsprechend mehr Dünger, Futtermittel und Agrarchemie kaufen, als der kleine bayerische Familienbetrieb. Der BDM hat zutreffend festgestellt, dass die Interessenunterschiede und Kräfteverhältnisse zu groß sind. Nach den Gesetzen des Marktes ergibt eine Überproduktion sinkende Preise, was vorwiegend zu Lasten der kleinen Betriebe, des Tierwohls und der Umwelt geht.
Kernforderung des BDM ist deshalb die Milchmengenbremse, die scheinbar nun auch von der „CSU unterstützt wird, am Bollwerk im Bundeslandwirtschaftsministerium führt jedoch kein Weg vorbei“, ist BDM-Chef Stefan Mann skeptisch. Waren die vier Vorgänger von Ministerin Klöckner (Schmidt, Friedrich, Aigner und Seehofer) nicht alle bei der CSU? Eine imaginäre Koalition aus CSU, Freien Wählern und FDP nimmt die Existenzkrise der kleinen Milcherzeuger zur Kenntnis – setzt aber die Politik des „Wachsen oder Weichens“ fort.
Bei einer derartigen Export- und Weltmarktorientierung nützt auch ein Regionalsiegel nichts! Fast 50% des hier produzierten Fleisches und der Milcherzeugnisse werden exportiert. Deutschland ist heute weltweit der 3-größte Exporteur von Lebensmitteln. Schlagzeilen verursachten regelmäßig die deutschen Tiertransporte aus der EU (z.B. nach Tadschikistan). Deutsches Fleisch, Wurst, Bier, Milch und Milchprodukte werden inzwischen weltweit gehandelt. Sogar die exportierten Schlachtabfälle ruinieren noch die heimischen Märkte in Afrika. Damit man so billig produzieren kann, hat Deutschland seine Zulassungen von Groß-Betrieben seit den 90er Jahren verxfacht. Die CSU, Freie Wähler und FDP setzten weiter auf eine Förderpolitik, die industrielle Großbetriebe begünstigt und bäuerliche Landwirtschaft benachteiligt.
Bei Gesprächen mit einigen Landwirten werden diese von Verband und Politik verursachten Fehlentwicklungen hinter vorgehaltener Hand durchaus bestätigt.
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