Die Geschichte des Bastian Klecka im Roman "Die Privilegierten" sei im Wesentlichen seine eigene Geschichte, auch wenn er sie natürlich verändert habe: "Das Buch ist eben eine andere Art von Autofiktion", schreibt Thomas von Steinaecker auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien.
Und zu seiner Geschichte gehört eben auch die Zeit in Oberviechtach. "Ich habe dort meine Kindheit verbracht, bis ich mit 13 Jahren in die Hallertau umgezogen bin. Als ich ungefähr zehn Jahre später zum ersten Mal wieder nach Oberviechtach kam, habe ich gemerkt, wie sehr mich die Landschaft dort, die Fichtenwälder, Hügel, Burgruinen, Karpfenteiche, geprägt hat. Bei Oberviechtach im Speziellen diese Mischung aus Bauerndorf, Katholizismus, Nähe zur Grenze und Kaserne. Es ist ein unglaublich intensives und unvergessliches Gefühl. Oberviechtach und die Oberpfalz werden immer meine Heimat sein."
Ambivalentes Verhältnis zur Heimat
Seinen Roman persönlich in dieser Heimat vorzustellen, steht in absehbarer Zeit allerdings nicht auf der Agenda: "Ich habe ein bisschen Angst davor. Oberviechtach wird zwar immer meine Heimat sein, aber wie das so ist, es ist ein ambivalentes Verhältnis. Das spürt man ja auch im Roman. Ich weiß nicht, wie das dort ankommen wird." Die einzige Reaktion bislang sei von einer älteren Dame gekommen und das auch eher zufällig und nur am Rande. Allerdings mit dem Tenor, dass das ja kein sehr schmeichelhaftes Bild sei, das er von der Stadt zeichne.
Auseinandersetzung mit Künstlicher Intelligenz
Eine rosarot-verklärende Brille hatte von Steinaecker davon abgesehen aber auch gar nicht auf. In seiner Fiktion, die unserer Zeit in etwa eine Dekade voraus geht, haben Künstliche Intelligenz und "Virtual Reality" längst Einzug in den Alltag gehalten. Hinsichtlich der aktuell diskutierten Vor- und Nachteile dieses Fortschritts verweist der Schriftsteller auf den Faktor Mensch: "Wie bei allen Techniken liegt es auch hier völlig in der Hand des Benutzers, wie man sie nutzt. Am Beginn und Ende steht immer der Mensch. Er bestimmt, was die Maschine macht und wie sie benutzt wird. Ich glaube, der Knackpunkt ist, dass man nie vergessen sollte, dass man es eben mit künstlichen Welten zu tun hat. Das eröffnet zunächst einmal fantastische Möglichkeiten in allen Lebensbereichen. Wenn man aber künstliche mit echten Welten oder Wesen verwechselt, beginnen die Probleme."
So wie bei seinem Protagonisten Bastian, den die wunderbaren neuen Möglichkeiten in einer schweren Krise erst verführen und dann fast zerstören. Für Thomas von Steinaecker folgt daraus, dass wir dazu aufgefordert seien, uns noch viel klarer bewusst zu machen, was uns als Menschen eigentlich ausmacht und was wir wollen: "Es ist ein bisschen wie in 'Die unendliche Geschichte', wo der Hauptfigur gesagt wird: 'Tu, was du willst'. Wenn man nicht weiß, was man eigentlich will, führt das ins Unglück."
Der Roman buchstabiert aber auch aus, wohin die sich bereits jetzt abzeichnende Spaltung der Gesellschaft führen kann. Abschottung zählt dabei noch zu den harmloseren Szenarien. Für unausweichlich hält der Schriftsteller eine solche Zukunft nicht, für möglich aber schon. "Einerseits wäre es fatal zu sagen, man könne nichts mehr an der jetzigen Entwicklung ändern. Außerdem geschehen immer wieder völlig überraschende Dinge. Wer hätte Corona vorhergesehen? Wenn aber die Gesellschaft weltweit in die Richtung weitergeht, die sie ungefähr zum Anfang des 21. Jahrhunderts eingeschlagen hat, dann wird das zu jenen Entwicklungen führen, die ich in meinem Buch beschreibe, davon bin ich überzeugt." Er habe manchmal das Gefühl, wir sehen wie in einem Film einem Auto zu, das über einem Abgrund hängt und sich sehr, sehr langsam senkt – und die Menschen darin schreien in Panik, ohne etwas dagegen zu tun.
Musik spielt wichtige Rolle
Im Roman gelingt Bastian der Schritt zurück von der Kante des Abgrunds. Der Preis dafür ist jedoch hoch, der Weg drastisch. Den rauen Naturgewalten ausgeliefert, wendet sich sein Blick nach innen, der Protagonist entdeckt das Schreiben als lebensrettende Maßnahme. Eine Empfehlung zur Aktivierung der Selbstheilungskräfte? "Es kommt wie bei der Technik darauf an, wie man das Erlebnis in der Natur und das Schreiben nutzt. Beides ist erst mal weder gut noch schlecht. Aber beides wirft einen auf einen selbst zurück. Beides kann einen Bewusstseinsprozess in Gang setzen. Das ist zumindest ein erster Schritt in die richtige Richtung", so von Steinaecker.
Wie bei der von ihm getexteten Graphic Novel "Stockhausen: Der Mann, der vom Sirius kam" spielt übrigens auch diesmal Musik, insbesondere klassische Musik, eine Rolle, und das auch schon in der kreativen Phase. "Schreiben ist für mich untrennbar verbunden mit Musik, also vor allem mit Rhythmus. Ein Satz ist wie ein Herzschlag. Und eine Geschichte wie eine Melodie", so von Steinaecker, der mittlerweile in Augsburg lebt. Und auch wenn man den Menschen dieses Landstrichs nicht nur bezüglich des Dialekts ähnliches nachsagt wie den Oberpfälzern, vergleichbar sei es nicht, befindet der Schriftsteller. "Allein die unmittelbare Nähe zu München schafft ein ganz anderes Lebensgefühl. Für mich war das Gefühl in Oberviechtach das einer Insel. Man lebte in den 1980ern zwar innerhalb von Deutschland, aber trotzdem irgendwie in einem eigenen Reich, das nur über geheime Wege mit der 'richtigen' Welt verbunden war."
Zwei Möglichkeiten für eine Buchvorstellung in der alten Heimat sieht von Steinaecker übrigens doch: "Vielleicht eine Lesung unter freiem Himmel, sodass ich fliehen kann, wenn es brenzlig wird? Oder zusammen mit meinem Kollegen und Freund, dem Lyriker Nico Bleutge, der ein paar Jahre vor mir seine Kindheit in OVI verbracht und auch darüber geschrieben hat."
Zu Person und Buch
- Thomas von Steinaecker: Schriftsteller, Filmemacher und Journalist; 47; geboren in Traunstein; lebt in Augsburg; vielfach ausgezeichnet für seine Romane, u.a. mit dem "Aspekte"-Preis; erhielt für seinen Film "Richard Strauss und seine Heldinnen" 2015 den Classical-Music-Award und einen Echo; zuletzt von ihm erschienen die Graphic Novel "Stockhausen: Der Mann, der vom Sirius kam".
- Die Privilegierten: Roman, 624 Seiten, gebunden, S. Fischer Verlag, 26 Euro.
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