Die Zuhörer erlebten ein musikalisches Kunstwerk barocker Improvisation in einer 1975 entstandenen Fassung des Kirchenmusikers Helmut Bornefeld. Dieser Hörgenuss wurde durch Sybille Wagner, Querflöte, Johanna Luther, Violine, und Hanns-Friedrich Kaiser, Orgel, dargeboten, drei absoluten Könnern an ihren Instrumenten.
Die Bachsche Komposition entstand auf eher unkonventionelle Art. Im Mai 1747 war der Meister einer Einladung des preußischen Königs Friedrich II. an dessen Hof in Potsdam gefolgt. Dabei bat Bach Friedrich um ein Fugenthema. Zu diesem „Thema regium“, dem „Königlichen Thema“, improvisierte Bach meisterhaft eine dreistimmige Fuge. Der Bitte des Königs entsprechend arbeitete Bach nach seiner Rückkehr nach Leipzig das „Thema regium“ aus.
Bach gewährt dem Werk gewisse Freiheiten in der Reihenfolge der einzelnen Teile und in der Besetzung. Bornefeld wollte mit seiner Fassung die Orgel nicht nur solistisch, sondern auch kammermusikalisch präsentieren. Er beginnt mit einem dreistimmigen fugenartigen Satz, den Bach mit „Ricercar“ überschrieb, einem Wortspiel. Es sind einerseits die Anfangsbuchstaben von „Regis Iussu Cantio Et Reliqua Canonica Arte Resoluta“ („Auf Geheiß des Königs die Melodie und der Rest durch kanonische Kunst erfüllt“). „Ricercare“ bedeutet auch „suchen“ – vielleicht eine versteckte Aufforderung an den König, die in dem Werk enthaltenen zahlreichen kontrapunktischen Kunststücke ausfindig zu machen.
Der Satz stellt das Thema vor, umspielt es improvisatorisch, wobei die eigentlich klangmächtige Eisenbarth-Orgel vom Volumen her nicht so gefordert wird, und dient als eine Art „Entree“ im akustisch wohlklingenden Kirchenraum. Das Gesamtwerk beschließt ein sechsstimmiger „Ricercar“-Satz, in dem das Thema durch alle Stimmen geführt wird, dann aber immer neue Motive erscheinen und das Grundthema nur noch im Hintergrund auftritt, bis schließlich das knapp 60-minütige Werk im Klangreichtum endet.
Dazwischen liegen ein Kanon in Gegenbewegung, bei dem sich Flöte und Violine zum Orgelcontinuo tänzerisch umspielen, vier kurze, kunstvoll gearbeitete Kanons in der Oktave (Violine und Orgel), im Einklang (Orgel), in Gegenbewegung (Flöte und Orgel) und in vergrößerter Gegenbewegung (alle drei Instrumente), eine kanonische Fuge mit längeren, eine gewisse spielerische Leichtigkeit einführenden Zwischenspielen, und weitere vier kurze, das Thema verarbeitende Kanons mit wechselnder Besetzung.
Zum Abschluss folgt eine „klassische“ Triosonate mit einem Largo, einem Allegro im 2/4-Takt, einem Andante und einem Allegro im 6/8-Takt, wobei in der zweiten Hälfte des dritten Satzes die geradezu endlosen Ketten von Seufzermotiven den neuen und vom König geschätzten modernen musikalischen Stil verdeutlichen.
Ein lang anhaltender, stehender Applaus des sachkundigen Publikums und die freudestrahlenden Blicke der drei Interpreten von der Empore herab beweisen die geglückte Darbietung einer grandiosen, einen einheitlichen Eindruck vermittelnden Komposition.
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