Weiden in der Oberpfalz
28.08.2018 - 16:01 Uhr

ČSSR-Politpromis im Visier

Vier DDR-Bürger wurden 1967, 1977 und 1986 am Eisernen Vorhang beim Fluchtversuch erschossen. Die Tatorte liegen auf tschechischer Seite auf Höhe Mähring und Schönsee sowie in der heutigen Slowakei. Ende 2017 hat die Staatsanwaltschaft Weiden die Ermittlungen aufgenommen. Wie ist der Stand?

Staatsanwalt Christian Härtl führt die Ermittlungen gegen 42 Beschuldigte, denen der Tod von vier DDR-Bürgern an der tschechisch-deutschen Staatsgrenze angelastet wird. Bild: ca
Staatsanwalt Christian Härtl führt die Ermittlungen gegen 42 Beschuldigte, denen der Tod von vier DDR-Bürgern an der tschechisch-deutschen Staatsgrenze angelastet wird.

Das Verfahren umfasst 42 Beschuldigte: vom einfachen Grenzpolizisten, der die Schüsse abgab, bis zu den damaligen Ministerpräsidenten, die politisch verantwortlich waren. Und genau diese hohen Tiere stehen besonders im Visier des verantwortlichen Staatsanwalts Christian Härtl, der für dieses Ermittlungsverfahren mit dem Landeskriminalamt zusammenarbeit. "Die Konzentration gilt vorrangig den Hintermännern", bestätigt Leitender Oberstaatsanwalt Gerd Schäfer.

Welche Anweisungen galten im Fall von Fluchtversuchen? Das ist die zentrale Frage. Allein vier, fünf Monate hat 2018 die Übersetzungsarbeit der Grenzschutzvorschriften in Anspruch genommen. "Es gibt dazu nahezu nichts in deutscher Sprache", bedauert Härtl den Zeitfresser Übersetzung. Er hat den Eindruck gewonnen, dass es sehr genaue Vorgaben für die Grenztruppen gab, sogar geregelt gewesen sei, wie man ein Gewehr zu halten habe.

Drei der Toten wurden erschossen. Richard Schlenz hatte 1967 den slowakischen Grenzfluss Morava bereits durchschwommen, als er getroffen wurde. 1977 starben Familienvater Gerhard Schmidt bei Mähring/Broumov sowie Arbeiter Kurt Hoffmeister bei Stadlern/Rybnik durch Gewehrkugeln. Beim vierten Opfer, Musikstudent Hartmut Tautz, waren es 1986 Hunde, die ihn an der slowakischen Grenze tot bissen. Auch dafür gab es genaue Richtlinien. Die Hunde wurden bewusst losgelassen.

Härtl hatte schon die Federführung im Ermittlungsverfahren gegen Auschwitz-Wachmann Johann Breyer, der 2014 kurz nach seiner Inhaftierung in den USA im Alter von 89 Jahren verstarb. Besteht die Befürchtung, dass Beschuldigte schneller sterben, als ermittelt werden kann? Die prominentesten Beschuldigten im Grenzschützen-Verfahren sind die letzten noch lebenden Mitglieder des Politbüros der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei. Der ehemalige Ministerpräsident Lubomir Strougal (93), Generalsekretär Milos Jakes (96) und der frühere Regierungschef Peter Colotka (93). Das Verblüffende: Alle Drei waren zumindest in den letzten Jahren bemerkenswert fit (siehe Infokasten). Sie hatten etliche öffentliche Auftritte. Um die "gute Konstitution" weiß auch die Staatsanwaltschaft Weiden. Es gilt: "Wir ermitteln, solange es sie gibt." Es wäre nicht das erste Mal, dass Politiker für Morde bestraft werden, für die sie nicht selbst Hand angelegt haben. Härtl verweist auf Egon Krenz, der wegen Totschlags zu sieben Jahren Haft verurteilt worden war.

Zunächst steht noch Archivarbeit im Mittelpunkt. Staatsanwalt Härtl war im Juli beim Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen. Mit dabei: ein Team aus vier LKA-Beamten, neu verstärkt durch eine LKA-Beamtin, die in Tschechien geboren ist. Gesichtet wurden Unterlagen der Stasi, die in Zusammenhang mit den vier Todesfällen stehen. In drei Fällen gibt es "Mitgeflüchtete", beispielsweise bei Gerhard Schmidt die Ehefrau und die drei Kinder. Sie wurden damals nach ihrer Rückführung in die DDR vernommen, die Ehefrau Schmidt kam in Haft. Gleiches Schicksal ereilte den Begleiter von Kurt Hoffmeister, einen Arbeitskollegen, der wegen des Fluchtversuchs in der DDR inhaftiert wurde.

Leitender Oberstaatsanwalt Schäfer stellt aber in Aussicht, dass noch dieses Jahr die Fühler bereits nach Tschechien ausgestreckt werden. Einer der nächsten Schritte wäre die Vernehmung der Beschuldigten. Dies müsste im Rahmen der Rechtshilfe geschehen, die deutschen Ermittler würden den Fragenkatalog liefern und wollen nach Möglichkeit bei den Vernehmungen dabei sein. Härtl kennt das zur Genüge: Seit 17 Jahren ist der 44-Jährige fast durchgehende als Staatsanwalt zuständig für Rauschgift und organisierte Kriminalität. Die Ermittlungen führen in dabei sehr häufig ins Nachbarland. Die Erfahrungen in der Zusammenarbeit bezeichnet er als "nur positiv".

Recht schnell aufklären lässt sich, wer wen erschossen hat. Die tschechoslowakischen Grenzpolizisten wurden nach solchen Vorfällen sofort von einer Untersuchungskommission befragt. Die Berichte sind sehr detailliert, mit Tatortskizzen, teilweise mit Fotos. Und sie sind auch verfügbar: In Tschechien gibt es die UDV, eine Behörde für Dokumentation und Untersuchung der Verbrechen des Kommunismus. Es handelt sich dabei um eine Abteilung der Kriminalpolizei und des Innenministeriums. Der Hauptsitz ist in Prag.

Die tödlichste Grenze Europas: Mindestens 320 Menschen ließen ihr Leben an der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Bayern bzw. Österreich. Erschossen, getötet durch Strom, von Hunden tot gebissen. Vier Fälle von DDR-Bürgern, die zwischen 1967 bis 1986 als "Urlauber" die Gelegenheit für die Flucht nutzen wollten und zu Tode kamen, stehen im Mittelpunkt der aktuellen Weidener Ermittlungen. Bild: dpa
Die tödlichste Grenze Europas: Mindestens 320 Menschen ließen ihr Leben an der Grenze zwischen der Tschechoslowakei und Bayern bzw. Österreich. Erschossen, getötet durch Strom, von Hunden tot gebissen. Vier Fälle von DDR-Bürgern, die zwischen 1967 bis 1986 als "Urlauber" die Gelegenheit für die Flucht nutzen wollten und zu Tode kamen, stehen im Mittelpunkt der aktuellen Weidener Ermittlungen.
2012: Lubomir Strougal bei einer Autogrammstunde anlässlich seiner Buchvorstellung in Prag. Bild: Ludek Kovar
2012: Lubomir Strougal bei einer Autogrammstunde anlässlich seiner Buchvorstellung in Prag.
2016: Peter Colotka gibt ein heiteres Interview. Geplaudert wird über den ehemaligen Eishockeyspieler Jozef Golonka. Bild: tvnoviny.sk
2016: Peter Colotka gibt ein heiteres Interview. Geplaudert wird über den ehemaligen Eishockeyspieler Jozef Golonka.
2014: Milos Jakes bei Feiern zum Tag der Arbeit in Prag. Bild: David Sedlecký
2014: Milos Jakes bei Feiern zum Tag der Arbeit in Prag.
2017: Mikos Jakes fährt in einem Dokumentarfilm, der im Juni 2018 erschienen ist, Langlaufski. Bild: Televize TV
2017: Mikos Jakes fährt in einem Dokumentarfilm, der im Juni 2018 erschienen ist, Langlaufski.
Die Hauptbeschuldigten im Grenzschützen-Verfahren:

Miloš Jakeš war als Generalsekretär der Kommunistischen Partei von 1987 bis 1989 der mächtigste tschechoslowakische Politiker. Er ist am 12. August 96 Jahre alt geworden. Ganz aktuell ist im Juni 2018 ein Dokumentarfilm über den kleinen Mann erschienen. Der Film zeigt ihn beim Skifahren. Jakeš ist in der Öffentlichkeit stark präsent. In Interviews hält er stur an seinem Glauben an die Richtigkeit der staatlichen Organisationen der Vergangenheit fest. Zu seinem 95. Geburtstag im letzten Jahr fragt ihn ein Journalist nach dem Geheimnis seiner Vitalität? Er gehe gern Einkaufen, im Winter fahre er Ski. Von einem Unfall Anfang 2017, als er als Fußgänger von einem Auto angefahren wurde, habe er sich gut erholt.

Lubomír Štrougal war zunächst Innenminister und zwischen 1970 und 1988 Ministerpräsident der ČSSR. Er ist im August 94 Jahre alt geworden. 2012 stellte er in Prag ein autobiographisches Buch mit seinen Erinnerungen vor - inklusive Autogrammstunde. 2015 berichteten tschechische Boulevard-Medien über seine Geburstagsfeier. Es gibt Fotos, die ihn zeigen, wie er mit Krücken an der Seite seiner Frau zum Restaurant geht. Allerdings wird darauf hingewiesen, dass Strougal sich von einer Hundeattacke 2010 nur schlecht erholt habe und deutlich seltener Spazieren gehe als früher. Rätselraten gibt es um sein Vermögen: Laut Medienberichten hat Strougal eine Wohnung in einem Prager Nobelviertel gekauft. Zugleich unterhält er ein Ferienvilla in Liberec. Etwa einen Kilometer entfernt wohnt der reichste Tscheche Petr Kellner, berichtet das Blatt.

Peter Colotka war 1968 und 1988 stellvertretender Ministerpräsident der Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik (ČSSR) sowie von 1969 bis 1988 Ministerpräsident der Slowakischen Teilrepublik. Er ist im Januar 93 Jahre alt geworden. Auch er wirkt in TV-Berichten verblüffend frisch. 2016 gab er einem Privatsender ein Interview, in dem über den ehemaligen slowakischen Eishockeyspieler "Joschi" Golonka gescherzt wird. Er habe diesem ruhigen Gewissens Auslandsaufenthalte zugestehen können, weil Golonka "Patriot" gewesen sei.

Dokumentarfilm von Juni 2018 über Milos Jakes

 
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