Die Nachricht aus dem Landratsamt gleicht einem Hilferuf. Am Dienstag tagte der Katastrophenstab für den Landkreis Neustadt/WN und Weiden. Die Stimmung, das sagen Beteiligte, sei sehr angespannt gewesen, besorgt. Es war ein digitales Corona-Krisentreffen. Die Ausfälle wegen Corona-Infektionen, das wird später in der Mail an Oberpfalz-Medien stehen, bringen die kritische Infrastruktur an ihr Limit. Die Fallzahlen dort, im Herzen des Gesundheitssystems, seien "auf einem noch nie dagewesenen Stand seit Beginn der Pandemie", konstatiert Claudia Prößl, Pressesprecherin am Landratsamt in dem Schreiben.
In anderen Worten: Ob Rotes Kreuz, Integrierte Leitstelle, Gesundheitsamt oder Klinikum, den essentiellen Bestandteilen zur medizinischen Versorgung gehen die Leute aus. Die Subvariante der Omikron-Mutante, im Fach-Jargon Omikron-BA.2, treibt die Fallzahlen steil nach oben. Steht die kritische Infrastruktur in Stadt und Landkreis vor dem Kollaps? Was ist nötig, um sie zu stützen? Oder ist alles ein Warnschuss, falls die Zahlen weiter steigen?
Landratsamt Neustadt/WN
Der erste Hinweis auf die kritische Situation kam also aus dem Landratsamt in Neustadt/WN. Auf Nachfrage bestätigt Pressesprecherin Prößl, dass die Aussagen der Beteiligten im Katastrophenstab "zu großer Besorgnis" geführt hätten. Auch und gerade angesichts der anstehenden Lockerungen bei extrem hohen Infektionszahlen. Wegen der zusätzlichen Aufgaben, die die Flüchtlinge aus der Ukraine mitbringen, und der Vielzahl an Ausfällen, "wird es jetzt auch bei uns richtig eng", schreibt Prößl.
Wer also in den kommenden Tagen ein Anliegen beim Landratsamt vorbringen oder einen Behördengang erledigen möchte, muss sich womöglich auf längere Wartezeiten einstellen. Wo sind die Lücken besonders groß? Klar ist, dass nicht nur Personal ausfällt, sondern in der Folge auch Mitarbeiter in anderen Abteilungen eingesetzt werden sollen. Das könne "vom Bauamt über Gewerbe- oder Jagd- und Fischereiwesen, Führerschein- und Zulassungsstelle, Abfallrecht, BaFöG, IT bis hin zum Gesundheitsamt (etwa Schwangeren- oder Suchtberatung) alles umfassen".
Stadt Weiden
In der Weidener Stadtverwaltung fällt aktuell mehr als jeder zehnte Mitarbeiter aus. Allerdings ungleichmäßig. "Es ist nicht so, dass jetzt das ganze Bauamt oder die Führerscheinstelle flach liegt", sagt Stadtsprecher Norbert Schmieglitz. Trotzdem spüre man im Rathaus das extreme Infektionsgeschehen. Ein Termin, der wegen einer Corona-Erkrankung verschoben werden muss, das könne immer passieren.
Die Ukraine-Flüchtlinge aufzunehmen und zu versorgen, bindet zusätzliche Arbeitskräfte. Das bedeutet: Verschärft sich diese Situation, kann die Stadt den Service für alle Bürger nicht mehr gewährleisten. Nehmen die Ausfälle weiter zu, "müssen wir uns auf die Erfüllung von Pflichtaufgaben konzentrieren", erklärt Schmieglitz. Dazu zählen die Flüchtlingshilfe, der Katastrophenschutz oder das Ordnungswesen. Stadtverwaltung light - unter erschwerten Bedingungen. Insbesondere die Kultur müsse dann zurückstehen, schreibt der Stadtsprecher. Mitarbeiter im Ruhestand sollen im Notfall einspringen.
Integrierte Leitstelle (ILS) Nordoberpfalz
"Noch ist es handelbar", sagt ILS-Leiter Jürgen Meyer. Rettungsdienste, die zu spät am Einsatzort ankommen, müsse niemand fürchten. "Wenn die Leute aber mit den Lockerungen unvorsichtig werden, dann gibt es einen Riss. Die Zahl der Krankentransporte wegen Covid-19 steigt bei uns massiv an." 150 seien es in den vergangenen sieben Tagen gewesen. "Wir machen uns Sorgen, wie sich das Ganze entwickelt. Die Kurve ist steil." In Kombination mit geringerer Besetzung könnte somit auch die ILS an ihr Limit stoßen.
BRK-Kreisverband Weiden/Neustadt
Sandro Galitzdörfer war bei der Besprechung am Dienstag zugeschaltet. Der Spielraum, den das Rote Kreuz noch hat, ist gering, lässt der Kreisgeschäftsführer durchblicken. In der vergangenen Woche habe es 16 positiv getestete Mitarbeiter gegeben. Das klingt bei einem Kreisverband mit mehr als 750 Mitarbeitern nach wenig. Bei eng getakteten Schichten, "geht das aber schon an die Substanz", wenn andere einspringen müssen, sagt Galitzdörfer. Meist sei die Ausfallzeit länger als eine Woche. Das Freitesten nach sieben Tagen klappe selten.
Ob Verwaltung, Pflege oder Rettungsdienst: Betroffen sind alle Bereiche. Noch könne man die Ausfälle kompensieren. Verwandte von Pflegefällen etwa müssten sich derzeit keine Sorgen machen, dass ihre Angehörigen nicht versorgt werden. Aber: "Wenn wir nächste Woche wieder so viele Fälle haben, dann bricht das System zusammen."
Klinikum Weiden
Von einem solchen Zusammenbruch ist bei den Kliniken Nordoberpfalz zwar noch keine Rede. "Extrem angespannt" sei die Lage beim Personal derzeit dennoch. Michael Reindl, der auch das Klinikum Weiden als Sprecher vertritt, spricht von 90 Mitarbeitern, die aktuell in Quarantäne sind. Insgesamt arbeiten mehr als 3000 Menschen für die Kliniken AG.
Besonders Pflegepersonal sei betroffen. Deshalb helfen nun mehr als 30 Pflege-Azubis mit. Denkbar sei zudem, einzelne Stationen zu schließen, um deren Personal andernorts einsetzen zu können. Operationen, die nicht von unmittelbarer Dringlichkeit sind, könnten weiter eingeschränkt werden. Für Geburten, Notfälle und andere unaufschiebbare Eingriffe sei jedoch immer Zeit, versichert Reindl.
Feuerwehren und Polizei
Immerhin bei den Feuerwehren herrscht derzeit noch Zuversicht. Ausfälle von Wehren habe es seit der Pandemie noch keine gegeben, sagt Alexander Kleber, der Sprecher des Kreisfeuerwehrverbandes Neustadt. Wäre eine Dienststelle nicht mehr einsatzbereit, müsste eine benachbarte Wehr einspringen. "Dies bedeutet unter Umständen längere Anfahrtszeiten." Im Notfall ein unkalkulierbares Risiko.
"Nahezu ausgeschlossen" sei es, dass seine Feuerwehr nicht ausrücken kann, meint Richard Schieder. Der Weidener Stadtbrandrat weiß rund 100 freiwillige Helfer hinter sich, sollte es tatsächlich zu übleren Einschnitten in die Personaldecke kommen. Danach sehe es aber aktuell überhaupt nicht aus. Selbst bei den Freiwilligen weiß Schieder von nur sechs Ausfällen wegen einer noch nicht auskurierten Corona-Infektion.
Ähnlich entspannt sieht die Weidener Polizei die Lage. Es gebe kaum Ausfälle. Und wenn sich doch plötzlich mehrere Mitarbeiter gleichzeitig mit Corona infizieren, "dann können wir sie immer durch Einsatzkräfte aus anderen Schichten ersetzen", sagt Polizeihauptmeister Mario Schieder. Polizei und Feuerwehr sind in Weiden also einsatzfähig.
Diese Lockerungen kommen ab 19. März in Bayern
- Regeln zu Kontaktbeschränkungen entfallen
- Kapazitäts- und Personengrenzen entfallen
- Volksfeste, Jahrmärkte und Feiern auf öffentlichen Plätzen wieder erlaubt
- Tanz- und Musikverbot in der Gastronomie aufgehoben
- Keine Sonderregeln mehr für Gottesdienste und Versammlungen
- Durch eine Übergangsfrist bis 2. April bestehen bleiben: Maskenpflicht, Zugangsregeln (2G-plus, 2G, 3G), Testpflicht in Schulen, Kitas und vulnerablen Einrichtungen wie Pflegeheimen
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