Für die rund 8100 Beschäftigten in den deutschlandweit 530 ATU-Filialen ist es eine weitreichende Entscheidung. Das Arbeitsgericht Weiden hält nach Auskunft von Richter Ferdinand Hagelstein eine Betriebsvereinbarung für unwirksam, welche die Ablösung der örtlichen Betriebsräte durch einen bundeseinheitlichen Betriebsrat vorsieht. Er gab einer Klage des Betriebsrates der Schwandorfer Filialen recht. Ursprünglich hatten dem Arbeitsgericht Weiden 36 solcher Klagen aus ganz Deutschland vorgelegen. Aus juristischen Gründen wurde nur diese eine durchgefochten.
Ungewöhnlich: Vor der Kammer des Arbeitsgerichts saßen sich am Donnerstag Betriebsrat gegen Betriebsrat gegenüber. Auf der einen Seite der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Michael Hanses und ATU - auf der anderen Seite der örtliche Betriebsrat der Filiale Schwandorf, Andreas Scheurer.
71 freigestellt
Was planen ATU und der Gesamtbetriebsrat? Künftig soll es für alle 531 ATU-Filialen einen gemeinsamen Einheitsbetriebsrat geben. Dieser Mega-Betriebsrat mit 71 freigestellten Betriebsräten soll in Weiden seine Büros haben und die Filialen reisend betreuen. Eine entsprechende Gesamtbetriebsvereinbarung wurde 2020 unterschrieben.
Die Argumente für diesen zentralen Einheitsbetriebsrat: Aktuell hat nicht einmal die Hälfte der 530 Filialen überhaupt einen Betriebsrat. Es gibt weiße Flecken auf der Deutschlandkarte, argumentierte GBR-Vorsitzender Hanses. Von 8150 werden nur 3700 Beschäftigte vertreten. "Die kriegen jetzt endlich Mitbestimmung. Wo ist hier das Böse?" 71 freigestellte Betriebsräte könnten sich besser kümmern, als die aktuell 300 örtlichen Betriebsräte, die das neben der Arbeit tun. Das neue BR-Gremium würde großzügig ausgestattet mit Technik und Reisemöglichkeiten, um erreichbar und bei Bedarf vor Ort zu sein.
Die Argumente dagegen: Örtliche Betriebsräte, wie Andreas Scheurer aus Schwandorf, vermissen in diesem Konzept die Ortsnähe. "Die Mitbestimmung lebt davon, dass man vor Ort verknüpft ist", argumentierte Anwalt Volker Görzel. "In einer Filiale kennt der Betriebsrat seine 10 oder 20 Pappenheimer, der regelt beim Kaffee viele Fragen." Er sah es auch keinen Nachteil, dass die 300 örtlichen Betriebsräte großteils im Tagesgeschäft arbeiten. Die 71 neuen Betriebsräte wären zwar freigestellt. "Aber die haben keinen Ölgeruch mehr in der Nase."
Ortsnähe das stärkste Argument
Die Ortsnähe war für die Entscheidung der Kammer letztlich das entscheidende Argument. Auf den ersten Blick erscheine die Zahl von 71 freigestellten Betriebsräten zwar groß, so Richter Hagelstein: "Aber wenn man genauer hinschaut, für wie viele Betriebe die dann zuständig sind, relativiert sich das stark." Das Konzept eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrats sei nicht für eine Struktur vorgesehen, wie sie ATU aufweise, sondern für Firmen mit wenig Filialen.
Hagelstein hatte in der Verhandlung auch erfahren, dass der Gesamtbetriebsrat die nötigen Bewerber "gerade so zusammengekratzt", so Hagelstein, habe: 71 Kandidaten stehen auf der Liste, kein einziger Nachrücker. Das spreche aus seiner Sicht nicht für Schlagkraft des geplanten Einheitsbetriebsrates. Die Entscheidung besagt, dass in Schwandorf - so wie eingeklagt - ein örtlicher Betriebsrat gewählt werden darf. Damit geht das Gericht zugleich von einer Unwirksamkeit der Gesamtbetriebsvereinbarung aus, so Hagelstein wörtlich.
Anwalt Görzel wertete die Entscheidung als "Sieg für die Mitbestimmung und Stärkung der Betriebsräte vor Ort". Er wollte das Ergebnis am Freitagnachmittag in einer Videokonferenz mit den 40 Filialbetriebsräten erläutern, die ähnliche Klagen eingereicht hatten.
Der Anwalt des Gesamtbetriebsrats, Nils Kummert, kündigte Beschwerde zum Landesarbeitsgericht Nürnberg an. "Aus unserer Sicht sprechen nach wie vor sehr, sehr gute Gründe dafür, dass es in Zukunft einen unternehmensweiten Betriebsrat geben soll". Da dies auch die Ansicht des Arbeitgebers ist, geht Kummert "fest davon aus, dass ,Konkurrenzwahlen' in den Filialen untersagt werden - notfalls mit gerichtlicher Hilfe". Die bereits vorbereitete Wahl des Einheitsbetriebsrats, die unmittelbar bevorsteht (März bis Mai), finde wie geplant statt.
Sprecher Markus Meißner nahm am Freitag Stellung für ATU. Aus Sicht des Unternehmens betreffe das Urteil nur Schwandorf und habe keine Auswirkung auf alle anderen Filialen. Zudem sei es so, dass die große Mehrheit der örtlichen Betriebsräte die Errichtung des Einheitsbetriebsrates mittrage. Die Wahl werde durchgeführt.
Statement ATU:
Unternehmenssprecher Markus Meißner veröffentlichte am Freitagnachmittag folgendes Statement:
Die Entscheidung des ArbG Weiden vom 3. Februar bezieht sich lediglich auf die ATU Filiale Schwandorf und hat folglich auch keine Auswirkung auf alle anderen ATU-Filialen. Das nun ergangene Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die Urteilsgründe stehen aus. Derzeit ist lediglich der Tenor des Urteils bekannt. Danach wurde vom ArbG Weiden festgestellt, dass es sich bei der konkreten ATU-Filiale Schwandorf um „eine betriebsratsfähige Organisationseinheit“ handelt. Der zweite Klageantrag auf Feststellung der Nichtigkeit der Gesamtbetriebsvereinbarung, die die Bildung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates zum Gegenstand hat, wurde abgewiesen.
Schon aus diesen Gründen hat die Entscheidung keine „nationale Tragweite“.
Weiterhin ist es so, dass die große Mehrheit der derzeit in den ATU-Filialen etablierten Betriebsräte die Errichtung eines unternehmenseinheitlichen Betriebsrates befürwortet und mitträgt. Insgesamt hatten ursprünglich 36 von den derzeit bestehenden über 230 lokalen Betriebsräten eine gerichtliche Klärung dieses Sachverhaltes angestrebt, wobei 35 Klagen abgewiesen oder zurückgenommen wurden.
Im Ergebnis ändert das Urteil des ArbG Weidens also nichts an der geplanten Durchführung der Betriebsratswahl. Diese wird auf Basis der weiterhin wirksam bestehenden Gesamtbetriebsvereinbarung planmäßig durchgeführt. Damit wird dann auch erreicht werden, dass die bisherigen großen, betriebsratslosen Gebiete künftig von einem Betriebsrat vertreten werden.
Die ATU-Betriebsräte
- 2001: Erster Betriebsrat in der Filiale Duisburg.
- 2002: Betriebsräte in neun Filialen gegründet.
- 2002: Konstituierung des Gesamtbetriebsrats (GBR) der ATU-Betriebsräte.
- 2009: Betriebsräte in 200 ATU-Filialen, 2012 in 300.
- Januar 2020: GBR und ATU vereinbaren Gründung eines bundeseinheitlichen Betriebsrats ab März 2022.
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