Weiden in der Oberpfalz
08.11.2019 - 10:32 Uhr

"Grenzen des Sagbaren haben sich verwischt"

"Weiden ist bunt" feiert Jubiläum. Das Aktionsbündnis entstand, nachdem Rechtsradikale 2009 durch Weiden gezogen waren. Im Gespräch mit Oberpfalz-Medien erinnert die damalige Sprecherin Maria Luise Deyerling an den Wert des Bündnisses.

Maria Luise Deyerling erinnert sich gerne an das Engagement von "Weiden ist bunt". Heute sei es mehr denn je wichtig, sich zu engagieren und Grenzen des Sagbaren klar zu benennen, sagt sie im Gespräch mit Oberpfalz-Medien. Bild: exb
Maria Luise Deyerling erinnert sich gerne an das Engagement von "Weiden ist bunt". Heute sei es mehr denn je wichtig, sich zu engagieren und Grenzen des Sagbaren klar zu benennen, sagt sie im Gespräch mit Oberpfalz-Medien.

Auf das Aktionsbündnis "Weiden ist bunt" angesprochen, entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch. Maria Luise Deyerling erinnert an den Februar 2009, als Rechtsextreme der Gruppierung "Freies Netz Süd" durch die Weidener Innenstadt zogen und ankündigten: "Weiden, wir kommen wieder." Der Ruf der Stadt schien in Gefahr. Um dem zu begegnen, schlossen sich Bürger zusammen und gründeten das Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus "Weiden ist bunt". Sie verfassten die "Weidener Menschenrechts- und Demokratieerklärung", die die Basis für alle weiteren Aktionen bilden sollte. Das Aktionsbündnis und seine Sprecher Veit Wagner, Nico Erhardt und Sebastian Flaschel treten ein "für die Respektierung der Menschenrechte und den Schutz der demokratischen Grundprinzipien". Darüber hinaus heißt es auf der Internetseite von "Weiden ist bunt": "Wir begrüßen es ausdrücklich, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen in unserem Land friedlich und in wechselseitigem Respekt voreinander zusammenleben können." Die damalige Stadträtin Maria Luise Deyerling war von Anfang an dabei. Heute lebt sie mit ihrer Familie in einem kleinen Ort in Brandenburg.

ONETZ: Wie entstand das Aktionsbündnis "Weiden ist bunt"?

Maria Luise Deyerling: Als im Februar 2002 Neonazis der Gruppierung "Freies Netz Süd" durch die Weidener Innenstadt marschierte, waren wir alle überrascht. Zwar hatte die Stadt mit einer großen Gegenveranstaltung am Oberen Markt reagiert und dadurch die Route der Neonazis blockiert. Das war schon eine riesen Sache, viele waren dabei: der Oberbürgermeister, andere Bürgermeister, der Landrat, der gesamte Stadtrat, die Altneihauser Feierwehrkapell'n – um nur einige zu nennen. Nach der Ankündigung der Neonazis, im Mai wieder nach Weiden zu kommen, wollten wir jedoch nicht mehr nur reagieren, sondern präventiv arbeiten. Oberbürgermeister Kurt Seggewiß hat sich damals meiner Meinung nach sehr vorbildlich verhalten.

ONETZ: Was hat er getan?

Maria Luise Deyerling: Er hat ganz deutlich gesagt: "Wir haben ein Problem. Und wenn wir ein Problem haben, dann stellen wir uns dem." Das war damals herausragend und nicht selbstverständlich. Schließlich gab es auch andere, die das alles klein reden wollten. Seggewiß hingegen hat einen Runden Tisch einberufen, um den er praktisch die gesamte Zivilgesellschaft versammelte: Kirchen, Gewerkschaften, Jugendamt, Polizei, Politik.

ONETZ: Wie ging es weiter?

Maria Luise Deyerling: Ich war damals für die Bürgerliste im Stadtrat. Gemeinsam mit Stadtjugendpfleger Ewald Zenger und Verdi-Bezirksgeschäftsführer Alexander Gröbner bildeten wir den Sprecherrat und gründeten das Aktionsbündnis "Weiden ist bunt". Damals entwarfen wir auch die "Weidener Menschenrechts- und Demokratieerklärung". Dadurch hatten wir am 1. Mai ein Programm, um den Rechtsradikalen entgegenzutreten. Was wir dann auch taten.

ONETZ: Was geschah am 1. Mai 2009?

Maria Luise Deyerling: Die Neonazis marschierten wie angekündigt durch die Stadt. Zeitgleich fand am Oberen Markt eine DGB-Kundgebung mit großem Rahmenprogramm statt. Da waren wir auch vertreten. Wir zeigten und erklärten unsere Demokratieerklärung, sammelten Unterschriften. Im Stockerhut begegneten wir ihnen mit einer stillen Andacht.

ONETZ: Wodurch zeichnete sich das Aktionsbündnis "Weiden ist bunt" noch aus?

Maria Luise Deyerling: Durch ganz vielfältige Aktionen. Zum Beispiel die Plakataktion "Weiden ist bunt – Wir sind dabei", bei der Geschäftsinhaber ihre Solidarität mit dem Aktionsbündnis demonstrierten. Oder die Fotoaktion "Gesicht zeigen". Wir haben auch intensiv mit Schulen zusammengearbeitet. Bei unseren Aktionen haben wir alle mit einbezogen: die Jüdische Gemeinde, Schulen, Kirchen, Verbände, Gewerkschaften. Bei "Weiden läuft bunt" sind wir bis nach Berlin gelaufen.

ONETZ: Was war Ihr einprägsamstes Erlebnis?

Maria Luise Deyerling: Eindeutig unsere Aktion "Weiden läuft bunt". Jeder Läufer – Mitarbeiter der Kliniken – legte zehn Kilometer zurück und wurde dann von einem anderen abgelöst, bis sie schließlich Berlin erreichten. Da waren wirklich viele Leute dabei. Wir sammelten Unterschriften und suchten Unterstützer für unsere Arbeit. Das Wichtigste war für uns, bekannt zu werden. Wir hatten ein Problem in Weiden und wollten zeigen, dass unsere Stadt bunt und vielfältig ist. 2010 wurde Weiden dann in Berlin (vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend - Anm. d. Red.) als "Ort der Vielfalt" ausgezeichnet. Es gab auch Widerstände, Ressentiments und Zweifel, aber auch sehr viel Zuspruch. Wir waren sehr engagiert und haben viele Leute überzeugt. Die Zusammenarbeit war sehr gut.

ONETZ: Was hat sich seitdem geändert?

Maria Luise Deyerling: Damals war uns ein geschlossener Widerstand wichtig. Wir hatten ein klares Feindbild: die schwarz gekleideten Neonazis, die durch unsere Stadt zogen. Es bedeutete zwar harte Arbeit, in der Bevölkerung ein Bewusstsein für das Problem zu schaffen, aber es war leichter als heute. Der Rechtsradikalismus ist wieder in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

ONETZ: Wie meinen Sie das?

Maria Luise Deyerling: Heute ist der Rechtsradikale schwieriger zu fassen, etwa durch die AfD und die ständig wiederholten Phrase "Wird man doch wohl noch sagen dürfen". Dahinter versteckt sich eine rassistisch diskriminierende Auffassung. Aber es sind nicht mehr die schwarz gekleideten Gestalten, die man sofort erkennt. Es gibt heute eine klare Bedrohung, viel stärker noch als vor zehn Jahren. Die Grenzen des Sagbaren haben sich verwischt. Es ist aber wichtig, Grenzlinien zu ziehen, etwa wenn der Holocaust verharmlost wird. Ich hätte nicht gedacht, dass es wieder soweit kommen könnte. Da sind schon Hemmschwellen gefallen. Eben deshalb ist es so wichtig, dass "Weiden ist bunt" sich weiter engagiert und deutlich sagt: Nicht mit uns. Je mehr dabei sind und mitmachen, desto erfolgversprechender ist es.

ONETZ: Was kann der Einzelne tun?

Maria Luise Deyerling: Aufklären. Auf Probleme hinweisen. Offen sein. In Alltagssituationen Gesicht zeigen. Freundlich sein. Den Menschen auch mal ein Lächeln schenken. Helfen, wenn jemand Hilfe braucht. Im Freundeskreis diskutieren. Ja, man muss heute viel diskutieren. Die Grenzen sind verschwommen – Dialog ist wichtig.

Neonazis der Gruppierung "Freies Netz Süd" marschierten im Februar 2009 durch die Max-Reger-Strasse. Bild: Karin Wilck
Neonazis der Gruppierung "Freies Netz Süd" marschierten im Februar 2009 durch die Max-Reger-Strasse.
Viele Weidener demonstrierten parallel dazu für eine bunte Stadt. Bild: Karin Wilck
Viele Weidener demonstrierten parallel dazu für eine bunte Stadt.
Die Polizei zeigte sich alarmbereit. Bild: Karin Wilck
Die Polizei zeigte sich alarmbereit.
Um den Neonazis in Zukunft besser begegnen zu können, gründeten Weidener das Aktionsbündnis "Weiden ist bunt". Bild: Karin Wilck
Um den Neonazis in Zukunft besser begegnen zu können, gründeten Weidener das Aktionsbündnis "Weiden ist bunt".
Am Oberen Markt demonstrierten Weidener und verhinderten dadurch einen Marsch der Neonazis durch die Stadt. Bild: Karin Wilck
Am Oberen Markt demonstrierten Weidener und verhinderten dadurch einen Marsch der Neonazis durch die Stadt.
Viele Menschen waren auf dem Oberen Markt und demonstrierten. Bild: Karin Wilck
Viele Menschen waren auf dem Oberen Markt und demonstrierten.
Oberbürgermeister Kurt Seggewiß betritt die Bühne. Bild: Karin Wilck
Oberbürgermeister Kurt Seggewiß betritt die Bühne.
Oberbürgermeister Kurt Seggewiß machte deutlich: Wenn es ein Problem gibt, muss man es benennen und sich dann daran machen, das Problem zu lösen. Bild: Karin Wilck
Oberbürgermeister Kurt Seggewiß machte deutlich: Wenn es ein Problem gibt, muss man es benennen und sich dann daran machen, das Problem zu lösen.
Die Weidener standen auf und setzten ein Zeichen. Bild: Karin Wilck
Die Weidener standen auf und setzten ein Zeichen.
Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus feiert Jubiläum:

Das Aktionsbündnis „Weiden ist bunt“ feiert sein zehnjähriges Bestehen. Dazu laden die Veranstalter am Freitag, 15. November, alle Interessierten ins Café Mitte ein. Unter dem Motto „Weiden ist bunt und soll es bleiben“ wollen sie gemeinsam mit Mitstreitern an die Anfangsjahre erinnern, in die Zukunft blicken und dabei die Werte des Aktionsbündnisses festigen.

Theater Ulüm spielt im Jugendzentrum:

Das Theater Ulüm kommt ins Jugendzentrum. Dort spielt es am Samstag, 23. November, um 19 Uhr sowie am Sonntag, 24. November, um 16 Uhr das deutsch-türkische Stück „Oh Gott, die Türken integrieren sich“. Darin behandeln die Schauspieler sensible Themen auf humoristische Weise. Veranstalter der Theaterabende ist das Aktionsbündnis „Weiden ist bunt“.

 
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