Auf Kante genäht, so heißt es oft, wenn für die nötigen Arbeitsstellen eigentlich kaum Mitarbeiter zur Verfügung stehen. Wenn der Wochenplan mit besonders heißer Nadel gestrickt werden muss, damit irgendwie doch alles klappt. Weil es muss. Wenn der Fachkräftemangel voll durchschlägt. Im Schlammersdorfer Kindergarten ist so eine Naht heuer geplatzt. Weil Erzieher fehlten, bekamen Eltern die Nachricht, dass ihre Kinder nun – zum Kindergartenstart im Oktober – doch keinen Platz bekommen können.
Für die Eltern ein Schock, für den Kindergarten die Konsequenz aus Mitarbeiter-Abgängen und -Ausfällen. Genug Azubis oder Zugänge, die das rasch auffangen hätten können, gab es nicht. Laut AWO, die Träger des Kindergartens ist, war es der erste Fall dieser Art in ihren regionalen Einrichtungen. Aber wohl kaum der letzte. Sind nur Erzieher vom Fachkräftemangel betroffen? Natürlich nicht. Hier wird er nur besonders sichtbar für die "Kunden", also die Eltern, denen ein zugesagter Platz wegbricht.
Wer sich nun die Azubi-Zahlen in den großen Oberpfälzer Firmen anschaut, kommt nicht auf die Idee, dass es einen Mangel gäbe. Im Gegenteil, es ist von Rekorden die Rede, bei ATU oder BHS etwa. Witron vermeldet mehr als 100 neue Azubis, teils mit dualem Studium. Fachkräftemangel? Haben andere. Ein Blick in grundverschiedene Branchen, die um Azubis kämpfen müssen – und welche Folgen das für Kunden hat.
100 Bewerber, das war einmal
Die gute alte Zeit kennt Michael Hahn nur von seinem Vorgänger. Hahn ist Personalleiter bei der Volks- und Raiffeisenbank Nordoberpfalz. "Locker 100 Bewerber" habe es vor rund zehn Jahren auf die Stelle als Bankkaufmann-Azubi gegeben. "Da hat man sich die Besten rausgesucht." Heute sind es noch 25 bis 30 Bewerbermappen, die auf seinem Schreibtisch landen. "Auch die Qualität der Bewerber hat abgenommen", sagt Hahn. Gut ein Drittel bekommt eine Zusage.
Gerhard Hösl, Vorstandsvorsitzender bei der Sparkasse Eschenbach-Neustadt-Vohenstrauß, ist sich, auch wenn er den Bewerberrückgang in seinem Haus ebenso kennt, sicher: "Der Beruf ist nicht tot. Es wird immer Bankkaufleute brauchen, egal wie sehr sich Banken verändern." Für Kunden, sagen beide, seien die Auswirkungen wohl noch nicht zu spüren. Noch besetzen beide Banken ihre Ausbildungsplätze, zum Teil wird sogar aufgestockt. Auch Filialschließungen seien derzeit nicht zu befürchten, sagt Hösl. Schon gar nicht wegen sinkender Bewerberzahlen.
Tatsächlich sind Weiden und der Landkreis Neustadt noch eine recht glückliche Insel, was Bankkaufleute angeht. Das legen Zahlen der IHK und der Europa-Berufsschule in Weiden nahe. In der gesamten Oberpfalz und dem Landkreis Kelheim hat sich die Zahl der Azubis in zehn Jahren fast halbiert. Die Berufsschulen in Cham und Nabburg etwa müssten darum kämpfen, überhaupt eine Klasse mit 16 Schülern zu stellen, weiß Michael Bäumler, der an der Weidener Berufsschule Bankkaufleute unterrichtet. Weiden dagegen ist mit rund 30 Azubis momentan stabil.
Wird der Haarschnitt teurer?
Wer Fachkräftemangel hört, denkt meist zuallererst ans Handwerk. Gibt es dort überhaupt ein Fach, das gegen den Trend schwimmt? Mit vielen Azubis? Erich Sperber, Kreishandwerksmeister in der Nordoberpfalz, überlegt lange. "Nein, da würde mir jetzt keines einfallen", sagt er schließlich. Die Folgen für Kunden sind unmittelbar. Ist etwa die Heizung kaputt, dauert es mit weniger Personal länger bis zum Termin. Haben die Betriebe kaum oder gar keine Wahl bei ihren Azubis, sinkt die Qualität der Handwerker in der nächsten Generation. "Da gibt´s Azubis, die lassen sich wegen einer Blase am Finger krankschreiben. Für andere geht´s da erst richtig los. Der Fachkräftemangel ist da, fertig, aus", sagt Sperber. Noch schwächer als in Ballungsräumen, ja, aber trotzdem spürbar.
Besonders betroffen seien Lebensmittelbetriebe. Also: Bäcker und Metzger. "Die Arbeitszeiten sind verpönt", weiß Sperber. Von den jungen Leuten wolle das kaum jemand noch auf sich nehmen. Mit der Konsequenz, dass kleine Betriebe ihre Öffnungszeiten reduzieren müssen – oder zusperren.
So dramatisch ist die Situation im Friseur-Handwerk zwar noch nicht, die Zahlen lesen sich dennoch wie eine Drohung an die Branche. Im Gebiet der Friseur-Innung Nordoberpfalz von Schwandorf bis hinauf nach Tirschenreuth fingen in diesem Herbst gerade einmal neun Azubis an. Bei rund 300 Friseur-Geschäften. "Früher ist man seinem Herzen gefolgt und hat gemacht, was man wirklich wollte. Jetzt stehen oft die Eltern dahinter und die Frage nach dem Verdienst." So erklärt sich Alfons Kliebhan, Obermeister der Innung, den Rückgang. "Vorerst spüren die Kunden davon nichts. Langfristig gesehen wird es aber weniger Geschäfte geben, und der Friseurbesuch teurer werden."
Kita-Platz nicht garantiert
Zurück an den Ausgangspunkt, nach Schlammersdorf und zu den Erziehern. Wo liegen dort die Gründe für den Fachkräftemangel? An einem dramatischen Bewerber-Rückgang liegt es jedenfalls nicht, wenn man Roland Kusche von der Neustädter Fachakademie für Sozialpädagogik zuhört. Mehr Akademien, mehr Klassen, mehr Azubis. In den kommenden Jahren sollen möglichst viele ausgebildete Erzieher auf den Markt. Denn: Derzeit gehen etliche von ihnen in Rente. Die Lücke, die sie hinterlassen, macht sich "extrem" bemerkbar, sagt Kusche.
Bis wann sich die vielen neuen Ausbildungsplätze bezahlt machen und die Krippen, Kitas und Kindergärten wieder etwas Luft haben, kann Kusche nicht abschätzen. "Man sieht ja, dass teilweise Krippen gebaut werden, aber dann das Personal dafür fehlt." Flüchtlingskinder aus der Ukraine, die betreut werden müssen, verstärken den Druck. "Eltern werden sich darauf einstellen müssen, dass immer wieder Dinge passieren wie in Schlammersdorf. Dass Einrichtungen sagen, wir haben einfach niemanden mehr." Womit der Mangel endgültig und schmerzhaft die Gesellschaft erreicht.
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