Berichterstattung über Suizid
Dieser Artikel behandelt das Thema Suizid. Haben Sie suizidale Gedanken, oder kennen Sie eine Person, der es so geht? Hilfe bietet die Telefonseelsorge anonym und rund um die Uhr unter den kostenlosen Nummern 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222. Auch eine Beratung über das Internet ist möglich unter www.telefonseelsorge.de
Fünf Prozent mehr Einsätze wegen Suizidgedanken oder -versuchen verzeichnete die Integrierte Leitstelle (ILS) Nordoberpfalz im vergangenen Jahr 2021. Liegt das an der Pandemie? Dass die Menschen im Moment belasteter als noch vor der Coronakrise sind, diesen Eindruck hat jedenfalls auch Friedrich Dechant, der Leiter der Telefonseelsorge Nordoberpfalz in Weiden: "Die lange Phase der Pandemie zerrt einfach an den Nerven."
Dechant und die Mitarbeiter bei der Telefonseelsorge stellen fest, dass es vor allem die Isolation ist, die den Menschen zusetzt. "Menschen, die vorher einsam waren, sind durch die Pandemie noch einsamer. Erstaunlicherweise kommen die aber oft besser damit zurecht", erklärt Dechant im Gespräch mit Oberpfalz-Medien. "Menschen, die vorher nicht mit Einsamkeit zu kämpfen hatten, haben oft mehr Probleme."
Viel Beratungsbedarf bei Studenten
Die Anrufe bei der Telefonseelsorge hätten vor allem im vergangenen Frühjahr und nun wieder im Herbst/Winter deutlich zugenommen, berichtet Dechant. "Da gab es eine Art Badewannen-Effekt. Im Sommer waren es wieder weniger Anrufe." Besonders die 25- bis 35-Jährigen oder Studierende würden unter der Isolation leiden.
Das bestätigt Verena Gödrich von der Psychologischen Beratungsstelle des Studentenwerks Oberfranken, die sich auch um die Studenten der OTH Amberg-Weiden kümmert. Die jungen Menschen berichteten häufig von Problemen, ihren Verpflichtungen nachzukommen. "Vielen Studierenden schien es in den Online-Semestern schwer zu fallen, ihren Alltag selbstständig sinnvoll zu strukturieren."
Gerade zu Studienbeginn hatten viele außerdem Angst keine sozialen Kontakte knüpfen zu können und sozial isoliert zu sein. Während der zweiten und dritten Welle machte sich dann Hoffnungslosigkeit unter den Studenten breit, berichtet Gödrich. "Viele sahen ihre Entwicklungsziele im Studium gefährdet, wie ein Praktikum oder Auslandssemester oder hatten Sorge, dass sie keinen Arbeitsplatz finden werden." Grundsätzlich steige der Beratungsbedarf unter Studenten seit Jahren stetig an.
Kein Anstieg der Polizeieinsätze
Immerhin: Die Psychologin kann nicht bestätigen, dass ihrer Meinung nach mehr Studierende als noch vor der Pandemie mit Suizidgedanken kämpfen würden. Auch die Zahlen aus dem Polizeipräsidium Oberpfalz bestätigen nicht den Trend der ILS zu mehr Einsätzen wegen Suizidgefahr. So hat es im Jahr 2019 in der ganzen Oberpfalz 1525 polizeiliche Einsätze wegen Suizidgefahr gegeben. 2020 waren es 1403. Im Jahr 2021 lag die Zahl bei 1455 – und damit unter dem Wert von vor drei Jahren. Eine steigende Zahl an Einsätzen wegen Suiziden ist daraus also nicht ersichtlich.
Wie stark die Pandemie Menschen belaste, hänge grundsätzlich von der persönlichen Resilienz – also der Widerstandsfähigkeit gegenüber psychischen Belastungen – ab, erklärt der Ärztliche Direktor des Medbo-Bezirksklinikums Wöllershof, Dr. Markus Wittmann. Grundsätzlich bestätigt auch der Mediziner, dass Krisen häufig junge Menschen besonders belasten: "Gerade jüngere Menschen, die durch eine Krise ihre persönliche, soziale oder berufliche Entwicklung beeinträchtigt sehen, treffen Krisen oft härter." Daneben seien auch ältere Menschen mit nur wenig vorhandenen Sozialkontakten und alle, die durch die Pandemie berufliche Einschnitte mit finanziellen Folgen hinnehmen mussten, besonders belastet.
Die Beschwerden der Patienten am Bezirksklinikum Wöllershof hätten sich durch die Pandemie aber nicht grundsätzlich verändert. Ob die Zahl der Patienten während der Krise zugenommen hat, kann der ärztliche Direktor nicht abschließend beantworten. Denn die Infektionsschutzmaßnahmen hätten zeitweise Einfluss auf die stationäre Belegung genommen. Grundsätzlich seien – wie bei anderen Krankenhäusern auch – aber Verzögerungseffekte denkbar. Also dass Behandlungen, etwa auch für psychische Erkrankungen, wegen den Auswirkungen der Pandemie hinausgezögert werden. Bei psychischen Erkrankungen mit möglichen fatalen Folgen: Sie könnten vermehrt entgleisen und mit einer höheren Rate von Suizidalität und Suizidgedanken einhergehen, so der Mediziner.
Wo gibt es Hilfe?
Doch was soll man tun, wenn man selbst mit düsteren Gedanken kämpft? Friedrich Dechant von der Telefonseelsorge rät: "Es ist wichtig, sich klar zu machen, dass man bessere und schlechtere Tage hat. Und auch mal bessere und schlechtere Phasen an einem Tag." An den besseren Tagen solle man versuchen, Kontakte zu pflegen. Einen Anruf machen oder wenigstens eine E-Mail schreiben, "denn Suizidalität hat auch immer viel mit Isolation zu tun".
Auch Psychologin Verena Gödrich erklärt: "Depression ernährt sich von einem Mangel an positiver Stimulation. Deswegen ist es wichtig, sich so gut es geht, zu aktivieren und für angenehme Erfahrungen zu sorgen." Die Expertin rät beispielsweise ein "Positivtagetuch" zu führen, in dem man jeden Tag festhält, was gut gelaufen ist. Auch Bilder von geliebten Menschen, Urlaubsfotos, Erinnerungen an schöne Momente können helfen. "Alles, was einem zeigt, dass man 'mehr ist' als die depressiven Gedanken, ist gut."
Wenn eine niedergeschlagene Stimmung aber sehr lange anhält oder man sich sozial zurückzieht, sollten Betroffene sich Hilfe holen, rät die Expertin. "Eine erste gute Anlaufstelle ist der Hausarzt." Weitere Optionen seien auch die psychologischen Beratungsstellen der Caritas. Daneben gebe es mittlerweile viele kostenfreie Online-Selbsthilfetools, zum Beispiel "Moodgym". Die Beratung der OTH sei außerdem ein niederschwelliges Angebot für Studierende und Promovierende. "Studierende können sich mit allen Problemen melden, die sie beschäftigen – nicht nur in Bezug auf das Studium."
Was sind Warnsignale?
Dr. Markus Wittmann erklärt: "Warnsignale, die man an sich oder anderen entdecken kann, sind unter anderem sozialer Rückzug, Gefühle von Hoffnungslosigkeit oder Verzweiflung oder tiefer Resignation, aus denen sich Suizidalität entwickeln kann." Dennoch: "Klare Grenzen, wann es gefährlich wird, gibt es nicht. Im Zweifel gilt, lieber frühzeitig fachlichen Rat suchen." Dieser müsse nicht grundsätzlich gleich zu einer Diagnose oder Behandlung führen. "Ein beratendes Gespräch kann für Betroffene auch mit der entlastenden Erkenntnis enden, dass Ängste, Ratlosigkeit und Gefühle der Ohnmacht zumindest bis zu einer gewissen Ausprägung in Krisen jeden treffen – den Experten ebenso wie den Laien."
Wie als Angehöriger helfen?
Und wie kann man als Angehöriger eines Betroffenen helfen? "Offen ansprechen und vorher um Erlaubnis bitten, darüber zu sprechen", rät der Leiter der Telefonseelsorge. "Keine Vorwürfe machen im Sinne von ,Du machst ja schon wieder nichts'." Und auch wenn Betroffene das häufig nicht sehen könnten, ist laut Friedrich Dechant die wichtigste Botschaft: "Es gibt Hoffnung und ein Licht am Ende des Tunnels. Auch dunkle Phasen vergehen."
"Es gibt Hoffnung und ein Licht am Ende des Tunnels. Auch dunkle Phasen vergehen."
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