In der Jugendpension (JuP) wohnen Jugendliche aus allen sozialen Schichten, sagt Mischa Giehl. Der 30-Jährige arbeitet seit sieben Jahren bei der JuP. Die Einrichtung am Fuße des Giesinger Bergs lernte der Parksteiner bereits 2010 kennen, als er dort ein sechsmonatiges Praktikum absolvierte. In dieser Zeit studierte Giehl in Landshut Soziale Arbeit. Die Arbeit in der Schutzstelle sei seinem damaligen Berufswunsch eines Streetworkers sehr nahe gekommen – auch wenn die Jugendlichen, für die er als Betreuer eine Art persönliche Anlaufstelle ist, nicht auf der Straße leben.
Die Jugendpension nimmt Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren auf. Zudem bietet sie im Rahmen der Jugendhilfe eine Notunterkunft für junge Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren. Ist sie voll belegt, wohnen hier 18 männliche und 7 weibliche Jugendliche. Die Bewohner wechseln häufig: Jährlich leben in dieser Übergangseinrichtung im Rahmen der Wohnhilfe rund 150 Menschen. Für die Betreuer ist das keine einfache Aufgabe, denn sie müssen sich immer wieder neu auf jeden Einzelnen einstellen. Im Gespräch mit Oberpfalz-Medien schildert Giehl seine Erfahrungen.
ONETZ: Was sind das für Leute, die in der Jugendpension leben?
Mischa Giehl: Hier wohnen Jugendliche – Jungen und Mädchen, die aus unterschiedlichen Gründen nicht mehr zu Hause leben können oder wollen. Die Gründe dafür sind relativ vielfältig. Manchmal sind die Eltern überfordert, etwa weil sie mit dem Verhalten ihrer Kinder nicht klar kommen. Oder sie sind mit ihrem eigenen Leben überfordert, weil sie zum Beispiel selbst Drogen- oder Alkoholprobleme haben. Manchmal versuchen die Jugendlichen auszubrechen, zum Beispiel aus einem zu strengen Regelsystem oder aus beengenden kulturellen Vorgaben. Wir haben hier auch Fälle von massiver Bedrohung der Jugendlichen, insbesondere der Mädchen durch die eigene Familie, bei uns.
Im Grunde wohnen hier Jugendliche aus allen Schichten. Es gibt chronische Schulverweigerer, Jugendliche mit Drogen- oder psychischen Problemen, solche, die kriminell aufgefallen sind, ebenso unauffällige Jugendliche genauso wie auch Gymnasiasten, die immer brav ihre Hausaufgaben machen. Seit einigen Jahren betreuen wir auch Flüchtlinge.
ONETZ: Wie finden die Jugendlichen den Weg in die JuP?
Mischa Giehl: Das ist unterschiedlich. Manche kommen direkt von ihrer Herkunftsfamilie, vermittelt durch das Jugendamt. Andere waren zuvor schon in anderen Jugendhilfemaßnahmen. Und dann gibt es bei uns auch sogenannte Systemsprenger, die die Möglichkeiten der Jugendhilfe sprengen und Schwierigkeiten haben, eine andere Einrichtung zu finden, die bereit ist, sie aufzunehmen. Weil sie ansonsten auf der Straße landen würden, nehmen wir sie im Rahmen der Inobhutnahme bei uns auf. Im Sozialgesetzbuch ist klar geregelt, dass Jugendliche in Deutschland nicht obdachlos sein dürfen.
ONETZ: Welche Ziele verfolgt die JuP?
Mischa Giehl: Die Jugendpension ist eine Schutzstelle für Jugendliche. Unsere Bewohner sind existentiell mit allem versorgt, was man zum Leben braucht. Sie haben ein Dach über dem Kopf. Es gibt eine Dusche. Sie bekommen warmes Essen. Hier sind sie in Sicherheit.
Wir arbeiten eng mit dem Jugendamt und den Sorgeberechtigten zusammen. Gemeinsam wollen wir einen Weg finden, wie es für die Jugendlichen weitergehen kann. Was die Bleibedauer anbelangt, sind drei Monate sinnvoll. In der Realität bleiben viele länger hier, weil oft alles nicht so einfach ist.
ONETZ: Wohnen die Jugendlichen denn gerne in der JuP?
Mischa Giehl: Unterschiedlich. Wir sind hier eher spartanisch eingerichtet. Wir verstehen uns als Übergangseinrichtung. Dafür hat aber auch jeder ein Einzelzimmer. Das ist nicht selbstverständlich, aber wir halten das für sinnvoll. Viele müssen erstmal zur Ruhe kommen und sich Gedanken machen. In Zweier- oder Dreierzimmern wäre das Konfliktpotential zu hoch. Wegen der Übersichtlichkeit und aus Schutzgründen dürfen sie keine Freunde auf ihren Zimmern empfangen und nicht selbst für sich kochen – das kritisieren sie manchmal. Manche kommen mit den Regeln nicht klar. Andere sind gerne hier, fühlen sich gut aufgehoben und verstanden. Manche schimpfen während ihres Aufenthalts bei uns, kommen aber danach immer wieder zu Besuch. Es ist wirklich sehr unterschiedlich.
ONETZ: Kommen die Jugendlichen miteinander gut klar?
Mischa Giehl: Gemessen an unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlichen Geschlechtern und den Problemen, die sie mitbringen, haben wir hier erstaunlich wenig Konflikte. Sonst ist es bei uns vergleichbar mit anderen Orten, an denen Jugendliche zusammenkommen, zum Beispielen an Schulen. Oft spüren sie eine große Perspektivlosigkeit. Sie befinden sich alle in einer schwierigen Lebensphase: Was will ich im Leben? Wie kann ich das erreichen? Wie schaffe ich es, dranzubleiben? Das sind Fragen, die sie für sich beantworten müssen. Viele Biografien zeigen, dass die Eltern nicht drangeblieben sind.
ONETZ: Gibt es Probleme mit Nachbarn?
Mischa Giehl: Wir sind hier mitten in einem Wohngebiet. Über den Innenhof sind wir direkt mit den Nachbarn verbunden, die verständlicherweise ihre Ruhe haben möchten. Oft gibt es Beschwerden wegen Ruhestörung. Als Pädagogen versuchen wir, gegenseitiges Verständnis zu fördern.
ONETZ: Ist Ihre Arbeit nicht anstrengend und belastend?
Mischa Giehl: Ja, anstrengend ist sie natürlich. Man muss flexibel und krisenfest sein. Wir haben im Schnitt 150 Jugendliche pro Jahr. Jeder Fall ist anders. Man muss sich immer wieder neu auf jeden Einzelnen einstellen. Oft mangelt es an Anerkennung. Auch Einzelschicksale belasten manchmal. Dann grübelt man auch daheim. Das muss sich aber in Grenzen halten, weil man den Job sonst nicht lange durchhält.
ONETZ: Inwiefern mangelt es an Anerkennung?
Mischa Giehl: Wir investieren viel Zeit und Nerven – das wird oft nicht gesehen. Das ist aber in allen Bereichen so, in denen Menschen mit Menschen arbeiten, weil Erfolg hier kaum messbar ist.
ONETZ: Wie halten Sie das durch?
Mischa Giehl: Einzelne Erfolgsgeschichten helfen sehr. Ein einfaches Danke oder ein freundliches Wort von Bewohnern baut auf. Natürlich muss man immer im Hinterkopf behalten, dass man nicht jedem helfen kann. Nicht jeder lässt Hilfe zu. In der Freizeit gehe ich zum Ausgleich gerne Bouldern oder in die Berge.
ONETZ: Welche Eigenschaften muss man für diesen Job mitbringen?
Mischa Giehl: Wir sind sehr unterschiedliche Typen hier. Man muss sich gut ergänzen im Team. Je unterschiedlicher die Charaktere, desto besser. Wir reden viel miteinander. Man sollte krisenfest und nicht nachtragend sein, nicht immer alles so eng sehen, das ist wichtig. Man muss viel vergeben können, dann ist es für einen selbst auch einfacher. Die Jugendlichen betonen immer wieder, dass wir verständnisvoller sind als andere Einrichtungen. Das stimmt wahrscheinlich auch: So schnell fliegt hier niemand raus. Viele der Jugendlichen haben schon etliche Beziehungsabbrüche erlebt, sei es in der eigenen Familie, sei es in früheren Einrichtungen. Wir wollen Beziehungen aushalten, auch wenn es mal schwierig ist.
ONETZ: Woher kommt ihr Interesse für diese Arbeit?
Mischa Giehl: Ich halte es für richtig und wichtig, dass man sich um andere Personen kümmert, die nicht so viel Glück haben wie man selbst. Es gibt sehr unterschiedliche Schicksale. Es ist gut zu wissen, dass man im kleinen Rahmen etwas tun und verändern kann.
Die Arbeit ist hier sehr abwechslungsreich und kurzweilig. In der JuP bekommen wir einen Einblick in die Suchthilfe und kooperieren mit der Polizei, Psychiatrie, Sozialarbeit und unterschiedlichen Einrichtungen aus der Jugendhilfe.
Es ist mir aber auch wichtig, dass kein zu negatives Bild von diesen Jugendlichen entsteht – die Zusammenarbeit in der JuP macht sehr viel Spaß und ist oft auch lustig. Jeder hat seine eigene Geschichte. Es gibt immer Gründe, warum jemand hier ist. Wenn man das im Hinterkopf behält, kann man gut zusammenarbeiten und ist auf einem guten Weg. Dann bewegt sich auch was.
ONETZ: Und warum arbeiten Sie in München in der JuP, und nicht in Weiden?
Mischa Giehl: Die Klientel und die niedrigschweilige Arbeitsweise ist hier ähnlich wie die eines Streetworkers, nur eben stationär. Das hat mich schon immer interessiert. Die Jugendlichen leben zwar nicht auf der Straße, sind aber viel draußen und hängen mit ihren Cliquen ab. In Weiden wäre eine solche Tätigkeit nicht möglich gewesen, weil es solche Maßnahmen wie Inobhutnahmestellen damals nicht gab. Ich weiß nicht, wie das heute ist. Der Bedarf wäre sicher da. Gerade weil sich in ländlichen Regionen Familienstrukturen im Gegensatz zu früher immer mehr auflösen. Dadurch fällt bei vielen Jugendlichen ein Ort weg, an dem sie geschützt sind und Rückhalt erfahren. Das wird in Zukunft auch in Weiden eine Herausforderung sein.
In Weiden gibt es keine Inobhutnahmestelle für Jugendliche, die mit der Münchener Jugendpension vergleichbar wäre, teilt die Stadt auf Nachfrage mit. Doch auch in Weiden gibt es Kinder und Jugendliche, die Schutz bedürfen. Der erste Schritt des Jugendamtes bestehe stets darin, im familiären Umfeld des Kinder eine Lösung zu finden. Ist das nicht möglich, gebe es verschiedene Alternativen.
Das Kinderhaus St. Elisabeth in Windischeschenbach etwa nimmt Kinder im Alter zwischen sechs Monaten und zehn Jahren auf. Die heilpädagogischen Wohngruppen von Dr. Loew sowie das Heilpädagogische Heim am Weidingweg bieten Platz für Jugendliche bis 18 Jahren. Hat der Schutzbedürftige seine Schulpflicht bereits erfüllt, übernehme das Jugendamt die Kosten für eine Unterbringung in einer Pension.
In Regensburg und Cham sollen laut Jugendamt Wohngruppen aufgebaut werden. Sozialpädagogen sollen die Jugendlichen dabei in ihrem Alltag begleiten.
Obdachlosenunterkünfte sind erwachsenen Schutzbedürftigen vorbehalten.
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