Weiden in der Oberpfalz
05.06.2019 - 10:34 Uhr

"Rien ne va plus" fürs Wirtshaus

Einen Geldregen von 30 Millionen Euro hatte Ministerpräsident Markus Söder den bayerischen Wirten versprochen. Herausgekommen sind ein paar Tropfen und viel Ärger, statt der Lust zu investieren.

Dehoga-Kreisvorsitzender Robert Drechsel wirft die 14 Seiten seines Antrags für das Gaststättenmodernisierungsprogramm in den Wind. 25 Minuten hatte er zum Ausfüllen gebraucht. Andere Wirte waren schneller und er ebenso wie viele Kollegen chancenlos, eine Förderung auch nur zu beantragen. Bild: Gabi Schönberger
Dehoga-Kreisvorsitzender Robert Drechsel wirft die 14 Seiten seines Antrags für das Gaststättenmodernisierungsprogramm in den Wind. 25 Minuten hatte er zum Ausfüllen gebraucht. Andere Wirte waren schneller und er ebenso wie viele Kollegen chancenlos, eine Förderung auch nur zu beantragen.

Wilhelm Hägler hat es geschafft. Er hat einen Antrag beim Gaststättenmodernisierungsprogramm des Wirtschaftsministeriums gestellt. Sein Kollege Robert Drechsel war zu langsam. Eigentlich ist es eine Frechheit, hier von mangelnder Geschwindigkeit zu reden. 23 Minuten nach Freischaltung des Antragsportals bei der Regierung hieß es „rien ne va plus“ – nichts geht mehr.

„Es war ein Chaos da durchzukommen. Bei einem Vertipper musste man wieder von vorne anfangen“, erinnert sich Hägler. Der Pächter hat zusammen mit dem Eigentümer vor, das Schützenhaus am Hetzenrichter Weg behindertengerecht umzubauen. Zwei Wochen Vorlauf hatten sie, um die Unterlagen für den Antrag vorzubereiten. Wenig Zeit für Kostenvoranschlag, Bestätigung der Bank und um einen Architekten zu finden. „Auf der Internetseite mit dem Antrag war dann vieles anders als auf dem, den man im Vorfeld herunterladen konnte.“

„Das beim ‚Gastrofrühling’ vor 3000 Wirten angekündigte Programm wurde sehnsüchtig erwartet“, sagt Ursula Zimmermann aus Neunburg vorm Wald. Die Geschäftsführerin des Vereins zum Erhalt der Bayerischen Wirtshauskultur (VEBWK) spricht von insgesamt 125 Anträgen für alle sieben bayerischen Regierungsbezirke, nach denen das Antragsportal geschlossen worden sei. Insgesamt seien 15 Millionen Euro zur Verfügung gestanden und geschätzt 10 Millionen bereits weg.

„Wir haben mit dem Förderprogramm offensichtlich ins Schwarze getroffen und einen großen Bedarf adressiert. Die Nachfrage ist überwältigend“, hieß es aus dem Wirtschaftsministerium. Doch eine genaue Zahl war weder von dort noch von der Regierung in Regensburg zu bekommen. „Nach Auswertung der im ersten Förderaufruf abgerufenen Antragssummen wird es möglichst zeitnah einen zweiten Förderaufruf geben“, teilte das Wirtschaftsministerium mit. Insgesamt stünden 30 Millionen Euro für das Programm im Doppelhaushalt 2019/2020 für ganz Bayern zur Verfügung.

Nach 25 Minuten hatte Drechsel, der Wirt vom „Alten Schuster“, den 14-seitigen Förderantrag im Internet ausgefüllt. Pünktlich um 10 Uhr hatte er begonnen, zehn Minuten vorher war das Portal noch nicht freigeschaltet. „Beim Absenden kam ein rotes Fenster: Alle Anträge vergeben.“ Ein Kollege aus Niederbayern habe berichtet, dass bei ihm schon nach 20 Minuten nichts mehr gegangen sei. Drechsel: „Ich habe mich geärgert und mir beim Verband Luft gemacht.“

Der Wirt ist Kreisvorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga) und findet drastische Worte: „Das ist wie Würstchenschnappen. Wer hoch und schnell genug schnappt, ist erfolgreich. Ich finde das erniedrigend.“ Drechsel befürchtet, dass die Wirte ebenso an Fördertöpfe gewöhnt werden könnten wie die Landwirte. „Wir haben uns immer selbst ernährt und keine Zuschüsse gebraucht.“

Viel wichtiger als diese Zuschusspolitik nennt er eine Steuersenkung für das Gastgewerbe. Statt den reduzierten Mehrwertsteuersatz in der Hotellerie für die Finanzierung der Grundrente aufzugeben, sollte er auch in der Gastronomie eingeführt werden. Drechsel, Hägler und auch Zimmermann sehen das als wirkungsvolles Mittel gegen das Wirtshaussterben. Mit den so eingesparten Steuern hätten die Wirte finanzielle Luft für dringend notwendige Investitionen.

Das ist wie Würstchenschnappen. Wer hoch und schnell genug schnappt, ist erfolgreich. Ich finde das erniedrigend.

Robert Drechsel

Robert Drechsel

Nächste Antragsrunde ist versprochen:

"Erfreulich" nennt es die Regierung der Oberpfalz, dass das Gaststättenmodernisierungsprogramm auf sehr große Resonanz gestoßen ist. "Das Antragskontingent ist im ersten Förderaufruf ausgeschöpft und das Antragsportal daher vorübergehend geschlossen." Derzeit finde bayernweit eine Auswertung und Bestandsaufnahme der tatsächlichen Antragssummen statt. Anschließend werde es zeitnah mit einem weiteren Förderaufruf weitergehen. "Es stehen noch ausreichend Mittel zur Verfügung. Dieser Aufruf wird vom Wirtschaftsministerium mit entsprechendem Vorlauf öffentlich und auf der Webseite des Wirtschaftsministeriums bekannt geben." (ui)

Kommentar:

Feigenblatt macht niemand satt

Super. Markus Söder hat das Flehen der Wirte und Gäste erhört und sein Wirtschaftsministerium angewiesen, mit Wiederbelebungsmaßnahmen gegen das Wirtshaussterben zu beginnen. Ob ein Zuschussprogramm den Modernisierungsstau auflösen kann, oder das besser durch eine langfristige Steuersenkung geschieht, darüber mögen sich die Experten und Verfechter der ein oder anderen Theorie die Köpfe heiß reden. Wichtig ist, dass etwas vorwärts geht.
Das klappt aber nicht, wenn man für ganz Bayern gerade einmal 125 Betrieben die Chance gibt, sich um Zuschüsse zu bewerben. Selbst wenn es am Ende des Bewerberrennens um die begehrten Geldtöpfe 500 sein könnten, ist das viel zu wenig. Unterstützung ist nötig. Der Andrang der Bewerber um finanzielle Hilfe zeigt das deutlich. Da sind sich Wirte, Politiker, Ministerialbeamte und Gäste einig. Über ein einigermaßen gerechtes Wie sollte man aber schnell ebenfalls zu einem Ergebnis kommen.
Auch für den ein oder anderen Nachfolger alternder Wirtsleute in Stadt und Land wäre so ein Programm ein gutes Argument, den elter- oder großelterlichen Gasthof weiterzuführen. Bleibt es aber beim politischen Feigenblatt, setzt sich das Wirtshaussterben fort. Dann heißt es in noch mehr Orten: Hier bleibt die Küche kalt.

Uwe Ibl

 
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