Weidener Krankenschwester: Demo vorbei am Klinikum ist "blanker Hohn"

Weiden in der Oberpfalz
26.10.2020 - 19:03 Uhr

Judith Rath aus Püchersreuth hatte am Samstag als Krankenschwester Dienst im Weidener Klinikum, als die "Querdenker"-Demonstranten dort vorbeizogen. Sie bezeichnet deren Tun in folgendem Leserbrief an Oberpfalz-Medien als "blanken Hohn".

Auf einer Isolierstation muss medizinisches Personal vor Betreten eines Patientenzimmers Schutzkleidung anziehen. Eine Weidener Krankenschwester hält es für Hohn, dass die Demonstranten am Samstag am Klinikum vorbeizogen - "Dort, wo die Pflegekräfte mit Mundschutz, Kittel, Maske, Haube, Brille und Handschuhe Tag und Nacht um das Leben der Covid-Erkrankten gekämpft haben."

Ich bin Krankenschwester am Klinikum Weiden und hatte Spätdienst, als die Demonstranten vorbeizogen. In einer Zeit wie dieser, die sich niemand so ausgesucht hat und in der wir alle mit Einschränkungen leben müssen, kann ich dafür leider kein Verständnis aufbringen.

Sie ziehen durch die Straßen von Weiden und fordern lautstark ihre Freiheit zurück. Ich frage mich immer noch: Welche Freiheit denn? Sie leben in Deutschland, einem freien, demokratischen Land mit aktuell kleinen Einschränkungen, geschuldet einer Pandemie, die im Moment leider die ganze Welt im Griff hat. Was genau fehlt diesen Menschen? Was geht ihnen in ihrem Leben ab? Und warum ist ihnen dieser Ruf nach Freiheit wichtiger als die Solidarität zu ihren vor allem alten und vorerkrankten Mitmenschen, die zeitlich absehbar ist?

Ihr Weg durch die Straßen führte sie auch am Klinikum Weiden vorbei, der blanke Hohn. Dort, wo die Pflegekräfte mit Mundschutz, Kittel, Maske, Haube, Brille und Handschuhe Tag und Nacht um das Leben der Covid-Erkrankten gekämpft haben. Dort ziehen sie vorbei.

Sie, die nicht die geringste Ahnung davon haben, wie qualvoll die Menschen aufgrund dieses Virus’ dahinvegetiert und nicht wenige am Ende verstorben sind. Sie, die nicht erahnen können, wie schmerzlich es für Angehörige war, ihre Liebsten wochenlang nicht besuchen zu können und am Ende mit einer Handvoll Familienmitglieder beerdigen zu müssen. Sie, die nicht wissen können, dass es an manchen Tagen mehr Leichen gab als Kühlmöglichkeiten. Sie, die dieses Leid nicht aushalten mussten, weil sie diese Erfahrungen, die wir als Krankenhauspersonal machen mussten, nie erleben brauchen.

Sie ziehen am Krankenhaus vorbei, fordern ihre Freiheit und verleugnen diese Pandemie.

Sollte ein ebensolches Horrorszenario wie im Frühling erneut eintreffen, würde ich diese Menschen gerne einladen, uns einen Tag zu unterstützen und ihnen dieses menschliche Elend vor Augen führen. Vielleicht würden sie ihren Ruf nach Freiheit hinten anstellen, sich solidarischer zeigen und ihren Fokus auf die wirklich wichtigen Dingen im Leben legen.

Bleiben Sie alle gesund!

OnetzPlus
Weiden in der Oberpfalz26.10.2020
Weiden in der Oberpfalz26.10.2020
Weiden in der Oberpfalz26.10.2020
Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.

Dr. Jürgen Spielhofen

Mir wurde gesagt, dass die ursprüngliche Marschroute wegen der Gegendemonstranten von der Polizei am Klinikum vorbei umgeleitet wurde. Das wäre - ggfs. von der Polizei selbst - zu klären um falsche Schlussfolgerungen zu zerstreuen.

27.10.2020
Gerhard Stahl

Vielen Dank Frau Rath für Ihren Beitrag. Für mich ein bewegender Kontrast zu dieser unsäglichen Demo in Weiden. Ich kann Sie gut verstehen, dass das für Sie "blanker Hohn" war.

Habe gerade einen Beitrag in OTV über die Querdenker-Demo in Weiden gesehen und auch die Berichte dazu hier auf onetz gelesen. Die dort enthaltenen Äußerungen der Teilnehmer dürfen nicht unkommentiert bleiben. Glauben denn diese Leute wie dieser Herr Bauer als Veranstalter den Unfug, den sie da von sich geben? (Herr Bauer, der in einem anderem onetz-Bericht angegeben hat, nur einen Corona-Fall zu kennen, sollte sich vielleicht mal in seinem Heimatort umhören).

Wo sind uns denn Freiheiten genommen: wir sind zugegeben in unserer Bewegungsfreiheit und in anderen Rechten eingeschränkt - ich habe mal gelernt: die Grenzen der eigenen Freiheit bestimmen die Rechte der Mitmenschen - im Jetztfall das Recht der anderen auf Gesundheit (Art.2, Satz 2 des Grundgesetzes: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit). In diesem Rahmen bewegen wir uns noch immer.

Und dass die Meinungsfreiheit nicht eingeschränkt ist, ist offensichtlich - sonst könnten diese Querdenker nicht "für die Freiheit" demonstrieren und so einen Unsinn von sich geben.

Die Folgen einer solchen Demo ohne Abstand und Masken haben wir alle auszubaden - bei den derzeitigen Infektionswerten in Weiden und auch im Landkreis wirds nicht mehr lange dauern.

Nur gut, dass viele der Demonstranten von teils weit her angereist waren, und ihre möglichen Infektionen mit in ihre Heimatorte genommen haben. Die Mitbürger dort in Stuttgart oder anderswo werden sich freuen. Und wenns diesmal nicht geklappt hat mit der Weiterverbreitung, dann vielleicht bei der nächsten Demo.

Und Sie, Frau Rath, und Ihre Kolleginnen und Kollegen im Klinikum werden wieder hautnah erleben, dass das Ganze kein Spiel und auch keine "leichte Grippe" ist. Viel Kraft dafür. Von den Demonstranten wird Ihnen dabei keine/keiner helfen. Vielleicht steht eine/einer da und applaudiert Ihnen. Einladen Ihnen zu helfen können Sie diese Leute schon, aber es wird keine/keiner kommen...

27.10.2020
Antonia Lindner

Das sehe ich ganz genauso. Frau Rath, Ihnen und allen Menschen die helfen: Vielen Dank und alle Kraft der Welt! Es gibt viel, viel mehr Menschen, die Ihnen ebenso danken, nur tun sie das nicht so laut wie Quer- bzw Garnicht-denkende...

27.10.2020