Wenn einer an Wunsiedel einen Narren gefressen hat, dann Roland Busch. Fast zu jedem Anlass erwähnt der Vorstandsvorsitzende des Siemens-Konzerns derzeit die 9300-Einwohner-Stadt Wunsiedel. So etwa vor wenigen Tagen in der ZDF-Nachrichtensendung „heute“. In einem Interview anlässlich seines ersten Jahres als Konzernchef sagte Busch unvermittelt, dass Wunsiedel ein hervorragendes Beispiel für das Gelingen einer dezentralen Energieversorgung sei. Zum Verständnis: Siemens, ehedem Kraftwerksausrüster, beschreitet seit knapp drei Jahren einen neuen Weg. Mittlerweile rücken immer mehr die erneuerbaren Energien in den Fokus des Weltkonzerns.
Kein Wunder, dass Siemens Wunsiedel längst nicht mehr als nebensächliches exotisches Experimentierfeld für technische Innovationen betrachtet. „Wunsiedel ist ein hervorragendes Beispiel einer Stadt, die wir im Prinzip energieunabhängig machen, die sich über erneuerbare Energien versorgt“, sagte Busch in der Hauptnachrichtensendung zur besten Sendezeit einem Millionenpublikum an den Bildschirmen. Dabei ging der Siemens-Chef auch auf technische Details wie Micro-Grids (Anmerkung: Bauteile für ein intelligentes Stromnetz) ein. Damit nicht genug: Bevor der Journalist Busch von seinem Lieblingsthema abbringen konnte, sagte der Siemens-Chef noch schnell, dass Wunsiedel ein super Beispiel sei, das sich auf viele weitere Städte ausrollen lasse. Dass viele Zuschauer in ganz Deutschland mit dem Ort Wunsiedel wahrscheinlich gar nichts anfangen konnten, war Busch offenbar nicht bewusst. Zumindest verzichtete er darauf, den Ort Wunsiedel näher vorzustellen.
Wer Marco Krasser, den Geschäftsführer des Wunsiedeler Energieversorgers SWW, auf diesen und andere Fernsehbeiträge anspricht, erntet ein eher schüchternes Lächeln. Klar ist ihm die überregionale Aufmerksamkeit für das maßgeblich von ihm angestoßene Energiewunder recht. Aber so ganz wohl fühlt er sich im Mittelpunkt des medialen Interesses dann doch nicht. Weit lieber referiert er – ganz Ingenieur – die technischen Zusammenhänge der Energiezukunft à la Wunsiedel.
"Unbezahlbare Werbung"
Etwas anders Bürgermeister Nicolas Lahovnik: „Klar spüre ich, wie die Aufmerksamkeit für Wunsiedel steigt“, sagt er im Gespräch mit der Frankenpost und verhehlt nicht, wie sehr er sich über die „unbezahlbare Werbung“ für die Stadt freut. „Wenn der Vorstandsvorsitzende von Siemens bei öffentlichen Auftritten immer wieder über Wunsiedel spricht, Fernsehteams von ZDF, Arte oder ntv über uns berichten und in Magazinen wie der 'Wirtschaftswoche' oder 'natur' große Reportagen erscheinen, bleibt das nicht ohne Folgen.“ So seien in jüngster Zeit gleich mehrere Unternehmen auf Wunsiedel als Standort aufmerksam geworden.
Dabei geht es zum überwiegenden Teil um den sogenannten CO2-Fußabdruck, der in der Wirtschaft ein immer wichtigeres Kriterium wird. Je kleiner er ist, umso besser und zukunftsfähiger ein Unternehmen. „Es macht eben einen Unterschied, ob ich Prozesswärme aus Erdöl oder Kohle gewinne oder aus regenerativen Quellen wie grünem Wasserstoff. Wir hören aus vielen Gesprächen heraus, wie bedeutsam dies mittlerweile ist“, sagt Lahovnik. Daher sei ihm mit Blick auf das große interkommunale Gewerbegebiet Plärrer nicht bange. Wenn Wunsiedel überregional im Gespräch sei, bleibe der Name der Stadt bei so manchem Unternehmer hängen.
„Vision oder Wahnsinn – wie ein Dorf Wege aus der Klimakrise findet.“ So titelte jüngst das ZDF-Fernsehmagazin „TerraXpress“ einen Beitrag über Wunsiedel. Auch das „Morgenmagazin“ des öffentlich-rechtlichen Senders griff den sogenannten Wunsiedeler Weg auf.
Amazon-Doku
Weltweit immer bekannter wird Wunsiedel zudem dank des Dokumentarfilms „Alles auf grün“, der derzeit noch exklusiv bei Amazon Prime zu sehen ist. Abrufbar ist er in mehreren Sprachen unter anderem in Großbritannien und den USA. Wenn demnächst die Lizenz erlischt, soll der 36-minütige Streifen auch auf der Plattform Youtube zu sehen sein und noch weit mehr Zuschauer erreichen.
Potenziale erschließen
Dass die Wunsiedeler Melange aus Photovoltaik, Windkraft, Biomasse und grünem Wasserstoff – digital vernetzt und gesteuert – das Zeug hat, eine Blaupause für die künftige Energieversorgung Deutschlands zu sein, steht nicht nur für Siemens-Konzernchef Roland Busch fest. Etliche Kommunen aus der Region und die Landkreise Wunsiedel, Tirschenreuth und Neustadt an der Waldnaab haben sich in der Zukunftsenergie Nordostbayern (Zenob) zusammengeschlossen, um gemeinsam die hiesigen Potenziale für regenerative Energien zu erschließen.
Nun wollen Nicolas Lahovnik und Marco Krasser auch Klima- und Wirtschaftsminister Robert Habeck vom Wunsiedeler Weg der Energiezukunft überzeugen. „Wir haben ihm bereits zu seinem Ministeramt gratuliert und ihn nach Wunsiedel eingeladen“, sagt der Bürgermeister. Noch hat er keine Antwort erhalten. Allerdings: Auch dem Vizekanzler dürften die vielen Beiträge über Wunsiedel nicht entgangen sein. Es dürfte für ihn demnach kein Argument geben, die Einladung auszuschlagen.
„Wenn der Vorstandsvorsitzende von Siemens bei öffentlichen Auftritten immer wieder über Wunsiedel spricht, bleibt das nicht ohne Folgen.“













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