Als König von Haus zu Haus: Erlebnisse für ein ganzes Leben

Wutschdorf bei Freudenberg
08.01.2023 - 16:05 Uhr
OnetzPlus

Allerorten zogen in den vergangenen Tagen die Sternsinger von Haus zu Haus. Was im Hintergrund geschieht, bekommen nur die wenigsten mit. Wir haben die Sternsinger aus Wutschdorf begleitet vom Schminken bis zum Schokolade-Verteilen.

Der liebe Gott ist überall, das merkt man auch an diesem Tag. Während die Kirchenoberen im rund 1000 Kilometer entfernten Vatikan den emeritierten Papst Benedikt XVI. zu Grabe tragen, weht der Geist der Heiligkeit durch die Kirche St. Martin in Wutschdorf. Die 17 Sternsinger der Pfarrgemeinde sind zusammengekommen, um den Ablauf der Aussendungsfeier zu proben. "Das ist besonders in diesem Jahr eine kleine Herausforderung", sagt Ministranten-Mama Barbara Gerl. Denn die beiden Corona-Jahre haben Spuren hinterlassen. "Viele ältere Sternsinger haben aufgehört und die Kleinen haben noch keine so große Erfahrung."

Farbe für den Melchior

Eingeschüchtert sind die Mädchen und Buben allerdings nicht. Barbara Gerl und der Pfarrer, Moses Gudapati, haben Mühe, Ordnung in den quirligen Haufen zu bringen. Die Sternsinger mit den Königen Kaspar, Melchior und Balthasar stellen sich gruppenweise auf, voraus geht ein Ministrant mit dem Kreuz und dahinter die "Rauchträger" mit dem Pfarrer. Ein schöner Festzug wird das - das sieht man schon am Tag zuvor. Die Probe sollte eigentlich eine Stunde dauern, aber es sind zwei geworden. Zu viele Fragen mussten noch geklärt werden: Darf ich in Schleißdorf von Haus zu Haus gehen? Warum bekomme ich nur ein Kopftuch und keine Krone? Was machen wir, wenn der Sternträger ausfällt? Wer macht eigentlich den Altardienst? Die Ministrantenbetreuer brauchen auf alles eine Antwort. Auch auf die Frage, ob nun Melchior schwarz angemalt wird oder nicht.

Mit den Wutschdorfer Sternsingern unterwegs

hat Kontextmenü

In Wutschdorf sind die Verantwortlichen da pragmatisch. "Unsere Kinder haben durchaus ein Gespür für Diversität", sagt die Sprecherin des Pfarrgemeinderats, Johanna Köbler. "Ihnen ist es wichtig, dass auch andere Kulturen sichtbar werden." Andererseits gibt es Sternsinger, die sich nicht gerne schminken lassen, einfach weil die Farbe juckt und im Laufe des Tages auf die Kleider abfärbt. "Deswegen dürfen die Melchiore selber entscheiden, ob sie Farbe tragen oder nicht." Die drei Kumpel Clemens, Michael und Rocco (alle 10) lassen sich diese Gaudi nicht entgehen. Also rückt am Dreikönigstag um 8.30 Uhr extra für sie Monika Altmann von der Freudenberger Bauernbühne mit Theaterschminke an. Dass das ein Spaß wird, ist den Gesichtern der Kinder anzusehen.

Es geht zu wie in einem Ameisenhaufen, eineinhalb Stunden vor Beginn des Festgottesdienstes. Im Minutentakt werden die Weisen aus dem Morgenland gekrönt, streifen sie sich ihre neuen Brokat-Gewänder über. Heuer kleiden sich die Mädchen und Buben besonders stolz, denn im Advent haben fleißige Näherinnen aus der Pfarrgemeinde neue Königskleider genäht. "An drei Samstagen waren die Frauen mit dem Schneidern beschäftigt", erzählt Köbler. "Ohne sie wäre das heuer alles halb so schön." Oberministrantin Luisa Meßmann (15) führt eine der fünf Gruppen, sie hat sich ein violettes, mit goldfarbenen Fäden durchwirktes Gewand ausgesucht. Zusammen mit Helena Piehler (15) spricht sie mit den kleineren Sternsingern noch einmal den genauen Ablauf des Gottesdienstes durch.

Die Kinder vollenden Weihnachten

Die Kirche ist fast voll an diesem Tag und die Pforten stehen weit offen, damit die Sternsinger einziehen können. Zum Klang der Orgel schreiten die 17 königlichen Hoheiten samt Sternträgern und Ministranten zum Altar. Dort erklärt Pfarrer Gudapati, was es mit dem uralten Brauch des Dreikönigssingens auf sich hat. "Was die Kinder an diesem Tag machen, ist die Vollendung von Weihnachten: Die Sternsinger bringen die Botschaft, dass das Böse ein Ende hat und alles gut wird, in jedes Haus." Der Segensspruch "20 C+M+B+ 23" an der Tür soll das ganze Jahr über davon künden. Eine Mammutaufgabe für die 17 Kinder bei geschätzt 500 Häusern an diesem Tag. Am Schluss des Gottesdienstes steigt die Spannung. Bevor sie aufbrechen singen sie alleine vor allen anderen Gläubigen ihr Sternsingerlied "Wir kommen daher aus dem Morgenland". "Da kann nichts schiefgehen, weil euch die Orgel begleitet", hatte Mama Gerl zuvor die Kinder beruhigt und Recht behalten. Die Orgel hielt den Ton.

Draußen brummen bereits die Motoren von fünf Autos mit geöffneten Türen. Zuerst geht es hinaus in die umliegenden Pfarrdörfer, auf abgelegene Höfe - zum Berghof, Stauberhof, Traglhof, nach Baumgarten und Oberpennading. "Das ist immer ein Erlebnis für die Kinder", berichtet Pfarrgemeinderat Hans Riß. Noch ein größeres Erlebnis war das in den 1970er-Jahren. Damals wurden die Sternsinger auch bei Schneetreiben in Schleißdorf abgesetzt und mussten dann zu Fuß und bei einbrechender Dunkelheit die vier Kilometer über Witzlricht bis nach Hainstetten gehen. Heute unvorstellbar, damals völlig normal.

Notruf in der Sternsinger-Leitstelle

Während die Kinder unterwegs sind wandelt sich das Pfarrheim zur Sternsinger-Leitstelle. Alle paar Minuten klingelt das Handy, wird durchgegeben, wie viele Häuser noch unbesucht sind. Derweil holen Ministranten-Eltern riesige Behälter mit Schnitzel und Pommes vom Gasthaus Dotzler. Die Weisen aus dem Morgenland stehen mehr auf Ketchup statt auf Myrrhe, die rote Soße ist reichlich dabei. Nach dem Essen liegt die größte Anstrengung vor den Kindern - die Siedlung, Häuser wie am Fließband. Doch die Mädchen und Buben sind guter Dinge und freuen sich. Viel Kundschaft bedeutet auch viele Spenden und Süßigkeiten. Mehrmals müssen die Papas losfahren, um die Tragetaschen der Kinder zu leeren. Sie könnten die Schokolade, Kekse und Gummibärchen sonst nicht mehr tragen.

Gegen 17 Uhr ist Königs-Showdown, die erste Gruppe meldet Vollzug und wird gleich weiter geschickt in die Pfarrer-Schatz-Straße, wo die ursprünglich eingeteilten Könige scheinbar nicht vom Fleck kommen. Es zieht sich, sie werden in Wohnungen gebeten, in einen Ratsch verwickelt, müssen Spaziergänger auf der Straße segnen und zwischendrin mindestens noch vier Chipstüten vertilgen. Es ist mittlerweile finster und die Sternsinger, die ins Pfarrheim zurückkehren sind, ziemlich fertig.

Der Tisch quillt über

Alles riecht nach Weihrauch: Auto, Kleidung, Haut und Haare. Aber so, wie das Weihwasser gegen de Haustüren spritzte, so sprudeln die Geschichten aus den Kindern heraus: Wie sie in einem Hausgang den Rauchmelder ausgelöst haben, wie einer sie nicht singen lassen wollte, weil er angeblich Kopfschmerzen hatte, und wie sie der Wirt in die Gaststube gebeten hat, um vor dem Stammtisch zu singen.

Es ist noch einmal wie an Weihnachten. Der Tisch quillt über von den gesammelten Süßigkeiten. Schnapspralinen und Geleekugeln kommen ganz nach hinten, die gefragten Schoko-Marken nach vorne. Die beiden Oberministrantinnen müssen viel Fingerspitzengefühl beweisen, um das Süßzeug gerecht zu verteilen. Auf halber Strecke schlagen die Kinder selber vor, den Rest der Amberger Tafel zu spendet. „Das kann ja keiner alleine essen“, hat Anton (10) richtig erkannt.

Derweil zählt Pfarrgemeinderat Wolfgang Gerl das Geld, das extra den Sternsingern zugedacht wurde. Die Spenden für die Kinder in Indonesien sind in den schwarzen Büchsen gelandet. 2517 Euro sind an diesem Tag alleine in der Pfarrei Wutschdorf für die Gleichaltrigen am anderen Ende der Welt zusammengekommen. Die Mädchen und Buben sind zufrieden – auf den großen Betrag sind sie überhaupt nicht scharf. „Das ist klar, dass das in die Dritte Welt geht“, sagt Luisa Messmann. „Dafür machen wir das ja.“ Natürlich machen es die Sternsinger auch für sich selbst, aber an das denken sie heute nicht. Es werden Tage wie diese sein, von denen sie selbst einmal ihren Kindern erzählen.

Hintergrund:

Aktion Dreikönigssingen

  • Das Dreikönigssingen ist ein uralter Brauch im deutschsprachigen Raum, also auch in Österreich und in der Schweiz.
  • In Deutschland wurde das Dreikönigssingen 1959 institutionalisiert. Rund 100 Pfarrgemeinden beteiligten sich an einer ersten gemeinsamen Aktion zum Spendensammeln.
  • Seit 1991 gibt es bei der Aktion ein einheitliches Motto mit einem Partnerland in der Dritten Welt, in dem soziale Projekte unterstützt werden.
  • Ihre Höhepunkte hatte die Aktion im Jahr 2002 mit 12.836 Gemeinden und im Jahr 2019 mit über 50 Millionen Euro an Spenden.
  • Heuer ist Indonesien das Partnerland. Das Motto lautet: "Kinder stärken- Kinder schützen".
 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.