Es ist kalt und nass, immer mal wieder nieselt es. Bei solch schlechtem Wetter bleiben wohl viele zu Hause und machen es sich auf dem Sofa bequem. Für Martin ist das keine Option: Er spielt fast täglich „Pokémon Go“. „Wenn ich die Schulaufgaben korrigiert und den Stoff für den Englischunterricht vorbereitet habe, schlüpfe ich in meine Turnschuhe, werfe mich in meine dicke Jacke und schnappe mir mein Smartphone“, erzählt er.
Martin ist 30 Jahre alt, von Beruf Lehrer und spielt seit dem ersten Tag „Pokémon Go“. Das bedeutet: Seit dem 13. Juli 2016 bewegt er sich in der Pokémon-Welt. Seit diesem Tag ist das AR-Spiel in Deutschland verfügbar. AR bedeutet „Augmented Reality“, was übersetzt „Erweiterte Realität“ heißt. Das bedeutet, der Spieler sieht mit seiner Smartphonekamera die reale Umgebung auf dem Display. Gleichzeitig tauchen auf dem Bildschirm aber auch virtuelle Figuren und Elemente auf. Bei „Pokémon Go“ hat jeder Spieler eine eigene Spielfigur, die sich auf einer virtuellen Landkarte bewegt. Um im Spiel von A nach B zu gelangen, muss man sich im „echten Leben“ nach draußen begeben und viel spazieren gehen. Genau wie „Ash Ketchum“, der Hauptfigur der Pokémonserie, streifen die Spieler durch die Lande und finden verschiedene Pokémon, also kleine Fantasiemonster.
Sich an der frischen Luft bewegen ist für Martin kein Problem. Er ist sportlich und pfeift seit vielen Jahren als Schiedsrichter auf den Fußballplätzen der Region. „Seit 2016 bin ich alleine und mit Freunden fast 4000 Kilometer für ‚Pokémon Go‘ gelaufen“ berichtet er stolz. Die genaue Kilometerzahl kennt Martin, weil das Spiel mit der GPS-Funktion gekoppelt ist.
Elf Arenen in Kemnath
Die Zahl der Spieler ist im Kemnather Land auch nach drei Jahren noch sehr groß. „In Kemnath macht es richtig Spaß zu zocken“, erzählt Martin. „Es gibt elf Arenen und zahlreiche Pokéstops.“ An den „Stops“ erhalten die Spieler Bälle und Tränke. In den Arenen, kann man gegen andere Spieler kämpfen. Das bedeutet man lässt eines seiner Pokémon gegen das des Gegners antreten. Die kleinen Monster haben je nach Art unterschiedliche Fähigkeiten. „Mir gefällt es, dass die Entwickler immer wieder neue Funktionen in das Spiel einbauen. Es passiert also ständig etwas.“ Neue Spielmöglichkeiten und neue Pokémon lassen keine Langeweile aufkommen.
Dass Kemnath so gut „ausgestattet“ ist, liegt an den zahlreichen Spielern mit hohem Level. Sie können an die Firma Niantic, die „Pokémon Go“ entwickelt hat, Vorschläge für weitere „Pokéstops“ und Arenen weitergeben. Auf dem absteigenden Ast ist das Smartphonespiel im Kemnather Raum also noch lange nicht. Täglich sieht Martin ihm unbekannte Spieler durch die Stadt laufen. Seine Schüler hingegen sieht er nicht so oft. „Aber einen Schüler habe ich an seinem Spitznamen im Spiel erkannt“, verrät er. „Als ich ihn in der Pause angesprochen habe, hat sich ein lustiges Gespräch ergeben.“
Erstes Gameboyspiel 1996
Treffpunkte und Neuigkeiten zum Spiel werden in einer Whatsapp-Gruppe ausgetauscht. Am Kriegerdenkmal, dass im Spiel eine Arena ist, trifft sich Martin mit Ben, Michael, Manuel, Katharina und Christian. Auch sie wollen, wie Martin, nur ihren Vornamen in der Zeitung lesen. Die Spieler sind zwischen zwanzig und dreißig Jahre alt, berufstätig und kennen Pokémon seit ihrer Kindheit. 1996 kam das erste Gameboyspiel in die Läden, ein paar Monate später sah man die Taschenmonster als Anime über den Bildschirm hüpfen. „Ich hatte damals schon den „Gameboy-Color“, prahlt Manuel lachend.
Aus einer Seitenstraße kommt eine junge Frau auf die Gruppe zu. Sie hat ein Handy in der Hand. „Eindeutig eine Spielerin“, vermutet Martin. Und tatsächlich. „Spielt ihr Pokémon?“, fragt sie etwas schüchtern und stellt sich als Sabine vor. Sofort werden Handynummern für die Whatsapp-Gruppe ausgetauscht und zack ist Sabine „aufgenommen“. Martin berichtet, dass „bereits 57 Leute in der Gruppe sind.“
Ben blickt auf sein Handy. „Ich glaub‘ wir sin‘ alle, also pack mas an!“ In der Arena startet ein sogenannter „Raidkampf“. Martin schaut gespannt auf das Display seines Smartphones. Bei einem „Raidkampf“ (Raid bedeutet übersetzt „Überfall“) können besondere Pokémon bekämpft und am Ende gefangen werden. Hier gibt es auch unterschiedliche Schwierigkeitsstufen. „Die kleinen Raids schaffe ich alleine, aber heute brauchen wir schon mindestens fünf gute Spieler“.
Kampf dauert zwei Minuten
Vor dem Kampf werden Martin sechs Pokémon aus seiner Liste vorgeschlagen. Diese sind besonders stark. Dann läuft der Countdown. Es wird still und der Kampf geht los. Alle tippen wild auf ihre Handys, fluchen, freuen sich, tippen weiter. „Oh nein, schon zwei Pokémon verloren!“, ruft einer. „Yes“ ruft ein anderer. Nach nicht mal zwei Minuten ist der Kampf vorbei. Jetzt besteht die Chance das Pokémon zu fangen. Martin summt die Titelmelodie der TV-Serie vor sich her: „Komm und schnapp sie dir“, singt er und mit einem gekonnten Wurf fängt er das „Kobalium“, dass wie ein Hirsch mit zwei blauen Hörnern aussieht.
Nun zieht die Gruppe zur nächsten Arena weiter. Immer wieder vibriert das Handy. Ein Zeichen dafür, dass ein weiteres Pokémon erschienen ist. Auf dem Display erscheint der Schriftzug: „Ein wildes Taubsi erscheint“. „Taubsi“ ist eine braune Taube aus der ersten Pokémongeneration“, erklärt Martin.
Im Spiel gibt es inzwischen fünf „Generationen“ mit insgesamt 640 Pokémon. Das wohl bekannteste ist „Pikachu“. Es ist ein kleines, nagerähnliches Wesen. Der Großteil seines Körpers ist dabei gelb gefärbt und im Gesicht hat es zwei rote Bäckchen. Im Mai diesen Jahres gab es eine Besonderheit. Pikachu tauchte im Spiel mit einer braunen Schirmmütze auf. Grund dafür war der Kinostart von „Meisterdetektiv Pikachu“. In der Realverfilmung begeben sich Pikachu und die Hauptfigur Tim Goodmann auf die Suche nach dessen Vater.
Nach einer Stunde Pokémonsammeln verabschiedet sich Martin. „Die Finger werden trotz der Handschuhe schnell kalt, da reagiert das Display nicht mehr so gut“, grinst er.
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