Hauptfigur dieser Kolumne sind Sie. Los geht's. Eins, zwei, drei. Vielleicht noch vier, fünf Sekunden. Na, sind Sie noch dabei? Oder ist die Konzentration flöten und das Interesse an diesem Artikel verloren gegangen? Wahrscheinlich denken Sie schon an die Einkaufsliste für den Eintopf zu Mittag oder was verflucht nochmal Sie in die Geburtstagskarte für Tante Resl schreiben sollen. Und wie stehen eigentlich die Aktien? Dabei wollten Sie doch diese Kolumne lesen.
Eine fesselnde, mitreißende Kolumne zu schreiben ist Schwerstarbeit am lebenden Leser, also Ihnen. Es ist Überzeugungsarbeit nötig, dass es sich lohnen könnte, auch den nächsten und übernächsten Abschnitt anzuschauen. Gerät der erste Satz daneben, ist der Rest für die Katz. Wenn die ersten Wörter nicht sitzen, finito, weg damit. Drei Sekunden nimmt sich eine Leserin oder ein Leser im Durchschnitt, höchstens fünf. In etwa so lange, wie ein bewusstes, tiefes Ein- und wieder Ausatmen dauert. Probieren Sie es bei Gelegenheit, beim nächsten Atemzug, doch einmal aus. Sind Sie überhaupt noch da? Hoffentlich.
Wie packe ich jetzt Ihr Interesse, ziehe und zerre Sie zurück zwischen diese Zeilen, umgarne Sie, lasse nicht mehr los und gebe Ihnen am besten ganz zum Schluss (nicht spicken!) noch einen Gedanken mit auf den Weg, der mindestens die nächsten drei Stunden im Kopf kreist? So ganz sicher nicht. Der Satz ist ja viel zu lang. Eine aus Worten gestrickte Stolperfalle, ein garantierter Rausschmeißer gar. Was tun?
"Nennt mich Ishmael." „Es war ein klarer, kalter Tag im April, und die Uhren schlugen dreizehn.“ „Alle Kinder, bis auf einen, werden erwachsen.“ "Ilsebill salzte nach." Wenn es bei einem dieser Sätze klingelt: richtig, Weltliteratur. Allesamt geniale Sätze, erste Sätze. Reinzieher-Sätze. So beginnen Beststeller und Nobelpreiskandidaten.
Aber ich will keinen Nobelpreis. Ich will, dass Sie weiterlesen und dranbleiben. Also: Fährten auslegen, Köder anbieten, offene Fragen stellen, die einer Antwort harren.
Was schätzen Sie: Wie viele unserer Abonnenten im Onetz lesen sich einen beliebigen Text komplett durch und erreichen den letzten Buchstaben? Drei Viertel? Zwei Drittel? Die Hälfte? Es ist gerade einmal etwa jeder dritte Leser. Und beinahe jeder Zehnte wirft schon nach ein paar Sekunden das Handtuch, beziehungsweise die Zeitung.
Ach ja: Falls Sie sich fragen, wann es endlich losgeht mit dieser Kolumne. Ob ich endlich über meinen letzten Urlaub schreibe oder über die schwere Bürde des Älterwerdens. Sorry. Das übernehmen meine Kolleginnen und Kollegen im nächsten OTon wieder. Danke für Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit.
OTon
Wir sind junge Mitarbeiter von Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne "OTon" schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen.
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