Viel zu früh: Junge Frauen sprechen über die Trauer um ihren Vater

Oberpfalz
24.04.2020 - 14:19 Uhr
OnetzPlus

Wie geht es jungen Erwachsenen, wenn sie sehr früh ihren Vater verlieren? Drei junge Oberpfälzerinnen sprechen über Trauer, Angst und Wut. Sie erinnern sich an ihre Väter und an die Lücke, die plötzlich in der Familie klaffte.

Es ist immer schwer einen geliebten Menschen zu verlieren. Besonders schlimm ist es oft für Kinder und junge Erwachsene, wenn ein Elternteil stirbt.

Von Maria Oberleitner, Kathrin Moch und Susanne Forster

Sie haben ihre Väter verloren – mit 16, 19 und 21. Drei junge Oberpfälzerinnen erzählen. Sie erinnern sich an Rollrasenteppich, Krankenhausflure im Neonlicht und Autofahrten mit „Die Ärzte“. Erinnern sich an Trauer, Ängste und Wut und erzählen vom schmerzlichen Vermissen und der erdrückenden Leere, die da mitten in der Familie klafft – und wie sie damit umgehen, damals und heute.

Lena (27): „Es ist in Ordnung, anders zu trauern“

64 Euro kostet der Rollrasenteppich, der bei Beerdigungen um eine Grabstelle gelegt wird, damit die schwarze Erde, die für das Grab ausgehoben wird, nicht so traurig erscheint, wie die Situation in Wahrheit ist. 64 Euro, denke ich, was für eine Frechheit. Die verwenden den doch immer wieder.

Während andere Menschen an Gräbern weinen, stehe ich versteinert da. Ich denke an den Rollrasen, und dass man ihn im Baumarkt für 1,99 Euro pro Quadratmeter bekommt. Nicht weil ich nicht traurig bin, dass mein Papa gestorben ist, sondern weil es so schlimm für mich ist, dass ich nach jedem Strohhalm greife, nicht darüber nachdenken zu müssen. Weil ich den Schmerz nicht spüren will, weil ich es nicht wahrhaben will.

Der Sarg wird mit einem elektrischen „Aufzug“ hinab in die Erde gelassen. Er macht ein furchtbar unpassendes, elektrisches Geräusch. Ob der schon einmal auf halber Strecke versagt hat? Was machen die dann? Den Toten einfach in das Loch plumpsen lassen? Ich muss mich zusammen reißen, um bei der Vorstellung nicht laut los zu lachen. Auf einer Beerdigung. Auf der Beerdigung meines Papas. Gott, wie unpassend.

Aber ich kann es einfach nicht ertragen. Die traurigen Menschen um mich herum, die mitleidigen Blicke. All das macht meinen Schmerz spürbar und das will ich nicht.

Eine Sache beruhigt mich: Mein Papa war ein fröhlicher Mensch, der immer für einen Witz zu haben war. Ich lache trotzdem nicht los. Ich weiß, wie wichtig den anderen Menschen dieser Moment ist. Ich musste erst lernen, dass es in Ordnung ist, auch anders zu trauern. Dass es kein Richtig oder Falsch gibt, wenn man einen geliebten Menschen verliert. Dass es erlaubt ist, in vermeintlich unpassenden Situationen zu lachen oder zu weinen.

Dass das Wichtigste ist, seinen eigenen Weg durch diese schlimme Zeit zu akzeptieren. Es fängt an zu regnen und der Rollrasen wird nass. Wie die den wohl wieder trocknen?

Anna (29): „Wir haben Rituale entwickelt“

Wie können seit dem Tod meines Vaters acht Jahre vergangen sein? Acht Jahre, in denen die Welt sich weiterdrehen konnte? Bis heute kann ich es kaum fassen, wie die Zeit einfach weiter vergangen ist. Dass damals im August nicht die Uhren stehengeblieben sind und die Welt nicht aufhörte, sich zu drehen. An einem Freitag im August starb mein Vater. Krebs.

Er war ein Kämpfer, was uns als Familie noch drei gemeinsame Jahre verschaffte – die Prognose der Ärzte überlebte er um ein Vielfaches. Mein Glück. Die zusätzliche Zeit, die wir hatten, zerrann in unseren Händen. Aber wir wollten sie nutzen – und sie schweißte uns zusammen. Wir haben als Familie ganz eigene Rituale entwickelt, die hineinpassten in die Welt, in der wir jetzt lebten. Wir mussten dem Warten mehr Leben geben.

Dem Warten in Krankenhausfluren mit Neonlicht, dem Warten vor Türen, hinter denen CT oder Chemotherapie stattfanden. Wenn ich mit meinem Abendessen in der Tupperdose ins Krankenzimmer kam, wusste ich, dass mein Vater mir seinen Joghurt aufgehoben hatte. Solche kleinen Rituale waren wichtig für mich – das merke ich vor allem jetzt in der Rückschau.

Ich hatte die Möglichkeit, mich ganz langsam zu verabschieden. Ich konnte stundenlang mit ihm über die Welt reden. Oder schweigen. Und ich versuchte, mir möglichst viel einzuprägen. Dinge, die ich mir für immer bewahren wollte.

Schon, als er noch am Leben war, hatte ich große Angst vor dem Vergessen. Vor acht Jahren im August begann die Angst auf einmal zu Kreischen, die Leere zu wummern, die Wut nahm mir manchmal die Luft. Das Vergessen kam schließlich, das Gefühl aber blieb. Inzwischen kann ich das Vergessen akzeptieren. Denn ich weiß, das Gefühl „Papa“ wird bleiben – für immer.

Luisa (25): „Ich muss das jetzt allein schaffen“

„Fehlt dir dein Papa?“, ist eine Frage, die ich bis heute nicht gestellt bekommen habe. Sieben Jahre ist es her, als mein Papa den Kampf gegen den Krebs verloren hat. 19 Jahre war ich damals alt und steckte mitten im Studium. „Ja, natürlich vermisse ich ihn“, würde ich antworten. Jetzt lebe ich ohne ihn. Ohne einen Vater in meinem Leben.

Und trotzdem hatte ich großes Glück. Glück, einen „Ersatzpapa“ an meiner Seite zu haben. Meinen Onkel. Darüber nachgedacht, ob mir ohne Vater etwas fehlt im Leben, habe ich nicht. Ich habe es gespürt. „Ich muss das jetzt allein schaffen“, dachte ich mir. Und auch wenn meine Mama immer für mich da ist, musste ich mir eingestehen: Manchmal braucht es einfach einen Papa.

Natürlich wird er nie wieder neben mir sitzen und mir Ratschläge geben können. Nie wieder werden wir gemeinsam durch den Park spazieren. Und nie wieder werde ich Gelegenheit haben, ihn mit Fragen zu löchern. Diese Wunde klafft noch immer. Doch es gibt jemanden, ohne den ich wahrscheinlich nicht einmal mein Studium durchgezogen hätte. Der mich bestärkte, immer wenn ich kurz davor war, aufzugeben.

Ersetzen kann er meinen Papa zwar nicht. Schon deshalb nicht, weil er quasi keinen Musikgeschmack hat. Das ist etwas, womit mich mein Vater schon, als ich noch in den Kinderschuhen steckte, geprägt hat. Ich erinnere mich noch gut an unsere gemeinsamen Autofahrten, bei denen meistens „Die Ärzte“ liefen und ich die Texte fröhlich mit trällerte. Bei meinem Onkel bekam ich nur „B5 aktuell“ in Dauerschleife zu hören. Eher nichts, das meinen Musikgeschmack nachhaltig beeinflusst hat.

Doch mein Onkel ist für mich da. Immer, wenn ich eine Vaterrolle im Leben brauche. Oder einfach einen guten Rat.

Regensburg13.08.2019
Wernberg-Köblitz16.11.2018
Klicken Sie hier für mehr Artikel zum Thema:
 
 

Kommentare

Um Kommentare verfassen zu können, müssen Sie sich anmelden.

Bitte beachten Sie unsere Nutzungsregeln.