30.12.2021 - 12:58 Uhr

Trauer und falschverstandene Solidarität

Vor einem Jahr hat Wolfgang Ruppert seine Großmutter durch das Coronavirus verloren. Im aktuellen OTon spricht er über die Gefühle, die besonders an Weihnachten hochkommen und fragt sich, was manche Menschen unter Solidarität verstehen.

Im aktuellen OTon schreibt Wolfgang Ruppert über das Abschiednehmen und über falschverstandene Solidarität. Bild: Petra Hartl
Im aktuellen OTon schreibt Wolfgang Ruppert über das Abschiednehmen und über falschverstandene Solidarität.

"Sogar die Freunde und Verwandten entführt uns der Tod", schreibt Arthur Schopenhauer in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit. Nur kommt es dabei auch stark auf das Wie an. Bald ist es ein Jahr her, da stand ich mit meiner Familie an einem einsamen und nassen Grab. Wir mussten Abschied von meiner Großmutter nehmen. Grund dafür, dass so gut wie niemand sonst da sein durfte, war die Coronapandemie. Das Virus war auch der Grund, warum wir uns von meiner Oma verabschieden mussten.

Trotz ihres Alters war meine Oma eine lebensfrohe Frau, die sicherlich noch nicht sterben wollte. Doch das Virus hatte sie erwischt. Erst Krankenhaus, dann Intensivstation. Wenige Stunden bevor sie ins Koma versetzt wurde, hatte ich noch die Möglichkeit, mit ihr zu telefonieren, um mich von ihr zu verabschieden. Ich saß dabei bei strömendem Regen in meinem Auto auf dem Redaktionsparkplatz. Es folgte ein wochenlanger Todeskampf. Am Ende ist sie, man kann es nicht anders sagen, jämmerlich erstickt, ganz alleine. Bis heute sitzt der Schmerz darüber tief. Ich bin nicht alleine damit. 42 Menschen in Amberg und 188 im Landkreis sind seit Pandemiebeginn an den Folgen einer Coronainfektion gestorben - Eltern, Geschwister, Partner und Freunde.

Über die Feiertage hat sich das Gefühl breit gemacht, dass jemand fehlt, der unter anderen Umständen vielleicht noch da sein könnte. Stille Nacht, wehmütige Nacht. Gedanken über Dinge, die nicht hätten sein müssen, aber nun mal so und nicht anders sind.

Am Montag habe ich mir die Demonstration der Gegner der Coronapolitik am Marktplatz in Amberg angeschaut. Es waren Hunderte Teilnehmer da. Unter anderem treten sie für die individuellen Freiheitsrechte ein - ohne Zweifel ein hohes Gut, das, wie ich finde, in den vergangenen Jahren manchmal einen zu geringen Stellenwert in der Debatte um die Pandemie genommen hat. Aber auch hier kommt es darauf an, wie man dafür auf die Straße geht.

In meinem Fall ist das Gefühl der Trauer über die Feiertage schnell dem des Entsetzens gewichen. Ich würde gerne von euch, ihr rund 400 Teilnehmer am Amberger Marktplatz, wissen, die ihr unter anderem zu Aussagen wie "das Virus existiert nur in den Köpfen" applaudiert habt und euch das Wort "Solidarität" auf die Fahne schreibt: Habt ihr jemals auch nur einen einzigen Gedanken an die verschwendet, die geliebte Personen durch das Virus verloren haben?

OTon23.12.2021
Hintergrund:

OTon

Wir sind junge Mitarbeiter der Oberpfalz-Medien. In unserer Kolumne „OTon“ schreiben wir einmal in der Woche über das, was uns im Alltag begegnet – was wir gut finden, aber auch, was uns ärgert. Dabei geht es weniger um fundierte Fakten, wie wir sie tagtäglich für unsere Leser aufbereiten, sondern um unsere ganz persönlichen Geschichten, Erlebnisse und Meinungen. Wir wollen zeigen, dass nicht nur in Hamburg, Berlin oder München Dinge passieren, die uns junge Menschen bewegen. Alle Teile dieser Kolumne sind zu finden unter onetz.de/oton.

 
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