Nach Aussage des Bruders von Bayerns Vize-Ministerpräsident Hubert Aiwanger könnte ein antisemitisches Flugblatt zu Schulzeiten in dessen Ranzen gefunden worden sein, weil er es wieder einsammeln wollte. „Ich bin mir nicht mehr ganz sicher“, sagte der Bruder den Zeitungen der Mediengruppe Bayern am Montag. „Aber ich glaube, dass Hubert sie wieder eingesammelt hat, um zu deeskalieren.“
Mitten im Wahlkampf vor der Landtagswahl hatte Freie-Wähler-Chef Aiwanger am Samstag schriftlich zurückgewiesen, als Minderjähriger zu Schulzeiten in den 1980er Jahren das Flugblatt verfasst zu haben, über das die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte. Wenig später räumte Aiwangers Bruder ein, das Pamphlet geschrieben zu haben.
Am Montag sagte der Bruder, er habe mit dem Flugblatt seine Lehrer provozieren wollen. „Ich habe das Schriftstück nicht erstellt, um Nazis zu verherrlichen, den Holocaust zu leugnen oder Hass und Gewalt zu schüren“, sagte er der Mediengruppe Bayern. Er sprach stattdessen von einer „stark überspitzen Form der Satire“ und einer „Jugendsünde“. „Ich schäme mich für diese Tat und bitte vor allem meinen Bruder um Verzeihung für die damals verursachten Schwierigkeiten, die auch noch nach 35 Jahren nachwirken.“
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat wegen der Vorwürfe eine Sondersitzung des Koalitionsausschusses am Dienstag einberufen, in der sich Hubert Aiwanger erklären soll.
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Hubert Aiwanger und die Freien Wähler sehen sich jetzt als „Opfer einer Kampagne“ und zwar selbstverständlich eine Kampagne gegen die „Guten“. Gegen „die da oben“ lästern kommt fast immer an und seine Meinung wechselt Aiwanger öfter als die Presse nachkommt zu berichten. Oberpfälzer FW-Vertreter beeilten sich heute zu betonen, dass man von „Hubert noch nie rechtsextreme Äußerungen oder Tendenzen bemerkt habe“. Eine erstaunlich geringe Anforderungsschwelle an einen stellvertretender Ministerpräsidenten von Bayern und an den Bundesparteivorsitzenden, dass dieser sich noch nie offen rechtsextrem geäußert habe. Natürlich liegt auch diese Beurteilung im Auge des Betrachters, aber die „One-Man-Show“ der FW must go on. Unstrittig hat Aiwanger Schritt für Schritt die Grenze des „Sagbaren“ weiter nach rechts verschoben, wie die AfD auf Bundesebene, deren Vokabular er zuweilen übernahm. Aiwanger war nie zimperlich bis grenzwertig beim Umgang mit dem politischen Gegner. „Spinner“ und „Chaoten“ waren noch die harmlosesten Schimpfwörter für Bundesminister und Abgeordnete der Ampelparteien. Aiwanger wusste auch, spätestens wenn er von den "grün versifften Insektenfressern" schwadronierte, „die noch nie im Leben eine Schaufel in der Hand hatten“, stand das Bierzelt Kopf. Jetzt gerät Aiwanger mit einer Aktion aus der Schulzeit in die Defensive, die man als „dummer-Jungen-Streich“ abtun könnte, wenn nicht eine gewisse Kontinuität zu diesen Vorgängen erkennbar wäre und die heutigen Äußerungen Aiwangers in einem ganz anderem Licht erscheinen lassen. Die SZ berichtet von Zeugenaussagen, die eine offen rechtsextreme Haltung Aiwangers in der Schule beschreiben, inklusive der Lektüre „Mein Kampf“ und dem Einüben von „Hitlerreden vor dem Spiegel“. Die bisherigen Erklärungen der Aiwanger-Brüder widersprechen dem sonst gerne beschworenen „gesunden Menschenverstand“ und auch die halbseidene Distanzierung vom Pamphlet können keinesfalls überzeugen. Wieso ist das Flugblatt im Plural verfasst und wieso hat Aiwanger die Flugblätter nicht sofort vernichtet, statt sie, wie angegeben, wieder eingesammelt und im Schulranzen verwahrt, -um zu deeskalieren? Zahlreiche Politikwissenschaftler und Kommentatoren trauen Aiwanger deshalb ohne weiteres die Urheberschaft des antisemitischen Pamphlets zu.
Als Aiwanger im März 2006 zum bayerischen Landesvorsitzenden der FW gewählt wurde, sagte der damalige CSU-Generalsekretär Söder über ihn: »Der Mann ist meiner Meinung nach radikal. 17 Jahre später sagte Söder am Dienstag in München: „Schon jetzt sei der Schaden für den Ruf Bayerns hoch“. Wieso hält Söder dann weiter an Aiwanger fest, zumal seine Leistungen als Wirtschaftsminister sehr überschaubar sind?
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