Dann sagt er: "Was mich wundert: Ich empfinde keinen Hass, keine Rachegefühle." Heim: "Das wundert mich auch. Ich könnte es nachvollziehen, wenn es so wäre." Der Richter zeigt auch "in gewissem Maß" Verständnis für Sarkasmus beim Thema Polizeiarbeit, "nachdem Ihre Erkenntnisse wesentlichen Beitrag zur Festnahme beigetragen haben." Heim bittet Lösche dennoch, die Polizeikritik auszusparen: "Das hier ist nicht der richtige Ort, um darüber zu diskutieren."
Alarmiert von Anfang an
Am Dienstag schildern vier Personen aus dem Umfeld der Getöteten die Tage Mitte Juni 2018: der Bruder, die beste Freundin, die Cousine, der Ex-Freund. Wie Sophia von einer Sekunde auf die andere verschwand, als sie von Leipzig in Richtung Amberg trampte. Sie, die per Handy eine Art Standleitung zu all ihren Lieben unterhielt. Der Vater weinte am nächsten Morgen bei der Polizei in Amberg: "Ich sehe meine Tochter nie wieder lebend." Wie man über das Wochenende gegen die Unlust der sächsischen wie der oberpfälzischen Polizei anrannte, die Studentin aktiv zu suchen. Diese Vier waren Kern der privaten Suchmannschaft, die letztlich schneller war als die Polizei.
Als Andreas Lösche bereits Fahndungsfotos vom blauen Lkw des verdächtigen Fernfahrers an die Fähre Spanien-Marokko mailte, hatte die Polizei noch nicht einmal Kontakt zur Spedition. Schwer wäre das nicht gewesen: Die Spedition aus Tanger hatte inzwischen selbst bei der Kripo Leipzig angerufen und eine Nummer hinterlassen. Die Firma war auf den privaten Fahndungsaufruf aufmerksam geworden. Kleinlaut räumt ein Kriminalbeamter aus Leipzig ein, dass der Speditionschef sofort "bereitwillig" die Zugangsdaten zum GPS-Tracking des Trucks gemailt habe. Was er damit gemacht habe? Er habe sie an die technische Auswertung der Kripo weitergeleitet. Anders gesagt: nichts.
Immer mal wieder wird vor Gericht auch geschmunzelt. Wie war Sophia? "Wenn man mit Sophia weg war, hatte man danach drei neue Freunde", sagt die beste Freundin und ehemalige Kommilitonin aus Bamberg. "Es gibt Leute, wenn die einen Raum betreten, sind sie sofort Mittelpunkt. So war sie", sagt der große Bruder, der den Nachzügler schon im Kinderwagen herumgeschoben hat. "Neugierig, weltoffen, reiselustig, fröhlich." Auch ihr Ex-Freund sagt am Dienstag aus. Der wissenschaftliche Mitarbeiter einer Universität war nach acht Jahren Partnerschaft der beste Freund geblieben. Er wird zum Haschischkonsum befragt. In geselliger Runde habe Sophia mal an einem Joint gezogen - "aber doch nicht auf dem Weg zu den Eltern". Gern trinke sie ein "Sterni", Leipziger Bier, wie das Gericht auf Nachfrage erfährt.
Damit wird einmal mehr der Eindruck bestärkt, der Angeklagte habe sein Geständnis um die Ergebnisse des Schlussberichts gestrickt, in dem früherer THC-Konsum des Opfers erwähnt wird. Der Fernfahrer sagt, die Mitfahrerin habe seine Sachen nach einem Haschbrocken durchsucht. Sie sei aggressiv geworden, hätte ihn geohrfeigt. Niemals!, sagt die beste Freundin. "Sie war die Ruhe selbst", sagt ihr Ex. Im Gegenzug waren sich alle sicher, dass sich Sophia gegen sexuelle Belästigung gewehrt hätte. "Sie hätte sich nichts gefallen lassen."
Auf Betreiben der Spedition rief der Fahrer vier Tage nach dem Verschwinden bei den Koordinatoren der privaten Suche an. Er sagte auf Französisch , er habe Sophia in Hersbruck aussteigen lassen. Er hoffe, sie werde gefunden und es gehe ihr gut. "Er war hilfsbereit und empathisch", sagt die Cousine. Der 42-Jährige legte noch eins drauf: Wegen ihrer Aktion müsse er jetzt um seinen Job fürchten, weil er eine Tramperin mitgenommen habe. Die Frauen bekamen prompt Schuldgefühle. In Wahrheit hatte er die Anhalterin gerade tot in die Büsche geworfen.
Die Cousine, eine 34-jährige Marketingmanagerin, war eine der Drahtzieherinnen der privaten Suche. Sie war es, die die Polizei bekniete, sich das Überwachungsvideo aus Schkeuditz anzusehen. Per Facebook und Twitter wurde das Bild des Lkw tausendmal geteilt. Bis zu 100 Helfer beteiligten sich an der Suchaktion. Von Norden aus Leipzig, von Süden aus Amberg grasten Trupps die A9 ab. Sie verteilten Handzettel in elf Sprachen. Sie lagen - wie man heute weiß - goldrichtig. Auf dieser Strecke hat der Täter mehrfach gehalten. 24 Stunden zuvor.
Wortgefecht mit Übersetzer
Interessant ist, an welcher Stelle der Angeklagte am Dienstag mal wieder die Fassung verliert. Als Andreas Lösche berichtet, dass man Skrupel gehabt habe, bei der Spedition anzurufen. "Es hätte ja sein können, dass wir Sophia damit gefährden." An dieser Stelle verbietet Boujemaa L. seinem Dolmetscher weiter zu übersetzen. Der tut es trotzdem, es kommt zum arabischen Wortgefecht. Bröckelt die Fassade? Für Mittwoch sind die Rechtsmedizinerinnen aus Spanien per Videoschalte angekündigt.
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