Interview über den "Katzendreckgestank": Die Nasen der Oberpfälzer haben zu politischem Handeln geführt

München
13.04.2023 - 10:31 Uhr

Vor bald 50 Jahren sorgte im Nordosten Bayerns der "Katzendreckgestank" für Aufregung. Der Berliner Historiker Bodo Mrozek spricht im Interview über die Affäre, die Geruchsgeschichte allgemein – und über "Nasenzeugen".

Die Geruchswahrnehmung der Oberpfälzer führte laut Autor Bodo Mrozek in der "Katzendreckgestank"-Affäre zu politischem Handeln auf internationaler Ebene.

ONETZ: Herr Mrozek, wie sind Sie auf das Forschungsgebiet „Geruchsgeschichte“ gestoßen?

Bodo Mrozek: Ich hatte mich in meinem Buch „Jugend – Pop – Kultur. Eine transnationale Geschichte“ mit Klanggeschichte beschäftigt, auch mit Lärmkonflikten. Die Erforschung von Hör- oder Sehwahrnehmungen ist in der Geschichtsschreibung mittlerweile recht weit. Mich hat dann interessiert, wie es mit anderen Sinnen ist, da der Mensch ja mehr Sinne hat. Der mir am nächsten gelegene war dann der Geruchssinn.

ONETZ: Wurde dieses Feld schon früher beackert?

Bodo Mrozek: Ja, Geruchsgeschichte wird schon in der Erforschung der Antike über das Mittelalter bis hin zum 19. Jahrhundert betrieben. Die Welt hat in unterschiedlichen Epochen anders gerochen, auch der menschliche Geruchssinn selbst war womöglich anders ausgeprägt. Der französische Historiker Alain Corbin hat in seinem Buch „Pesthauch und Blütenduft“ beschrieben, wie viele Übelgerüche aus der Welt verschwanden durch Hygienemaßnahmen, den Bau der öffentlichen Kanalisation und die Parfümerie.

ONETZ: Wie kommen Sie zu Ihren Erkenntnissen? Üblicherweise studieren Historiker Schriften, werten Bildmaterial oder ausgegrabene Gegenstände aus.

Bodo Mrozek: Gerüche lassen sich nicht speichern wie Bilder oder Texte, auch sind sie in unserer Zeit nicht als Kulturgüter etabliert. Wenn wir sehen wollen, gehen wir ins Museum oder ins Kino, wenn wir hören wollen ins Konzerthaus. Wo aber können wir Gerüche erfahren, außer vielleicht in einer Parfümerie? Es gibt vereinzelte Osmotheken, wo historische Gerüche aufbewahrt oder „nachgebaut“ werden. Aber daran zu riechen, hilft bei meiner Forschung nicht viel weiter. Mich interessiert ja die Geruchswahrnehmung der Menschen in ihrer jeweiligen Epoche. Um sie nachzuvollziehen, bin auch ich auf schriftliche Quellen angewiesen. In Archiven finde ich erstaunlich viel, zum Beispiel in Tagebüchern und Briefen, aber auch in Eingaben und Beschwerden über Übelgerüche. Außerdem in Daten von Luftmessungen, die durchaus politisch sein konnten. So wurde im Vietnamkrieg versucht, mit Duftmessungen den Feind im Wald aufzuspüren.

ONETZ: Es gibt Augen- und Ohrenzeugen. Wie nennt man Menschen, die Geruchswahrnehmungen schildern?

Bodo Mrozek: Das sind für mich Nasenzeugen.

ONETZ: Was hat Ihr Interesse am „Katzendreckgestank“ geweckt?

Bodo Mrozek: Ich war als Kind öfter im Frankenwald im Urlaub, zudem ist mir bei meinen Arbeiten aufgefallen, dass es zu diesem Thema im Bundesarchiv und im Archiv des Auswärtigen Amtes einen umfangreichen Aktenbestand gibt, der die Affäre über mehr als zehn Jahre dokumentiert. Auch im Bayerischen Hauptstaatsarchiv konnte ich viele Details nachvollziehen.

ONETZ: Gibt es historische Beispiele, wo Gestank oder Gerüche den Lauf der Welt beeinflusst haben?

Bodo Mrozek: Ja. Unsere Welt würde heute ganz anders aussehen und riechen, wenn man aufgrund von Übelgerüchen keine Maßnahmen ergriffen hätte. Im 19. Jahrhundert ist die Bevölkerung in den Städten so stark gewachsen, dass die Rinnen zur Entwässerung auf den Straßen buchstäblich übergelaufen sind. In Wien, Paris und London ist das als „the great stink“, also der große Gestank, in die Geschichte eingegangen. 1858 hat in London die Themse so stark gestunken, dass sogar erwogen wurde, das Parlament zu evakuieren. Aufgrund dieser einschneidenden Erfahrungen wurden in großem Stil Kanalisationen gebaut. Hierzulande war der bayerische Hygieniker Max von Pettenkofer sehr einflussreich. Gerüche haben auch im Ersten Weltkrieg eine Rolle gespielt, zum Beispiel beim Einsatz von Giftgas.

ONETZ: Wo würden Sie den „Katzendreckgestank“ historisch einordnen?

Bodo Mrozek: Der „Katzendreckgestank“ hat zu einer Art Sinnesschock in den späten Siebzigerjahren geführt. In Verbindung mit der zur gleichen Zeit aufkommenden Smog-Problematik hat das zu einem Umdenken geführt: Umweltschutz hat sich zu dieser Zeit als Feld nationaler und internationaler Politik etabliert. In einem ersten Schritt wurden durch den Einbau von Filteranlagen die Gerüche weitgehend beseitigt. Dann verschob sich der Fokus von den Gerüchen auf nicht sofort wahrnehmbare Immissionen, wie sie bis heute im Zentrum des Klimaschutzes stehen. Die Geruchswahrnehmungen der Menschen im Nordosten Bayerns und ihre beharrlichen Proteste haben also letztendlich zu politischem Handeln auf internationaler Ebene geführt.

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München13.04.2023
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