Neustadt an der Waldnaab
16.01.2019 - 18:37 Uhr

Ertug über den Brexit: "Bisschen schwanger geht nicht"

Die einzige Überraschung bei der Abstimmung über den Brexit-Deal: die Höhe der Niederlage der Regierung May. Oberpfälzer EU-Abgeordnete hoffen auf ein zweites Referendum, Unternehmer fordern zumindest einen Aufschub.

Anti-Brexit-Demonstranten mit Fahne und Schirm vor dem Parlament . Nach der Ablehnung des Brexit-Abkommens muss sich Regierungschefin May am Mittwoch einem Misstrauensvotum stellen. Bild: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa
Anti-Brexit-Demonstranten mit Fahne und Schirm vor dem Parlament . Nach der Ablehnung des Brexit-Abkommens muss sich Regierungschefin May am Mittwoch einem Misstrauensvotum stellen.

Mit einer Zustimmung zum von EU-Chefunterhändler Michel Barnier ausgehandelten Vertragsentwurf hatten auch die beiden Oberpfälzer EU Abgeordneten nicht gerechnet.

"May ist in der Bringschuld", sagt Ismail Ertug (SPD), Vorstandsmitglied der deutschen Gruppe in der S&D-Fraktion, der europäischen Sozialdemokraten. "Die Vertrauensfrage wird sie überstehen, aber ich glaube nicht, dass sie etwas anbieten kann, was ihre Leute und die EU zufriedenstellen kann." Die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Volksabstimmung wachse, je länger der Schwebezustand anhalte. "Am Ende des Tages kann der Knoten nur durch ein Referendum durchschlagen werden", sagt der Amberger Sozialdemokrat.

Auch wenn das Ergebnis, wie Beobachter prognostizieren, wieder so eng wird wie die 51,89 zu 48,11 Prozent beim ersten Brexit-Votum: "Ein bisschen schwanger geht nicht, eine Entscheidung muss her und die Politik in London hat keine Lösung." Was aber nicht akzeptiert werden könne: "Weitere Konzessionen, weil uns die Briten erzählen, man müsse den dann vielleicht 48 Prozent Brexitieren entgegenkommen."

Auch der Neumarkter Europa-Abgeordnete Albert Deß (CSU)hält ein zweites Referendum für wahrscheinlicher als einen harten Brexit: "Hinter mir sitzt ein britischer Kollege, der jetzt wieder eine Chance sieht, dass der Austritt doch nicht kommt - bei einer Zustimmung wären die Briten draußen gewesen." Man könne schlecht abschätzen, wie viele Abgeordnete am Dienstag gegen den Deal gestimmt hätten, weil sie ihn nicht wollten oder weil sie auf einen Verbleib in der EU hofften. "Am besten wäre ein zweites Referendum, weil jetzt doch viele klarer sehen - beim ersten Mal war ja ein gewisser Medienverleger nicht unbeteiligt." Deß spielt auf Rupert Murdochs Boulevardblätter an, die den Austritt herbeigeschrieben hätten.

Der Amberger Europa-Abgeordnete Ismail Ertug (SPD): "Am Ende des Tages kann der Knoten nur durch ein Referendum durchschlagen werden." Bild: jrh
Der Amberger Europa-Abgeordnete Ismail Ertug (SPD): "Am Ende des Tages kann der Knoten nur durch ein Referendum durchschlagen werden."
Weiden in der Oberpfalz16.01.2019

Sorge um irischen Konflikt

Gerade als Agrarpolitiker würde der gelernte Landwirt ein Ausscheren der Briten bedauern: "Damit hätte der Süden eine Mehrheit und der verfolgt oft andere Ziele als die nördlichen Länder." Italien, Griechenland, Portugal und Spanien würden versuchen, mehr Subventionen aus dem Agrarhaushalt zu bekommen: "Bislang konnte das mit der Sperrminorität verhindert werden, die ohne Großbritannien passé wäre."

Sorgen macht sich der scheidende Abgeordnete um die Situation an der irischen Grenze: "Meine nordirischen Kollegen befürchten das Wiederaufflammen des Konflikts, wenn die eingetretene Normalität in Folge eines harten Brexits durch strikte Grenzkontrollen zunichte gemacht wird."

"Business as usual" beschreibt Dorit Zitzelsberger, Leiterin Vertrieb bei AKW A+V Protec Rail in Hirschau, ihren Arbeitsalltag am Tag nach der Brexit-Abstimmung. "Ich habe heute schon zahlreiche E-Mails aus England bekommen." Vorerst gehe alles seinen gewohnten Gang. Für das Hirschauer Unternehmen, das Kleinkläranlagen für Abwassersysteme in Schienenfahrzeugen herstellt, ist Großbritannien einer der Hauptzielmärkte. "Uns bleibt aktuell nichts anderes, als zu hoffen."

Am liebsten wäre es ihr, wenn der Brexit kippe und Großbritannien in der EU verbleibe. Im Falle eines ungeregelten Brexits rechnet sie mit großem Mehraufwand etwa beim Zoll. "Wir haben aber versucht, uns vertraglich abzusichern, damit uns keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen", sagt Zitzelsberger.

Auch beim Amberger Spezialisten für Schraubtechnik, Automation, Druckluftmotoren und Druckluftwerkzeuge, Deprag, der eineFiliale in der Nähe von Salisbury in Südenglandunterhält, verfällt niemand in Hysterie, wie Geschäftsführer Erik Hallmannbetont. Man gehe derzeit von einer Verschiebung des Brexit-Termins aus. Einen ungeregelten Brexit dürfe und werde es nicht geben, mahnt Hallmann. Die Politik sei gefordert: "Im Interesse guter Nachbarschaft und stabiler Wirtschaftsbeziehungen sollten Augenmaß und gesunder Menschenverstand statt Extrempositionen vorherrschen."

Weiherhammer16.01.2019
"Brexit, ist es das wert?", will dieser Demonstrant wissen. Der britische Oppositionschef Corbyn hat bei der Debatte über den Misstrauensantrag gegen die Regierung von Premierministerin Theresa May am Mittwoch eine Neuwahl gefordert. Bild: Frank Augstein/AP/dpa
"Brexit, ist es das wert?", will dieser Demonstrant wissen. Der britische Oppositionschef Corbyn hat bei der Debatte über den Misstrauensantrag gegen die Regierung von Premierministerin Theresa May am Mittwoch eine Neuwahl gefordert.

Angst vor Labour

Bis zu einer Entscheidung bleibe man in Amberg - und auch in der englischen Filiale - "gelassen". Auch nach einem Brexit - egal wie der ausfalle - werde es weitergehen. Der Ausstieg Großbritanniens aus der EU werde sich dann wohl vor allem auf die Zölle auswirken. "Diese Pille werden die englischen Kunden schlucken müssen."

Auch bezüglich seiner Mitarbeiter macht sich Hallmann keine Sorgen: "Unserer Techniker und Monteure werden weiterhin ungehindert nach Großbritannien reisen und wir werden auch in Zukunft unsere englischen Kollegen und Kunden im weltoffenen Amberg ins Wirtshaus ausführen."

Kritisch sieht Hallmann mögliche Neuwahlen, die die Labourpartei an die Regierung bringen könnten: "Der Vorsitzende Jeremy Corbin ist mit seinem Steinzeitkommunismus allenfalls vom Deutschen Gewerkschaftsbund zu übertreffen."

 
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