Der Mythos vom bösen Wolf

Oberpfalz
14.09.2023 - 12:21 Uhr
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Häufig wird der Wolf in Märchen als das Böse per se dargestellt. Warum das so ist und was das auch mit dem Glauben an Werwölfen zu tun hat, fragen sich die Moderatoren im Podcast "Es war einmal... in der Oberpfalz".

Ein europäischer Grauwolf in einem Gehege vom Wolfcenter Dörverden. In vielen Märchen gibt es den bösen Wolf, aber auch der Glauben an Werwölfe war lange in der Oberpfalz verbreitet.

Von Wolfgang Ruppert und Lucia Brunner

In der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg war die Oberpfalz von Armut und Verwüstung geprägt. Während des Krieges konnte sich die Wolfspopulation in der Region erholen und vermehren. Und so verfassten am 14. Juli 1677 der Bürgermeister und der Rat von Schönsee einen Bericht, der von Wolfsangriffen auf Kinder handelte.

Sie schrieben an den kurfürstlichen Pfleger und Forstmeister Franz Albrecht Freiherr von Muggenthal von einem verzauberten Wolf, der einem 14-Jährigen in Hannesried die Kleider vom Leib gerissen und ihm viele Bisswunden zugefügt haben soll. Leber und Lunge des Jugendlichen seien dabei verletzt worden, was sein Todesurteil bedeutete.

Gefahr von magischen Wölfen

In den Jahren 1677 bis 1680 sind um Schönsee, Eslarn und Rötz 39 Wolfsangriffe dokumentiert, wobei Kinder, Jugendliche und Frauen verletzt oder getötet wurden. In seinem Buch "Eine Kulturgeschichte des Wolfes" hat der Historiker Rainer Schöller, die Fälle zusammengetragen und untersucht. Dabei wird deutlich, dass die Menschen zu dieser Zeit die Gefahr eher in magischen Wölfen sahen, als in natürlichen.

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Zu der damaligen Zeit war der Aberglauben weit in der Bevölkerung verbreitet. Des Weiteren war es durchaus üblich, dass Kinder zum Arbeiten auf Felder oder in den Wald geschickt wurden, wo sie stundenlang alleine waren. Durch die Armut der Menschen, kann davon ausgegangen werden, dass sie von der Statur her eher klein und schwach waren, was sie für Wölfe zu einer leichten Beute machte. Die Wolfsangriffe fanden laut Schöller immer in den Sommermonaten statt. Daher geht er davon aus, dass aufgrund von Welpen der Futterbedarf der Tiere in dieser Zeit höher war.

Die Angriffe dauerten wohl auch deswegen so lange an, weil groß angelegte Jagden aufwendig und kostenintensiv waren. Erst rund 70 Jahre später wurde vermehrt in der Oberpfalz nach dem Wolf gejagt. Rund zweihundert Jahre später waren die Wölfe in der Oberpfalz nahezu ausgerottet. 1882 wurde bei Kulmain (Landkreis Tirschenreuth) der letzte Wolf in der Region erlegt.

Erzählungen von Werwölfen

Bei Märchensammler Franz Xaver von Schönwerth, der Mitte des 19. Jahrhunderts, Erzählungen aus der Oberpfalz zusammentrug, findet der Wolf daher kaum Erwähnung. Jedoch ist Schönwerth der Ansicht: "Der Glaube, daß Menschen zu Wölfen oder Füchsen werden können, war sonst sehr verbreitet. Ist ein Mann sehr stark, so heißt es noch von ihm: Der 'stellt sich' – oder 'hat Stärke wie ein Wyrwulf." Laut Schönwerth darf man den "Wärwolf" nicht nennen; "wenn ma'n Wulv'n nennt, sua kumd a grennd", warnt er.

Im dritten Teil seiner Sitten und Sagen aus der Oberpfalz geht Schönwerth auf eine Sage ein, die sich bei Velburg (Landkreis Neumarkt) zugetragen haben soll. Ein Hüter soll einen Gürtel besessen haben. Wenn er ihn sich umlegte, wurde der Mann zum Fuchs. In seiner neuen Gestalt bestahl er Bauernhöfe, "besonders aber hatte er es auf die Mühlwägen abgesehen, von denen er die Mehlsäcke herabriß." Ein Pfarrer soll versucht haben, den Halunken zu überführen.

Der Pfarrer ging los, kam am Haus des Hüters vorbei und sah den Sack an der Wand des lehnen. Kinder erzählten ihm, dass sie hungern würden, wenn ihr Vater nicht den Gürtel umlegen und sich in einen Fuchs verwandeln würde. Der Pfarrer nahm laut der Sage den Gürtel an sich und legte ihn sich selbst um. Er verwandelte sich ebenfalls in einen Fuchs und lief in den Wald. Erst als er gefunden wurde, konnte sich der Pfarrer zurückverwandeln.

Dämonisierung

Der Grund für die zunehmenden Konflikte zwischen Menschen und Wölfen war vermutlich, dass sich menschliche Siedlungen, Agrarflächen und die Weideflächen weiter ausbreiteten und dadurch weiter in den Lebensraum der Wölfe eindrangen. Besonders für die ärmliche Landbevölkerung konnten die Verluste von Tieren durch das Raubtier den finanziellen Ruin bedeuten. Tatsächlich geht man heute aber davon aus, dass die angegebenen Zahlen gerissener Tiere meist groß übertrieben wurden.

In West- und Mitteleuropa gab es nichtsdestotrotz Treibjagden, bei denen die einfache Landbevölkerung eingespannt wurde, die das Ziel hatten, die Wölfe auszurotten. Begünstigt wurde dies auch durch den Aberglauben der Menschen. Dr. Karen Lippert schreibt auf der Plattform Märchenatlas, dass die Angst vor Wölfen durch den Hexenglauben gesteigert wurde. Der wirtschaftliche Wandel der frühen Neuzeit war von Krisen, Kriegen und Seuchen begleitet. Der Wolf wurde daher nicht nur als ein Wirtschaftsschädling gesehen, sondern auch dämonisiert. An den Werwolfmythos anknüpfend, wurde der Wolf direkt mit Hexen und dem Teufel in Verbindung gebracht.

Der Wolf symbolisierte für die Menschen das Chaos und die Unzivilisiertheit in der von Menschenhand gemachten Welt und wurde zu einer Projektionsfläche menschlicher Abgründe. Der englische Philosoph Thomas Hobbes wählte im 17. Jahrhundert den Wolf als Sinnbild für einen Zustand eines Krieges aller gegen alle. In der Widmung seines staatsphilosophischen Werks "De Cive" (1642) schreibt er: "Nun sind sicher beide Sätze wahr: Der Mensch ist ein Gott für den Menschen, und: Der Mensch ist ein Wolf für den Menschen."

Ähnliches spiegelt sich auch in der Figur des Jägers in Märchen wider, der als Gegenspieler zum Wolf auftritt. Die Natur des Wolfes lässt sich auch im Jäger finden. Der Unterschied in den Erzählungen ist jedoch, dass der Wolf aus niederen Beweggründen wie Gier, Gefräßigkeit oder Dummheit tötet. In den Geschichten ist der Jäger dem Tier moralisch überlegen, da er meist nur dann tötet, um andere zu retten.

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Hintergrund:

Der Wolf in anderen Kulturen

  • Japan: Beschützer der Landwirtschaft; Wölfe hielten den Reisbauern beispielsweise Wildschweine fern, die Reispflanzen gefressen hätten. Knochenmehl aus Wolfsschädeln wurde als Mittel zur Austreibung böser Geister verwendet.
  • Nordische Mythologie: Odins Begleiter sind die Wölfe Geri und Freki; bei Ragnarök (Weltuntergangsmythos) verschlingt der Fenriswolf den Mond und später auch Odin
  • Gründungsmythos Roms: Die Halbgötter und Söhne des Kriegsgottes Mars werden von einer kapitolinischen Wölfin gesäugt
 
 

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