Rassismus oder Völkerverständigung: Der Dietfurter "Chinesenfasching" im Wandel

Dietfurt an der Altmühl
09.02.2023 - 10:38 Uhr
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Ein Tiktok-Video behauptet, dass der Dietfurter "Chinesenfasching" Stereotype verbreitet. Der Podcast "Es war einmal... in der Oberpfalz" besucht die Stadt und spricht mit dem Kaiserpaar über die Bedeutung des Faschings und die Kritik.

Von Lucia Brunner und Wolfgang Ruppert

Einer Sage nach ist der Fürstbischof von Eichstätt daran Schuld, dass sich die Dietfurter bis heute als bayerische „Chinesen“ verstehen. Angeblich hätten die Bürger von Dietfurt an der Altmühl zu wenig Abgaben geleistet. Infolge dessen entsandte der Fürstbischof seinen Kämmerer, der nach dem Rechten sehen sollte. Die Dietfurter aber verschlossen ihre Tore, und der Kämmerer musste wieder zurück. Er berichtete dem Fürstbischof, ihm kämen die Dietfurter wie „Chinesen“ vor, weil sie ihn ignorierten und sich hinter einer dicken Mauer versteckt hielten.

Historisch ist bis heute unklar, wie lange die Dietfurter diesen Spitznamen bereits tragen. Nachweise dazu sind erst nach Mitte des 19. Jahrhunderts erhalten. So wird das Dietfurter Gebiet in einem wissenschaftlichen Artikel des Eichstätter Pastoralblattes von 1869 etwa als „Chinesenviertel“ bezeichnet. Diese Zuschreibung ist letztlich der Ursprung des Dietfurter „Chinesenfaschings“ am Unsinnigen Donnerstag, der zwischen 17 000 und 25 000 Besucher anzieht.

Gefährliche Stereotype

Ein kritisches Tiktok-Video der Journalistin Kim Ly war der Auslöser, dass über die Veranstaltung in diesem Jahr schon im Vorfeld viel berichtet wurde. Ly kritisierte den „Chinesenfasching“ als rassistisch. „Tausende Weiße, die sich ihre Gesichter gelb anmalen und sich als chinesische Menschen ausgeben“, sagt sie. „Yellowfacing und gefakte chinesische Akzente und Kostüme gehören zum Fest. Auch wenn es viele Teilnehmende ohne böse Absicht tun: Sie verbreiten echt viele Stereotype, die gefährlich sind“, ist ihr Vorwurf. Das Video wurde fast 17 000-fach favorisiert und über 1300 mal kommentiert.

Die Kritik und das Medienecho überrollte die Gemeinde Dietfurt, die aktuell knapp über 6000 Einwohner zählt. Beim Bürgermeister standen die Telefone nicht mehr still. Regina und Karl Donauer sind seit 2021 das erste Kaiserpaar des „Chinesenfaschings“ und brechen damit bereits alte Rollenbilder auf. Beide kennen die Veranstaltung seit ihrer Kindheit. Mit ihrem Gefolge und Hofstaat sind sie die schillerndsten Figuren des Faschings. Als Kaiser „DaKaRe“ und Kaiserin „DiMucki“ kennt sie jeder in der Stadt, Kinder bekommen leuchtende Augen bei ihrem Anblick, die Leute winken ihnen auf der Straße zu.

Fasching im Wandel

Das Video und die Kommentare hätten die beiden sehr berührt, sagen sie. „Wir nehmen uns das schon zu Herzen und wischen das nicht vom Tisch“, sagt Karl Donauer. Laut ihm werde das Video dem Wesen des Faschings aber nicht gerecht. „Es sind nicht Tausende Weiße, die sich da gelb anschmieren“, betont er. „Das Thema Yellowfacing ist uns bekannt.“ So unterliege der „Chinesenfasching“ bereits einem Wandel, nicht mehr zeitgemäße Stereotype würden überdacht. Da sich der Fasching vor allem an der kaiserlichen Dynastie in China orientiere, werde auch darüber diskutiert, moderne Einflüsse einzubringen.

Gegenseitiger Kulturaustausch

Donauer lädt Kritiker ein, sich den Fasching in Dietfurt anzusehen. „Unsere letzte Absicht ist es, jemanden zu diskriminieren oder lächerlich zu machen.“ Beide Donauers betonen, dass sich aus dem Klamauk ein gegenseitiger Kulturaustausch entwickelt habe. So gibt es gegenseitige Besuche, wodurch feste Freundschaften entstanden sind. „Wir beide waren 1998 das erste Mal mit einer Stadtdelegation in China eingeladen“, erinnert sich Karl Donauer. „Wir haben als Musikanten auf einen chinesischen Bierfest gespielt.“

Dietfurts Partnerstadt ist Nanjing – eine der ältesten Städte Südchinas. „Es gibt in Dietfurt auch Kulturveranstaltungen wie den Bayerisch-Chinesischen-Sommer“, sagt Karl Donauer. Er ist sich sicher, dass am Unsinnigen Donnerstag wieder ein chinesisches Fernsehteam Aufnahmen vom „Chinesenfasching“ machen wird. Darüber hinaus gebe es in Dietfurt das ganze Jahr über Veranstaltungen oder Kurse, die in Verbindung mit der chinesischen Kultur stehen. Für das Ehepaar sei der Fasching vor allem ein Gemeinschaftserlebnis mit Freunden oder dem Verein. Hinter dem „Chinesenfasching“ steckt viel Arbeit und Organisation. Über 1100 Dietfurter arbeiten über Monate an der Vorbereitung des Faschings.

Am Unsinnigen Donnerstag sind rund 50 Gruppen beim Umzug unterwegs und zeigen aufwendig gestaltete Wägen. Und auch die Aufmachung und Kostümierung ist durchdacht. „Man muss sich auskennen mit Mode, mit Kosmetik, aber auch mit dem Bau eines Wagens oder mit Bühnentechnik“, erklärt Karl Donauer, der mit seiner Frau hier auf Arbeitsteilung setzt. „Die Kostüme sind bunt und prachtvoll“, sagt Regina Donauer.

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Wie kleine Theaterstücke

Das Kaiserpaar ist mit seinem 30-köpfigen Gefolge und der Kaisergarde auf vielen Veranstaltungen in der Faschingszeit unterwegs. Die Auftritte auf der Bühne sind wie kleine Theaterstücke, die akribisch vorbereitet werden. „Zwischen Weihnachten und Neujahr machen wir uns Gedanken darüber, was wir darstellen wollen.“ Auf dem Podium beim „Chinesenfasching“ zu stehen, ist für die Faschingsnarren ein großes Privileg. Vergangenes Jahr gab es trotz Corona eine abgespeckte Form des „Chinesenfaschings“. Während des Lockdowns 2021 veröffentlichte das Kaiserpaar mit seinem Gefolge mehrere Videos auf Youtube, um die Fans des Faschings zu unterhalten.

Aber Karl Donauer gibt auch zu: „Ich glaube für Chinesen, die das noch nicht so gesehen haben, ist das schon etwas seltsam. Aber auf der anderen Seite gibt es viele, die sich darüber informieren und die es am Ende das Tages ganz cool finden.“ Schließlich sei die Faschingsveranstaltung mit einem Augenzwinkern zu sehen. Für Donauer trage der Fasching zur Völkerverständigung bei, auch in Zeiten von Krisen.

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Hintergrund:

Der Dietfurter "Chinesenfasching"

  • Anfänge: 1928 trat die Blaskapelle in Dietfurt erstmals in Chinesenkostüme auf. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde ab 1950 der unsinnige Donnerstag mit Maskenzug gefeiert. Bürgermeister und Kämmerer kamen in chinesischer Tracht.
  • 1954: Krönung des ersten Kaisers. Es folgten elf weitere, darunter auch eine Kaiserin.
  • Ablauf: Ab 2 Uhr morgens werden Bürger von Dietfurt von den "Maschkeras" mit dem Weckruf und viel Lärm geweckt. Mittags beginnt auf der Stufenbühne beim Rathaus das Einstimmen mit Musik. Im Anschluss setzt sich der Maskenzug mit rund 50 Wägen und Fußgruppen in Bewegung. Am Nachmittag Rückkehr zum Stadtplatz, es folgt die kaiserliche Proklamation des Kaiserpaars.
  • Quelle: https://www.dietfurt.de/chinesenfasching/
 
 

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