Wer den Namen Dietrich Bonhoeffer hört oder liest, assoziiert vermutlich unweigerlich dessen ökumenisch beliebte, unsterbliche Zeilen „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Auch Siegfried Kratzers, nach eigenen Angaben langer, Weg bis an die Wurzeln des Widerstands der Deutschen Abwehr hatte den Theologen als Ausgangspunkt: „Zuerst interessierten mich Leben und Schicksal von Dietrich Bonhoeffer, dann der ungeheure Wandel in seiner Theologie“, schreibt der Autor auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien.
Das – vergebliche – Ansinnen, den SS-Chefrichter Otto Thorbeck, der am 8. April 1945 im KZ Flossenbürg die Todesurteile über Dietrich Bonhoeffer, Admiral Wilhelm Canaris, Hans Oster, Karl Sack und Ludwig Gehre fällte, in einen Flossenbürger Gedenkgottesdienst miteinzubeziehen, schärfte Kratzers Blick für die Täter.
Der Satz „Hier starben Bonhoeffer und die anderen“, gefallen bei einer nichtorganisierten Führung durch die Gedenkstätte, brachte ihn schließlich zu den entscheidenden Fragen: Wer waren denn diese anderen, in welchem Verhältnis standen sie zu Bonhoeffer und was verband sie einst im gemeinsamen Kampf?
Nun ist es ja nicht so, dass gerade diese prominenten NS-Opfer, denen Kratzer auch den im KZ Sachsenhausen ermordeten Hans von Dohnanyi zuordnet, bislang unzureichend beleuchtet worden sind. Das bestätigt auch der Autor: „Es ist wirklich schon sehr viel erforscht worden.“ Nur seien die Quellenaussagen mitunter sehr unübersichtlich, oft sogar gegensätzlich. Auf der Suche nach Antworten auf seine Fragen hätten sich für ihn die Ergebnisse vieler Gespräche, Interviews und eigener Nachforschungen als Leitschiene erwiesen – „wobei man immer auch ergebnisoffen bleiben muss.“
Zu Kratzers Gesprächspartnerinnen und -partnern zählt Renate Bethge, Bonhoeffers Nichte und Frau von dessen engstem Freund, ebenso wie der Sohn von Friedrich Justus Perels, dem ebenfalls hingerichteten juristischen Berater Bonhoeffers, sowie die Söhne Klaus von Dohnanyi, früherer Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg, und Nicolai Baron Freytag von Loringhoven. Sachkundige Archivare und Historiker komplettierten Kratzers Bild der Zeit.
Schließt Lücke in der Literatur
Dass er mit der Veröffentlichung „Gegen Krieg, Massenmord und Tyrannei“ einen Nerv getroffen hat, beweist unter anderem Klaus von Dohnanyis Reaktion: Er sei sehr dankbar für das Buch, weil es die Bedeutung seines Vaters für den Widerstand und seinen Einfluss auf Bonhoeffer hervorhebe, ließ er den Autor wissen: „Es rückt die Dinge noch deutlicher ins Licht.“ Zudem schließe es eine Lücke in der Literatur des deutschen Widerstands.
Und nicht nur aus diesem Aspekt tut es dringend Not: Es sei kaum zu glauben, welche Strömungen in dem Land überhandnehmen, das den Holocaust, das wohl grausamste Verbrechen in der Geschichte, hervorgebracht hat und zunehmend relativiert, befindet Kratzer. Die rechtspopulistischen Parteien speisen sich seiner Einschätzung nach aus dem deutsch-völkischen Denken, mit dem nach 1945 nicht gebrochen wurde. Dass der Autor in jungen Jahren selbst – und ahnungslos – dem in die Anwaltsrobe gewechselten Thorbeck persönlich begegnet war, unterstreicht das beispielhaft.
"Kraft der Liebe und Besonnenheit"
Insofern wären, neben solchen Lesungen wie in Weiden und Amberg, auch Schullesungen von enormer Wichtigkeit: „Noch dazu, wo man hier wohl vom Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg, aber noch viel zu wenig von den Widerstandskämpfern der Deutschen Abwehr weiß“, sagt Kratzer, der darüber hinaus auch Informationsveranstaltungen im Rahmen der Aus- und Fortbildung von Lehrkräften aller Schularten begrüßen würde. Er jedenfalls stünde bereit.
Und wenn er mitunter doch Situationen erlebe, die hoffnungslos machen könnten, ruft sich der Autor ins Gedächtnis, was er bei Besuchen des Arresthofes in Flossenbürg stets im Auge hat: Die auf der Gedenktafel festgehaltene, von Bonhoeffer-Freund Bethge bewusst gewählte Bibelstelle: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“
Zu Person, Buch und Lesung
- Siegfried Kratzer, Lehrer i.R. und Autor, geboren 1947 in Herrieden bei Ansbach, mehrjährige Lehrertätigkeit in Grafenwöhr, Seminarrektor und Studienseminarleiter, über 20 Jahre verantwortlich für die Ausbildung aller staatlichen Religionslehrkräfte an Grund-, Haupt- und Förderschulen in der Oberpfalz, langjähriger Vorsitzender des Evangelischen Bildungswerks Oberpfalz, seit 1991 im Auftrag der Evangelischen Landeskirche Bayern Redaktionsmitglied der ökumenischen Verbandsbeilage "Begegnung & Gespräch".
- Siegfried Kratzer: Gegen Krieg, Massenmord und Tyrannei - Dietrich Bonhoeffer, Hans von Dohnanyi und die anderen Widerstandskämpfer der Deutschen Abwehr unter Admiral Wilhelm Canaris, 96 Seiten, Donat Verlag Bremen, 14,80 Euro
- Lesungen am Montag, 6. November um 19 Uhr im Martin Schalling-Haus (Hans- Sachs-Straße 19) in Weiden und am Montag, 13. November um 19 Uhr im Paulaner-Gemeindehaus (Paulanerplatz 13) in Amberg. Die Veranstaltungen sind eine Kooperation des Evangelischen Bildungswerks Oberpfalz und der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Der Eintritt ist frei.
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