Ludwig Nerb möchte wissen, wie es damals zugegangen ist, im bayerischen Feldlazarett Nummer 51. Es war eingerichtet im Schloss von Thanvillé, einem kleinen Ort mit nur ein paar Hundert Einwohnern. Der Eigentümer hatte es der weiß-blauen Armee zur Verfügung gestellt, damit es nicht wieder zerstört würde wie schon im Krieg 1870. Irgendwo hier, in den Sälen und Salons lagen die Kranken und Verwundeten der Königlich-Bayerichen Armee. Hier wurden sie operiert und auskuriert oder starben. So wie Josef Nerb, der Bruder von Ludwig Nerbs Großvater.
Spanische Grippe
Josef Nerb stammte aus Wasserzell bei Eichstätt, 1887 wurde er dort geboren. Ende 1916 musste er als 29-jähriger Fernmeldesoldat an die Front. "Wahrscheinlich hat ihn die Spanische Grippe erwischt", vermutet Ludwig Nerb. Er weiß nur, das der Großonkel im Herbst 1918 wegen einer ansteckenden Krankheit in das Feldlazarett Thanvillé eingewiesen worden ist und dort am 21. Oktober starb. Am Vorabend des 100. Sterbetages schreitet Ludwig Nerb aus Amberg mit Bürgermeister Francis Adrian durch das Schloss. "Als ich durch die Räume gegangen bin, haben sich die Szenen, die sich hier vor 100 Jahren zugetragen haben mögen, in meinem Kopf abgespielt", erzählt der Amberger. "Als wir im Keller waren habe ich im Staub ein Holzbrett entdeckt. Darauf waren deutsche Wörter geschrieben. Es war Teil eines Krankenbettes von damals. Für mich eine Riesensensation."
"Zwiesprache mit Josef"
Ludwig Nerb erklärt dem Bürgermeister, welchen ideellen Wert dieses Stück Holz für ihn besitzt. Der Rathauschef legt beim Schlossbesitzer ein gutes Wort ein: Nerb darf das Erinnerungsstück mit nach Hause nehmen. Die Fahrt nach Thanvillé gerät zum deutsch-französischen Versöhnungsakt im Kleinen. Bürgermeister Francis nimmt den Amberger mit in die Dorfgaststätte, stellt ihn dort den Einheimischen vor, gibt ein Mittagessen aus. Am Abend besucht Nerb einen Gottesdienst im Nachbarort und fährt in der Dämmerung am Soldatenfriedhof vorbei, dort wo ein Kreuz mit dem Namen seines Großonkels steht. "Das war eine Riesenwucht an Gedanken. Ich habe sozusagen stille Zwiesprache mit Josef gehalten."
In Paris sind wenige Tage später die Mächtigen der Welt zusammengekommen, um die Aussöhnung der Völker zu bekräftigen. Ludwig Nerb hat das auf seine Art getan - und vermutlich auch geschafft.
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