Am Ende der Infoveranstaltung der Bahn waren über 600 Fragen zusammengekommen. Hätten die Vertreter der DB sie allesamt beantworten wollen, sie wären vor Mitternacht kaum fertig geworden. Das zeigt: Die Elektrifizierung der Bahnlinie von Ottensoos über Amberg bis Irrenlohe ist ein Streitthema, das heftig polarisiert. Das weiß natürlich auch die Bahn selbst und hat deshalb zu diesem ungewöhnlichen Format, einem Online-Bürgerdialog, geladen. Knapp 90 Minuten lang ging es um Trassenverläufe, Entschädigungen und fehlende Planungsaufträge. Wer zuschaute, konnte über ein Chat-Fenster Fragen einbringen, die mit etwas Glück auch aufgegriffen und beantwortet wurden. Wir stellen die wichtigsten Themen und strittigsten Punkte vor.
Warum braucht die Bahn eine eigene Stromleitung?
Der Bau der Stromtrasse durch den Landkreis Amberg-Sulzbach und die Stadt Amberg ist notwendig, um von Dieselloks auf elektrisch betriebene Züge umzustellen. Diese sind energieeffizienter, leiser und schneller. ICEs oder S-Bahnen können ohnehin nur elektrisch fahren. Um den Strom auf den Zug zu bekommen, braucht es Oberleitungen, die wiederum über das Bahnstromnetz mit der notwendigen Energie versorgt werden. Dafür reicht es aber nicht, die bestehenden Hochspannungsleitungen anzuzapfen, denn die Bahn benötigt Strom auf einer Frequenz von 16,7 Hertz. Das öffentliche Netz hat aber 50 Hertz. Bei der Versorgung mit Bahnstrom ist die Oberpfalz bundesweit einer der wenigen weißen Flecken, also eine der wenigen Regionen, durch die noch immer Dieselloks fahren.
Warum liegt für die Elektrifizierung noch kein Planungsauftrag vor?
Die Strecke über Amberg hinkt den anderen Projekten in der Region hinterher. Es fehlt noch der Planungsauftrag des Bundes, der Startschuss für die Elektrifizierung. Das schmeckt den Bürgern natürlich überhaupt nicht. Auch Ambergs OB Michael Cerny äußerte in der vergangene Woche seine Bedenken. Man wolle schließlich keine Stromtrasse durch Amberg, die dann der Bevölkerung nichts nützt. Klar ist: Die Metropolenbahn, die auch über Amberg führt, wurde als letzte in den vordringlichen Bedarf zum Ausbau aufgenommen. Sie genießt zwar den Status höchster Priorität, wann das Bundesverkehrsministerium aber sein OK gibt und den Auftrag erteilt, weiß auch die DB nicht. Man erwarte den Auftrag, ist zu hören. Eine Garantie ist das freilich nicht.
Steht der Verlauf der Stromtrasse schon fest?
Nein. Einer der häufigsten Sätze während der Online-Infoveranstaltung war, man wolle zusammen mit der Bevölkerung einen idealen Trassenverlauf finden. Der bisherigen Leitungsentwurf der Bahn ist eben genau das: ein Entwurf, ein Vorschlag, den die DB zusammen mit einer Fachfirma erstellt hat. Die kommenden Monate will die Bahn nutzen, um auf Anregungen und Alternativen einzugehen, die von Bürgern kommen. "Wir wissen natürlich, dass wir mit dem Bau der Trasse nicht nur auf Gegenliebe stoßen", sagt Matthias Trykowski, der Leiter des Projekts Bahnausbau in Nordostbayern. Wer eigene Ideen hat, wie die Leitung stattdessen verlaufen kann, der müsse sich nur an die Bahn wenden. Entsprechende Dialog-Optionen gibt es unter bahnausbau-nordostbayern.de. Was natürlich nicht gehe, so Trykowski, sei reine Ablehnung. "Ein Nein hilft uns nicht weiter, wir brauchen schon Alternativen." Dort wo die geringste Schutzbedürftigkeit herrsche, liege der ideale Trassenverlauf. Nach den sechs Monaten im Austausch stehe der hoffentlich fest. Daran schließt sich ein Raumordnungsverfahren an, das auch Behörden beteiligt. Erst nach dem Planfeststellungsverfahren sei die Leitung endgültig besiegelt. Mit einem Bau sei deshalb erst in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts zu rechnen.
Kann man die Trasse mit bestehender Infrastruktur bündeln?
"Wir versuchen überall zu bündeln, wo es geht", sagt Trykowski. Tatsächlich: Der aktuelle Leitungsentwurf orientiert sich zum Großteil am bestehenden Hochspannungsnetz im Raum Amberg. Neue Masten sind trotzdem notwendig, ein "Mitnehmen" der Bahnstromleitungen auf den bestehenden Masten ist nahezu ausgeschlossen. Stattdessen möchte die Bahn die Leitung möglichst in den bestehenden Schutzstreifen des Hochspannungsnetzes legen. So würde Platz gespart. Ob und in welchem Umfang das möglich ist, muss die Bahn aber noch mit den Netzbetreibern, etwa Tennet oder das Bayernwerk, klären. Und wie sieht es mit Straßen aus? Lässt sich hier auch bündeln, um Ortschaften zu umgehen? Hier kam in den Zuschauerfragen explizit die B 85 zur Sprache. "Darüber kann man sich unterhalten. Sollte das möglich sein, gehen wir darauf ein", kommentierte Trykowski den Vorschlag. Grundsätzlich ist zu beachten, dass der aktuelle Entwurf nicht die tatsächliche Breite der Trasse darstellt. Es handelt sich um einen 200 Meter breiten Korridor, innerhalb dessen die Leitungen dann verlaufen sollen. Die Trasse selbst sei "nur" 30 bis 40 Meter breit.
Warum scheiden unterirdische Leitungen aus?
Beim Stromnetz der Bahn handelt es sich um ein sogenanntes "gelöschtes Netz". Das bedeutet, dass Spannungsüberschläge, also Fehler im Netz, durch Löschspulen immer wieder ausgeglichen werden. Bei unterirdischen Leitungen käme es weitaus häufiger zu solchen Fehlern, es bräuchte folglich deutlich mehr Löschspulen. Bei einem derart großflächigen Netz wie dem Bahnstromnetz gelingt die "Löschung" aber immer schlechter. Es käme zu deutlich mehr Zugausfällen wegen Fehlern im Stromnetz. Das kann auch nicht im Interesse der Bahnfahrer sein.
Was passiert mit überspannten Gebieten?
Immer wieder geisterte das Wort Enteignung durch die Zuschauerfragen. Will die Bahn Bürgern überspannte Gebiete abkaufen? Trykowski widerspricht dem vehement. Die Bahn werde nichts kaufen. Wer Flächen besitzt, über die die Bahnstromleitung einmal verläuft, der werde entschädigt. Konkrete Zahlen stehen nicht fest, die Bahn nannte aber 10 bis 20 Prozent des Grundstückswerts als Richtschnur. Die Vorgabe sei, auch aus Gründen des Umweltschutzes, eher landwirtschaftliche Flächen statt Waldgebiete zu nutzen. Besonders betroffen ist der Amberger Ortsteil Gailoh, den die Bahn als "kritisches Gebiet" bezeichnete, weil er von der Leitung durchschnitten würde. Achim Saßmannshausen von DB Energie, der ebenfalls an der Infoveranstaltung teilnahm, sagte, ihm sei bewusst, dass der derzeitige Verlauf für die Gailoher "nur schwer zu begreifen ist". Die Bahn glaube im Moment aber nicht, dass es Alternativen für Gailoh gibt. Man hoffe deshalb auf Vorschläge der Bürger. "Wenn es aber trotzdem dazu kommt", so Saßmannshausen, "dann wollen wir so schmal wie irgend möglich durchkommen und mit der Leitung des Bayernwerks bündeln."
Der Klotz am Bein der Bahn
Der Bahn die ständigen Zugausfälle, veraltete Bahnhöfe, ja generelles Versagen vorzuwerfen, das gehört beinahe schon zur Unternehmens-Folklore. Die DB bekommt dies nicht hin, braucht dafür zu lang und wird natürlich nur von Nichtskönnern gemanagt. Dieses Klischee ist für die Bahn ein schwerer Klotz am Bein, der sie immer wieder bremst, eine Art sich selbst erfüllende Prophezeiung. Dabei müht sich das Unternehmen redlich, gegen den eigenen Ruf anzukämpfen. Das aktuelle Projekt zum Bahnausbau in Nordostbayern etwa kann nun wirklich nicht als Negativbeispiel dienen. Ganz im Gegenteil. Es ist absolut ungewöhnlich, in einem derart frühen Stadium eines Großprojekts den Dialog mit der Bevölkerung zu suchen und anzunehmen. Es ist zu spüren, welchen Stellenwert die Bahn dem Einvernehmen der Bürger beimisst. Wer ihr nun vorwirft, sie würde das Projekt an den Leuten vorbei durchdrücken wollen, der verkennt die Hand, die die Bahn anbietet. Redet mit uns! Zeigt uns, was wir besser machen können! Der Aufruf, Alternativvorschläge einzubringen, ist kein PR-Gag oder eine lasche Beruhigungspille für betroffene Bürger. Die Gesprächskanäle sind offen. Wer sich hinter den üblichen Klischees versteckt, seinen Groll schluckt, der ist selbst schuld. Ob die Bahn dann die Stromtrasse auf die Wünsche der Bevölkerung hin anpasst, steht freilich auf einem anderen Blatt.
Florian Bindl