Erfahrung mit Demenz: Ein Angehöriger berichtet

Amberg
16.09.2022 - 13:15 Uhr
OnetzPlus

Viele Menschen im Landkreis Amberg-Sulzbach haben Demenz. Georg Pilhofer und Sebastian Schuster vom Ambulanten Gerontopsychiartrischen Verbund sowie Sonja Oleson von SEGA wollen aufklären. Die Geschichte eines Angehörigen spricht Bände.

Ein Angehöriger einer Demenzbetroffenen erzählt von seinen Erfahrungen. Er hat gemerkt, dass in diesen Fällen die Leitsätze gelten: "Geteiltes Leid ist halbes Leid" und "Geteilte Freude ist doppelte Freude".

Was tun, wenn sie sich bemerkbar macht? Wenn ein geliebter Mensch sich auf einmal verändert und damit das ganze bisherige Leben, das man bislang kannte, einer Neuausrichtung bedarf? Auch im Landkreis Amberg-Sulzbach sind viele Menschen von Demenz betroffen. Doch dabei geht es lange nicht nur um die verängstigende Erfahrung, wenn man sich plötzlich selbst fremd wird, wenn man merkt, dass das eigene Ich auf einmal Facetten annimmt, die man so zuvor nicht kannte. Es geht um mehr, wie Georg Pilhofer, Diplom-Sozialpädagoge und Gerontotherapeut beim sozialpsychiatrischen Zentrum in Amberg. "Demenz ist die einzige psychische Erkrankung, bei der die Angehörigen mehr leiden als die Betroffenen selbst." Zusammen mit seinem Kollegen, dem Sozialpädagogen Sebastian Schuster und Sonja Oleson, Leiterin der Geschäftstelle des Vereins zur Förderung der seelischen Gesundheit im Alter (SEGA), hat er zu einem Termin in der Sulzbach-Rosenberger Geschäftstelle des Vereins eingeladen. Alle drei haben sie sich unter anderem dem Ziel verschrieben, die Öffentlichkeit mehr auf das Thema Demenz aufmerksam zu machen, damit Betroffene und Angehörige verstehen, dass sie nicht alleine sind.

Im rund einstündigen Gespräch geht es um die Themen, wie Angehörige mit der Demenz ihrer Liebsten umgehen können, darum, welche Erfahrungen die drei Vertreter der Fachstellen mit Betroffenen und Angehörigen gemacht haben und welche besonderen Anforderungen an die auch 2022 noch deutlich zu wenigen Fachkräfte in Pflegeberufen in Bezug auf die Betroffenen von Demenz gestellt werden.

Nichts dabei aber ist dermaßen beeindruckend wie der Erlebnisbericht des Heinz W. (Name d. Red. geändert), einem älteren Mann und Familienvater, dessen Frau von Demenz betroffen war. Sonja Oleson hat die Erfahrungen des Heinz W. zu Papier gebracht. Alle Bereiche, über die Pilhofer, Schuster und Oleson im einstündigen Redaktionsgespräch gesprochen haben, die die Betroffenen selbst und deren nächste Angehörigen betreffen, finden sich in dieser Geschichte wieder.

Ein Angehöriger erzählt

Dabei geht es zunächst um das Gefühl, alles selbst hinbekommen zu können, dann auch darum, sich als Angehöriger zu schämen, wenn man merkt, den enormen Anforderungen nicht mehr alleine gewachsen zu sein. Vor allem ist die Geschichte des Heinz W. und seiner geliebten Frau auch eine, die davon erzählt, wie entlastend, gerade zu glücksbringend es sein kann, nimmt man die Hilfe anderer an. Schließlich ist es eine Geschichte darüber, wie man den Umgang mit der Herzensperson neu lernen kann, ohne die jahrzehntelange Liebe zu vergessen.

Zunächst: Der Schritt des Heinz W., sich mit Oleson darauf zu verständigen, die Geschichte seiner Frau und dadurch seine eigene zu Papier zu bringen und zu veröffentlichen kam zustande, als W. gelernt hatte, was es heißt, den Weg der Demenz mit seiner Frau zu gehen, ohne Angst davor zu haben, andere mit einzubeziehen. Mittlerweile ist seine Frau verstorben. An der Tatsache, dass es sich dabei um eine Geschichte der bedingungslosen Liebe und des uneingeschränkten Vertrauens handelt, ändert das nichts.

In seinem Bericht erinnert sich W. an die Anfänge: "Als die Diagnose Demenz kam, waren wir noch sehr entspannt. Was soll schon Schlimmes passieren? Wir waren seit Jahren ein gutes Team und haben viele Höhen und Tiefen erlebt. Ja, wir waren uns sicher, wir schaffen das." Die Kinder des Paares konnten sich zunächst nicht daran gewöhnen, dass die eigene Mutter, die Mama, die sie ihr ganzes Leben kannten, die sie großgezogen hatte, von Demenz betroffen sein sollte. W: "Wir dachten, wir lassen ihnen Zeit."

Wenn die Schatten überkommen

Anfangs schien es einen guten Weg zu gehen. Als die Hausschuhe einmal versehentlich in der Gefriertruhe landeten, konnte das Paar herzlich zusammen lachen. Doch es kam die Zeit, als die schönen Momente abnahmen und die finsteren diese ins Dunkel zogen. "Es gab kaum mehr ein Wir, sondern nur noch mich und die Demenz, die die Liebe meines Lebens veränderte", schreibt W. Die Frau, mit der er sein Leben aufgebaut hatte, die immer an seine Seite war, vergaß den Weg nach Hause, wusste nicht mehr, warum sie kein Auto mehr fahren sollte. Einfach nur ein Mobiltelefon zu bedienen, gelang ihr nicht mehr.

W. war an dem Punkt, an dem er sich eingestehen musste, dass es mit dem einstigen Duo, das sich zu zweit reichte, um allen Unwägbarkeiten des Lebens zu trotzen, so nicht mehr weitergehen konnte.

Wie Sozialpädagoge Sebastian Schuster erzählt, war es früher vor allem in der von ländlichen Strukturen geprägten Oberpfalz kein seltenes Phänomen, dass man den seltsam gewordenen Opa oder die schrullige und vergessliche Mutter gerne mal zu Hause versteckte und von der Öffentlichkeit ferngehalten habe. Die Zeiten und das Bewusstsein aber hätten sich gewandelt.

Für W. war das keine Option -trotz des immensen Gefühlschaos'. "In guten wie in schlechten Zeiten, ich hatte ihr das versprochen. Ich schämte mich für meine Gedanken, sie in ein Heim zu geben - damit es mir und ihr besser geht."

Der Punkt: Es geht nicht mehr

Eines Nachts stand seine Frau auf, glaubte Essen machen zu müssen. Dabei vergaß sie ein Geschirrtuch auf dem Herd. "Und es brannte. Nicht nur in unserer Wohnung, sondern es brannte in unserem Leben." Damit war die Schwelle erreicht, an der W. wusste, dass er zum Wohl seiner Frau als auch zu seinem eigenen Hilfe finden musste.

Wie die Geschäftsstellenleiterin von SEGA, Sonja Oleson, weiß, hegen viele Angehörige von Betroffenen lange die Hoffnung, dass sich die Lage auch wieder bessern kann und die Demenz nicht derart voranschreitet, dass sie das Leben einer ganzen Familie bestimmt.

Mit der Feuernacht hatte sich diese Hoffnung offenbar für W. zerschlagen. Weniger die Folgen der Demenz als vielmehr die eigenen plagenden Schuldgefühle waren es, die ihn heimsuchten. Als er auf SEGA aufmerksam wurde, war er zunächst unsicher. "Es kostete mich viel Mut dort anzurufen. Denn aus meiner Sicht war das ein Eingeständnis, dass ich versagt hatte."

Genau diese Erfahrung aber machen Pilhofer, Schuster und Oleson immer wieder. Jedoch sind sie davon überzeugt, dass nur dieser Schritt helfen kann, damit sowohl Betroffene als auch Angehörige ihr Lebensglück zurückbekommen können.

Das ist auch W. im Moment der Kontaktaufnahme bewusst geworden. "Zu meiner Überraschung wurde mir viel Verständnis entgegengebracht. "Bereits am Telefon erhielt ich einige Ratschläge zum einfühlsamen Umgang mit meiner Frau." Es folgte der Besuch einer Pflegeberaterin, die der Familie W. Tipps zur Verbesserung der Wohnsituation gab. "Außerdem erhielt ich Angebote zum Austausch mit anderen pflegenden Angehörigen", schreibt W.

Hilfe wirkt wie eine Befreiung

Besonders erinnert er sich an einen Moment: "Mein entscheidendstes Erlebnis war, als die Begleiterin kam und meine Frau einen ihrer unwillkürlichen Schreianfälle hatte." W. sei es derart unangenehm gewesen, dass er versucht habe die Begleiterin zum Gehen zu bewegen. "Sie beruhigte mich aber, ging zu meiner Frau, kniete sich vor sie und nahm ganz sanft ihre Hand.." Zu seiner eigenen Überraschung hörte seine lebenslange Partnerin sofort auf, zu schreien. Durch den Kontakt mit SEGA wurden W. laut eigener Aussagen Museumsausflüge und Spaziergänge für beide wieder möglich. "Meine Frau liebte die Kunst und Spaziergänge in der Natur."

Zeit des Schweigens bereut

Die Zeit hat. W. die eine große Liebe mittlerweile genommen. Das Leben aber, das die beiden "in guten wie in schlechten Zeiten" hatten, wird er immer im Herzen tragen.

Rückblickend auf seine Erfahrung mit der Demenz seiner Frau sagt W.: "Heute bereue ich nur eins - dass ich mich nicht vorher bemüht habe. Wie unnötig schwer habe ich es mir und meiner Frau gemacht. [...] Gerne würde ich die Leute wachrütteln und sie bitten sich frühzeitig mit den Themen auseinanderzusetzen. "

Info:

Hilfe für Betroffene und Angehörige von Demenzbetroffenen

 
 

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