Die Israelitische Kultusgemeinde in Amberg hatte am Dienstagabend zu einem Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November eingeladen. Rabbiner Elias Dray freute sich über viele Menschen, die daran teilnahmen und so ihre Verbundenheit mit der jüdischen Gemeinde zum Ausdruck brachten. Eindrücklich machten Schüler des Max-Reger-Gymnasiums in kurzen Spielszenen, aber auch in gefühlvoll vorgetragenen Texten und Musikstücken deutlich, womit an jenem Tag vor 86 Jahren angefangen hatte, was im Holocaust mündete.
Auch Rabbiner Elias Dray ging auf den 86. Jahrestag der Reichspogromnacht ein, nannte den 9. November 1938 den Beginn der systematischen Ermordung der Juden in Europa, als Menschen erst ausgegrenzt, später dann ausgehungert, erschossen, erschlagen und vergast wurden. Dray gestand, dass er vor 20 Jahren noch gesagt hätte, Deutschland habe eine gute demokratische Mitte. Heute sei das anders, fuhr Dray fort, erwähnte sowohl die AfD ("eine extrem rechte Partei, die sich ,judenfreundlich' gibt") genauso wie die extreme Linke, die ihren "Israel-bezogenen Antisemitismus offen propagiere". Ebenso bereite es ihm Sorgen, dass sich einige Muslime seit dem 7. Oktober, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel, in den sozialen Medien radikalisieren.
"Vorbote des Wegschauens"
Dray rief die Anwesenden dazu auf, sich weiterhin für eine stabile Demokratie einzusetzen. Einen Appell, den auch Oberbürgermeister Michael Cerny unterstrich. "Es geht auch um unsere Demokratie", sagte er und betonte, wie wichtig es sei, eben nicht gleichgültig zu sein ("Gleichgültigkeit ist der Vorbote des Wegschauens"), sondern einzutreten gegen Hass, Diskriminierung und Ausgrenzung und sprach davon, dass die Botschaft des 9. November sein müsse, "dass Antisemitismus, Rassismus und antidemokratische Bewegungen keinen Platz in unserer Gesellschaft haben".
Sehr eindrücklich auch die Worte, die Ludwig Spaenle, ehemaliger bayerischer Kultusminister und seit 2018 Antisemitismus-Beauftragter der bayerischen Staatsregierung, fand. Er schilderte eingangs, wie Menschen verfolgt, beschimpft, bespuckt und schließlich mit einem Messer angegriffen wurden. Das sei nicht vor 86 Jahren passiert, sondern vergangenes Wochenende in Deutschlands Hauptstadt. Die Opfer waren Spieler des jüdischen Sportclubs Makkabi Berlin. Spaenle berichtete davon, dass er vor rund einem Jahr den bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder nach Israel begleitet und dabei auch einen nahe des Gazastreifens gelegenen Kibbuz und auch das Gelände des Supernova-Festivals besucht hatte. Beides hatten Hamas-Terroristen am 7. Oktober 2023 überfallen. "Was ich dort gesehen habe, werde ich mein Leben lang nicht mehr vergessen."
"Kollektives Wegdrücken"
Seit dem 7. Oktober sei es auch in Deutschland wieder so, "dass Menschen sich nicht an Unis trauen, weil sie Juden sind". Israel werde häufig als das "Böse" dargestellt, unbegrenzter Judenhass würde verbreitet. Wie schon Rabbiner Elias Dray fand auch Spaenle deutliche Worte für die AfD: "Wer von Biodeutschen und Reimigration faselt, legt die Axt an unserem Gemeinwesen an." Am Ende seiner Rede kam Spaenle wieder auf die Reichspogromnacht zu sprechen. Alle hätten es seit dem 9. November 1938 gewusst, was mit den Juden passiere. Die Deportationen von Juden hätten am helllichten Tag stattgefunden. "Es war ein kollektives Wegdrücken und Wegschweigen."
500.000 Menschen seien aktiv am Holocaust beteiligt gewesen, seien später, nach Ende des Zweiten Weltkriegs und in der noch jungen Bundesrepublik Deutschland "völlig unbehelligt geblieben". Dass damals keiner gewusst habe, dass zum Beispiel der Nachbar bei der SS war, "erklärt mir keiner". Den Weg, der in den Holocaust geführt hatte, zeichnete Kreisheimatpfleger Dieter Dörner, der sich seit Jahrzehnten mit jüdischem Leben, insbesondere auch in Amberg, befasst, nach. Bis 1938 seien Juden gedemütigt und entrechtet worden, um sie zunächst freiwillig dazu zu bringen, Deutschland zu verlassen. Warum viele das nicht taten, erklärte Dörner mit einer Aussage der 103-jährigen Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer: "Wir haben uns das alles nie, nie, nie vorstellen können".
Dörner schilderte, wie die Reichspogromnacht in Amberg ablief, dass die Synagoge allein wegen der angrenzenden Häuser in der Altstadt davor bewahrt wurde, niedergebrannt zu werden. Von 83 Menschen jüdischer Abstammung seien in der NS-Zeit 30 durch Willkürmaßnahmen der Nazis umgekommen, weitere drei haben Suizid begangen.
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