Amberg
04.06.2024 - 16:54 Uhr

Kafkas Leben als Dialog

Franz Kafka ist vor einhundert Jahren gestorben und war doch selten so präsent wie dieser Tage. Die aus Amberg stammende Hannah Zitzmann und Co-Autor Andreas Belwe haben ihn sogar zum „Talk“ geladen. Oberpfalz-Medien hat nachgefragt.

Wie so vielen hat es Franz Kafka auch der klassisch ausgebildeten Sängerin und Autorin zu Anfang nicht leicht gemacht. Dann aber ermutigte die Biografie des Kafka-Vertrauten Max Brod zu einem neuen Anlauf, der ihr den Blick auf die Persönlichkeit und das Schaffen dieses außergewöhnlichen Schriftstellers erstmals geöffnet habe, schreibt Hannah Zitzmann auf Nachfrage von Oberpfalz-Medien.

Das „Verrätselte“, das sie früher an Kafkas Werk eher beunruhigt habe, sehe sie mittlerweile mit anderen Augen: „Er bildet mit seiner Kunst sehr differenziert und mit ungebrochener Kraft zur Wahrheit das Leben ab mit all seinen Unwägbarkeiten, Unstimmigkeiten, Abgründen und Grausamkeiten, aber eben auch mit Ausblick auf Hoffnung und Erlösung. Jedoch lässt er einen nie in Unglauben, dass dies zu erlangen sehr schwer, immer auf Umwegen bis fast unmöglich ist. Aber eben nur fast.“ Als favorisiertes Werk nennt Zitzmann „Das Urteil“, der erste Kafka, an den sie sich nach der Biografie gewagt hatte.

Die Beschäftigung mit dem zu Lebzeiten keineswegs gefeierten Schriftsteller inspirierte schließlich auch zu „Talk mit Kafka“. Mit ihrem Partner beim Projekt, dem Philosophen Andreas Belwe, verband Zitzmann bereits eine langjährige Zusammenarbeit beim von Belwe erdachten Format, historische Persönlichkeiten mittels szenischer, mit Originalzitaten bestückter Dialoge näher zu bringen. Anfangs als Sängerin mit von der Partie, erweiterte sich die Rolle hin zur Interviewerin und Co-Autorin.

Nicht nur das "Kafkaeske"

Für „Talk mit Kafka“ oblag Zitzmann unter anderem die Auswertung der von Belwe vorausgewählten Zitate, die zeitliche und biografische Einordnung, das Reduzieren auf tatsächlich in Frage Kommendes. Die im Sommer 2022 begonnene Entdeckungsreise in Kafkas Welt bestätigte ihren schon aus der Brod-Biografie gewonnenen Eindruck, dass „Kafka wohl auch eine gesunde, ja spielerisch humorvolle Einstellung gegenüber dem Leben hatte. Und so war es mir wichtig, im Buch eine Seite von Kafka herauszustellen, die eben nicht nur vordergründig das 'Kafkaeske' zeigen soll, sondern auch seine lebensbejahende Sicht und seine Auffassung von Möglichkeiten auf Hoffnung.“

Und ja, natürlich wäre sie dem Schriftsteller gerne persönlich gegenüber gesessen: „Ich glaube, von der Person Kafka ging ein großer Zauber aus. Sein Mut zur Wahrheit und sein sowohl realistischer als auch prophetischer Blick auf die Welt sind gerade für unsere Zeit wertvoll.“

Dass es überhaupt zur „Talk mit...“-Reihe kam, sei einem didaktischen, ästhetischen und philosophischen Beweggrund zu verdanken, lässt Andreas Belwe wissen: Mit einem Autor in Dialog zu treten, ermögliche es mit klassischer Weltliteratur an die heutige Lebenswelt anzudocken und neue Formen der Texterschließung zu entwickeln, die Zuhörerschaft folge einem Gespräch eher und aufmerksamer als einem mutmaßlich weniger unterhaltsamen Vortrag, die befragte Person trete plastisch und lebendig hervor, im Gespräch könnten neue Gedanken entstehen.

Die nagenden Fragen

Sein Weg zu Kafka führte über den Deutschunterricht: „Damals erschienen mir die Texte äußerst enigmatisch und daher immer faszinierend, auch wenn ich die meisten vermutlich gar nicht verstanden habe. Ich habe nur geahnt: sie entziehen sich einer Deutung, sie lassen sehr vieles offen, vermutlich weil die Welt selbst so undurchdringlich ist.“ Kafka sei aber weiterhin ein wichtiges Gebiet in seiner Leselandschaft geblieben: „... immer wieder kam ich darauf zurück, las noch Unbekanntes und mir bereits Bekanntes.“

Was Belwe dabei anspricht, sind die philosophische Seite bei Kafka und die sich aus seinen Werken ergebenden, nagende Fragen: „Was ist diese Welt? Finde ich eine Form des Verstehens? Fazit: Ich verstehe nicht, möglicherweise muss ich glauben.“ Kafkas Platz im Literaturkanon würde der Geisteswissenschaftler an der Reflexion über die voranschreitende Bürokratisierung und die Unausweichlichkeit einer rein diesseitig orientierten Lebensführung festmachen. Und an seiner Beharrung auf einer Mehrdeutigkeit, mit der er auf positive Weise die gefährliche Sehnsucht nach einer eindeutigen Welt enttäusche. Seine Kafka-Favoriten: „Das Schloss“, aber auch die Erzählung „Der Bau“.

Seine Rolle bei „Talk mit Kafka“ beschreibt Belwe als die des Sammlers und Spurensuchers. Dass er dazu nahezu das komplette Werk durchforstet habe, verrät er noch, über alle weiteren Details breitet er den Mantel des Schweigens – „Betriebsgeheimnis“.

Im Zuge der Recherche überrascht habe ihn die Skurrilität in Kafkas Werk, seine Selbstironie in den Tagebüchern und Briefen, aber auch die philosophische und spirituelle Dimension - und auch sein Humor. „Kafka ist in der Lage, in den Abgrund zu blicken und den Abgrund in sich hinein blicken zu lassen“, lautet Belwes Essenz.

Während Hannah Zitzmann durchaus verfolgt hat, was anlässlich dieses Kafka-Jahres alles erschienen ist, hielt sich Andreas Belwe bewusst davon fern: „Man muss hier selbst denken, entwickeln, Inhalte schaffen und sie formen. Hannah Zitzmann und ich wollten auch nach eigenen Vorstellungen eine Figur Kafka für die Bühne kreieren.“ Seit Ende März auch als Buch erhältlich.

Den generellen Reiz, dem Publikum über so ein Talk-Format große Namen menschlich näher zu bringen und so Lust auf eigene (Wieder-) Entdeckungen zu machen, bejaht Zitzmann: „Schon in der Arbeit für diese Stücke ist es für uns selbst ungeheuer faszinierend, wie nahe einem die jeweiligen Persönlichkeiten in ihrer Vielschichtigkeit und Tiefe durch diese Aufbereitung von Schriften über Leben und Werk rücken können. Durch die Tatsche, dass wir auch in unseren Bühnenaufführungen in die Rollen dieser besonderen Menschen schlüpfen dürfen, wird diese Erfahrung noch verstärkt. Ich glaube, das überträgt sich auf das lesende wie live miterlebende Publikum“. „Der Leseprozess allein oder das gedankliche Umsichtselbstkreisen (das monologische Denkselfie) hat nicht den Effekt wie das Gespräch. Vertieftes Nachdenken findet im Dialog statt, das hat Platon eindrucksvoll und wegweisend gezeigt. So würden wir uns natürlich auch freuen, speziell mit dem „Talk mit Kafka“ auch Schülerinnen und Schüler zu erreichen“, ergänzt Belwe.

Hintergrund:

Zu Personen und Buch

  • Hannah (Marianne) Zitzmann, Sängerin, Autorin, geboren in Amberg, aufgewachsen in Köfering, Abschluss an der Staatlichen Realschule Amberg, Ausbildung zur Augenoptikerin, klassische Gesangsausbildung an der Berufsfachschule für Musik Sulzbach-Rosenberg, Studium am Richard-Strauss-Konservatorium München und an der Hochschule für Musik Franz Liszt Weimar, Autorin und Darstellerin, der "Talk mit..."-Reihe, Gesangspädagogin. Hannah Zitzmann lebt in der Nähe von Wasserburg.
  • Andreas Belwe, Hochschullehrer für Philosophie und Wissenschaftsdidaktik an der Fakultät für Design der Hochschule München
  • Talk mit Kafka, mit Illustrationen von Carolina Schedlbauer, 156 Seiten, kartoniert, Verlag Königshausen & Neumann, 14 Euro
 
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