Es ist beinahe so, als ob es das Notstain, das Lokal, schon immer geben würde. Draußen sitzen schon am Vormittag die Menschen und frühstücken. Es ist ein Kommen und ein Gehen, ein Genießen. Drinnen herrscht geschäftiges Treiben, Speisen und Getränke werden nach draußen getragen, die Kaffeemaschine brummt und Eigentümer Daniel Hofmann ist ganz zufriedener Wirt. Fast könnte man vergessen, dass das Notstain gerade einmal ein paar Tage offen hat. Dass es ein Start war von Null auf Hundert, weil die Leute vom ersten Tag an gekommen sind, um hier zu sein.
Bewusst hat Fabian Schmidt, der Geschäftsführer der Wohnwertbau, mit dem Pressetermin zur Eröffnung des Notstain etwas gewartet, um den Hype um das Lokal nicht noch mehr anzuheizen. Fabian und Wolfgang Schmidt sowie Nico Sticke und ihre Angestellten haben aus dem alten Notstain-Haus, das in den letzten Jahren weniger für die hier einst von Jon Notstain verkauften Otto-Schuhe sondern für einen penetranten Geruch nach Moder und Verfall bekannt war, in eine Perle der Altstadt verwandelt. Es steckt viel Geld und Arbeit drin, unzählige Überstunden der drei Wohnwert-Partner und ihrer Leute, manchmal auch Ärger und Verdruss. Und trotzdem ist es rechtzeitig fertig geworden. "Wir haben in unseren Bauträger-Verträgen für die Wohnungen den 31. Juli stehen gehabt, den haben wir eingehalten", sagt Fabian Schmidt. Und wie versprochen ziert das alte Eingangsgitter mit dem "Notstain"-Schriftzug den Zugang zum neuen Lokal mit seinem Namen.
18 "lange" Baumonate
Denn das Notstain ist natürlich nicht nur das Lokal im Erdgeschoss und im ersten Stock. Oben drüber wurden Eigentumswohnungen geschaffen, deren Verkauf erst so aufwendige Sanierungen möglich macht, wie sie für das Notstain-Gebäude erforderlich waren. Viele Amberger sind hier während der vergangenen 18 Monate vorbei gegangen, haben geschaut und manchmal gefragt. Und zuletzt auch manchmal gezweifelt, ob das überhaupt noch was wird. "Wir haben erst den Innenausbau gemacht, die Fassade war dann am Schluss dran", erklärt Fabian Schmidt, warum es lange Zeit scheinbar nicht voran ging hinter dem Bauzaun in unmittelbarer Nachbarschaft der Martinskirche. Und dann ging es plötzlich wie auf einen Schlag – und die Sanierung war fertig.
Nico Sticke, der Spezialist für Mauerwerk und Verputze bei der Wohnwertbau, erinnert sich noch an jeden Felsbrocken, den sie aus dem Boden gebuddelt haben, um das Loch anschließend mit Beton zu füllen. Er kennt jede Wand, jeden Anker, den sie einbauen mussten, um die teilweise schon maroden Außenwände wieder stabil zu bekommen. "Da meinst du manchmal schon, es gibt kein Ende mehr." Besonders stolz ist Nico Sticke auf die beiden Herz-Jesu-Decken im Haus, die er gemeinsam mit einem Restaurateur in Kleinstarbeit hergerichtet hat. Die Vorbesitzer in Jahrhunderten waren da nicht zimperlich gewesen und hatten teilweise Schächte für Stromkabel in die historischen Decken geschlagen.
Wertvolle Herz-Jesu-Decken
Nicht ganz einig sind sich die Bauherren allerdings darin, welche der beiden Decken letztendlich schöner geworden ist. Denn im Erdgeschoss wurden nur die unterschiedlichen Farbschichten auf dem Putz abgekratzt. "Unser Architekt Urban Meiler hat irgendwann gesagt, wir sollen sie doch einfach so lassen", erzählt Fabian Schmidt. Er und Daniel Hoffmann finden diese Version die schönere. Im Obergeschoss dagegen wurde die restaurierte Decke anschließend neu gestrichen. Das mag hingegen Nico Sticke lieber. Dem es aber sehr wichtig ist, dass unter den Herz-Jesu-Decken, die an die Nutzung des Gebäudes als Benefiziatenhaus von St. Martin erinnern, noch die original Bohlen-Balken-Decke aus dem Erbauungsjahr 1475 zu finden ist. Die in anderen Räumen des Notstain übrigens – wieder sehr schön restauriert – offen liegt.
Allein über die Stunden, Tage und Wochen, die für die alten Holzdecken aufgewendet werden mussten, können Fabian Schmidt und Nico Sticke – Wolfgang Schmidt werkelt bereits auf der nächsten Baustelle der Wohnwertbau – viel erzählen. Da dürfen die Farbschichten der Jahrhunderte nicht grob abgeschliffen werden, um die Struktur der handbehauenen Balken nicht zu zerstören. Da muss schon denkmalgerecht gearbeitet werden, um das historische Ambiente möglichst original in die Jetzt-Zeit zu transportierten. Aber auch hier waren frühere Generationen eher nicht rücksichtsvoll. Im Obergeschoss zeigt Nico Sticke eine Stelle in der Decke, die im Zuge der Sanierung neu eingebaut worden ist. "Da haben die die Balken einfach durchgesägt und die Leitungen für eine Toilette oben drüber eingebaut."
Fast schon im Normalbetrieb
Doch jetzt ist alles fertig, die eineinhalb Jahre mit unliebsamen Überraschungen in einem uralten Haus, mit explodierenden Preisen und Mangel bei den Baustoffen sind fast schon wieder vergessen. Die drei Männer von der Wohnwertbau haben längst ein neues Projekt in der Altstadt gestartet, nichts Spektakuläres diesmal, aber natürlich wieder mit viel Arbeit verbunden. Und das Notstain, das Daniel Hoffmann mit einem Team von insgesamt 28 Leuten in unterschiedlichen Schichten betreibt, ist auch schon beinahe im Normalbetrieb angekommen. Gut, das bargeldlose Zahlen funktioniert noch nicht. Und die eigentlich vorgesehenen Sonnenschirme wurden auch noch nicht geliefert – aber was ist das im Vergleich zu dem, was hier in knapp eineinhalb Jahren geschaffen worden ist.
Vom Benefiziatenhaus zum modernen Lokal
- Erbaut um 1475 als Eckhaus an der Vilslände an der Schiffgasse – wahrscheinlich für Handel und als Lager
- Ab 1541 Umbau zum Benefiziatenhaus und Einbau der Herz-Jesu-Decken aus Stuck
- Ein Benefiziat ist ein Kirchenmensch, der kein festes Gehalt bezieht, sondern vom Erlös der Pfründe lebt, die ihm von der Kirche verliehen werden
- 1779 Abbruch des originalen Spitzgiebels und Einbau des runden Krüppelwalms
- Ca. 1950 bis 2012 verkauft hier Jon Notstain Otto-Schuhe, Timex-Uhren, Münzen, Fahnen und andere Dinge
- 2020 Kauf durch die Wohnwertbau und Beginn der Sanierung
- Juli 2022 Abschluss der Sanierung und Eröffnung des Lokals mit dem Namen Notstain
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