Im Kurwald bei Bad Neualbenreuth wächst Entschleunigung

Bad Neualbenreuth
05.10.2022 - 13:39 Uhr
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Bad Neualbenreuth hat seit Juli einen besonders zertifizierten Wald. Das gut 100 Hektar große Areal soll ein bewusst wahrgenommener Begegnungs- und Erholungsort werden. Aber wie funktioniert eigentlich so ein Kurwald?

Wenn Michael Rückl vom Kurwald erzählt, glänzen seine Augen. Der Mann, der seine Freizeit täglich an der frischen Luft verbringt, plädiert leidenschaftlich für den hohen Wert der heimischen Wälder in Sachen Erholung und Gesundheit. Rückl ist seit zwei Jahren Waldgesundheitstrainer. Gemeinsam mit Beate Ott führt er Kurgäste des Sibyllenbads und andere Interessierte stundenweise, ganze Tage oder während einer Aktivwoche über Stock und Stein, durch lichte Baumreihen, über moosbewachsene Pfade und auf romantische Lichtungen.

Am Wald bei Bad Neualbenreuth und seinen Begebenheiten hat sich seit Juli 2022 zwar nichts geändert. Und doch gibt es einen gravierenden Unterschied: Rückl begleitet seine Kursteilnehmer jetzt durch einen zertifizierten Kurwald. Den neuen Namen hat die Tourismusgemeinde Bad Neualbenreuth nicht etwa selbst erfunden. Er ist das Resultat einer vom Bayerischen Heilbäderverband über die Universität München durchgeführten Studie, an der 15 bayerische Kommunen teilgenommen haben, erklärt Rückl. Bad Neualbenreuth habe sogar das drittgrößte Waldgebiet aller Teilnehmer: "Und damit ist es der drittgrößte Kurwald Bayerns."

"So ein Quatsch"

Rückl und Beate Ott ließen sich als Waldgesundheitstrainer ausbilden. Sie gestalteten das Projekt mit, dessen Ergebnis die Zertifizierung ist. Ziel sei es, die heilsame Wirkung der Wälder des Freistaates in den Fokus der Menschen zu rücken, erklärt Rückl und lacht amüsiert, wenn er an die ersten Reaktionen in der Heimat denkt. „Die Freunde und Bekannten sagten, so ein Quatsch. Wir gehen eh in den Wald. Das ist unsere Heimat. Warum sollen wir nun plötzlich eine Führung mitmachen, damit uns jemand den Wald erklärt?“

Er sehe das auch so, sagt Rückl und nennt dennoch schlagende Argumente als Antworten. „Viele Leute laufen natürlich regelmäßig durch den Wald, aber ohne ihn richtig wahrzunehmen.“ Er bemerke auch bei den Waldspaziergängern ein schleichendes Nachlassen der Achtsamkeit für die Schätze der Natur. Man wolle den Blick der Erwachsenen schärfen, damit sie den Wald wieder wie durch die Augen von Kindern sehen. Aus Gewohnheit und im Alltagsstress sei dies verlorengegangen, vermutet Rückl.

Der Gesundheitstrainer nimmt den Zapfen einer Douglasie aus seinem Rucksack. Den, schmunzelt er, habe er immer dabei. Dann erzählt der Mann eine Kindergeschichte von einer Mäuseplage. Es sei eine Sage der amerikanischen Ureinwohner, erklärt er. Diese hätten die Natur um Hilfe gebeten. Dann habe die Douglasie die Mäuse in ihren Zapfen eingesperrt. „Hier sieht man die Schwänze der Mäuse herausspitzen“, deutet Rückl auf die zipfeligen Schuppen.

Im Egerer Stadtwald

108 Hektar groß ist der zertifizierte Kurwald, der am Parkplatz an der Staatsstraße nach Wondreb gegenüber des Egerer Waldhäusls beginnt. Das Areal im westlichen Teil des Egerer Waldes erstreckt sich Richtung Heidelberg und Ringelfelsen. Eine Beschilderung der 3,5 Kilometer langen Rundstrecke gibt es noch nicht, sie soll in den nächsten Wochen folgen. „Wanderer können den Kurwald auf dem Rundwanderweg entdecken oder ausgeschilderten Wegen folgen, je nach Kondition. Sie können aber auch reinlaufen über die moosbedeckten Pfade“, erklärt Michael Rückl. Ein großes Lob spricht der Gesundheitstrainer an die Stadt Eger aus. Denn was Bad Neualbenreuth als seinen Kurwald bezeichnet, befand sich seit Jahrhunderten im Besitz der Nachbarn. „Eger ist sehr aufgeschlossen für unsere Sache hier“, freut sich Rückl über die gute grenzüberschreitende Zusammenarbeit.

Die gute Begehbarkeit für alle Menschen sei ein Kriterium der Zertifizierung gewesen. „Action pur“ sei im Kurwald weiterhin nicht vorgesehen, doch einige Besonderheiten gibt es schon. Eine Hinweistafel soll Vorbeikommende am Wanderparkplatz demnächst auf den Kurwald hinweisen. Die bereits angebotenen Gesundheitstrainings-Module sollen erweitert werden bei Bedarf. „Wir haben Hängematten angeschafft. Sie werden zwischen die Bäume gehängt für Teilnehmer zum Hineinlegen, die Augen schließen und die Ruhe genießen.“ Für solche und andere Utensilien sollen verschließbare Arbeitskisten im Wald installiert werden. „Damit wir nicht immer alles mitschleppen müssen.“ Geplant sei auch die eine oder andere Sitzgelegenheit zum Rasten.

Urkunde vom Minister

Damit alles seine dokumentarische Richtigkeit hat, erhielt Bad Neualbenreuth die Auszeichnung für den „zertifizierten Kurwald“ von Bayerns Wirtschafts- und Tourismusminister Hubert Aiwanger auch schriftlich. Seither wandert der passionierte Waldgänger und Waldgesundheitstrainer Michael Rückl nach getaner Alltagsarbeit oder mit seinen Kurgästen durch einen Kurwald – und ist glücklich darüber, dass dieser Wald auch mit Titel das bleibt, was er immer war: Ein Rückzugsort für Körper, Geist und Seele, der jedem kostenlos zur Verfügung steht, der ihn braucht.

Wer eine zertifizierte Führung im neuen Kurwald buchen möchte, hat dazu jeden Freitag Gelegenheit. Vorläufig bis in den November hinein bietet die Gästeinfo Bad Neualbenreuth entweder das zweistündige Paket Waldschnuppern für 15 Euro pro Person oder das dreistündige Waldgesundheitstraining für 25 Euro an. Anfragen auch für Gruppen sind über Telefon 09638/933-250 möglich. Parallel dazu gibt es Angebote für Kurgäste im Sibyllenbad. Bisher ist die Nachfrage nach dem speziellen Walderlebnis noch nicht der große Renner, berichtet Michael Rückl. Derzeit wird das neue Jahresprogramm ausgearbeitet, das wieder ganze Waldtage und kürzere Schnuppereinheiten beinhalten soll. Langfristig ist auch an eine Nutzung des Kurwaldes im Winter gedacht: "Das hat ja einen ganz besonderen Reiz, wenn Schnee liegt und die Äste knacken."

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Bad Neualbenreuth25.08.2020
Hintergrund:

Projekt "Wald und Gesundheit"

  • Ziele: Geführte Präventionsprogramme sollen intensive Naturerfahrung ermöglichen und die Gesundheitswirkung des Waldes verstärken
  • Teilnehmer: Bad Alexandersbad, Bad Berneck, Weißenstadt, Bad Neualbenreuth, Bischofsgrün, Bad Kötzting, Bad Füssing, Bad Birnbach, Bad Reichenhall, Bad Bayersoien, Garmisch-Partenkirchen, Bad Wörishofen, Pfronten, Treuchtlingen
  • Projektträger: Bayerischer Heilbäder-Verband in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsministerium und der Ludwig-Maximilians-Universität München
  • Zuschuss: Rund 350.000 Euro vom Freistaat während der Studienphase
  • Heilwald: Nächste Stufe nach Kurwald mit gezielten Therapieangeboten für bereits erkrankte Personen
 
 

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