Flossenbürg
28.01.2020 - 17:39 Uhr

"Ein Selfie in der KZ-Gedenkstätte ist nicht automatisch ein Tabubruch"

Pflichtbesuche in KZ-Gedenkstätten für Schüler? Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, hält das für nicht notwendig. Im Interview spricht er über lustige Selfies und Kritik an seiner Arbeit - aber auch über Lob.

Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Bild: Gabi Schönberger
Jörg Skriebeleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg.

Sollen Schüler in Deutschland zu Besuchen in KZ-Gedenkstätten verpflichtet werden? Laut einer Umfrage spricht sich die Mehrheit dafür aus. Jeder Fünfte findet aber, dass der Holocaust in der deutschen Erinnerungskultur eine zu große Rolle spielt. Was sagt Jörg Skriebleit, Leiter der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg, dazu?

ONETZ: Sollen Schüler zu Besuchen in KZ-Gedenkstätten verpflichtet werden?

In den Lehrplänen aller bayerischer Schularten ist das Thema des Nationalsozialismus und der nationalsozialistischen Verbrechen fest verankert. In allen Lehrplänen wird auch der Besuch einer Gedenkstätte nachdrücklich empfohlen, für manche Schularten, beispielsweise Gymnasien, ist er verpflichtend. Wir halten diese Regelung für ausreichend, aber natürlich auch ausbaufähig, denn sie schließt auch ausdrücklich eine Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen an den Herkunftsorten der Schülerinnen und Schüler mit ein.

ONETZ: Der „KZ-Tourismus“ nimmt zu: Menschen, die in Gedenkstätten lustige Selfies machen, Grimassen schneiden. Gibt es das auch in Flossenbürg zu?

Die neuen Medien verändern natürlich auch das Verhalten der Besucher vor Ort. Ein Selfie ist aus unserer Sicht nicht automatisch ein Tabubruch oder pietätslos. Menschen treten damit vor allem auch in eine Kommunikation mit anderen. Erste Analysen unserer Social-Media-Profile bestätigen diese eher unaufgeregte Einschätzung. Wir planen nächstes Jahr ein eigenes Projekt zu digitalen Strategien in einer KZ-Gedenkstätte. Um die Frage aber noch einmal auf den Punkt zu bringen: Wir stellen in Flossenbürg keinen Anstieg pietätslosen, unangemessenen oder gar bewusst provozierenden Verhaltens fest.

ONETZ: Gefühlt nimmt auch die Kritik an KZ-Gedenkstätten zu: Spüren Sie mehr Gegenwind?

Ich arbeite nun seit über 20 Jahren an der KZ-Gedenkstätte Flossenbürg. Seither hat es immer starke Unterstützung, ja sogar eine deutliche Zunahme von Unterstützung gegeben. Dies haben nicht nur wir, sondern vor allem die vielen ehemaligen Häftlinge und ihre Angehörigen sehr stark so erlebt. Daher kommen viele von ihnen immer wieder gerne nach Flossenbürg – und dies trotz der für sie so traurigen und traumatischen Familiengeschichte. Es stimmt aber auch, dass es immer auch Gegenwind für unsere Arbeit gegeben hat. Und das Motto „Jetzt muss endlich mal Schluss sein“, das habe ich schon am Tag meines Dienstbeginns 1996 zu hören bekommen. Aber es waren, sind und bleiben Einzelstimmen!

ONETZ: Gab es in Flossenbürg Vorfälle, bei denen Menschen Führungen störten oder gar den Holocaust infrage stellten?

Ein ganz klares Nein. Diesen Einzelfall aus Niedersachsen können wir hier nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil, wir nehmen ein stark gestiegenes positives Interesse an unserer Arbeit wahr. Das melden hier alle aus unserem Team zurück. Bei all der notwendigen kritischen Aufmerksamkeit hinsichtlich der erfolgten Provokationen an anderen Orten ist mir ein Aspekt sehr wichtig: Wir erfahren seit einigen Jahren überwiegend und noch zunehmende positive, bestätigende, ja auch herzerweichend emotionale Reaktionen auf unsere Arbeit. Diese sind für uns ein Spiegelbild der Wertschätzung und Wichtigkeit unserer Arbeit in weiten Teilen der Gesellschaft. Und dies ist uns Ansporn, Verpflichtung und Ermutigung zugleich.

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