Maschinengewehre schicken ihr knatterndes Echo durch den Wald, der Wind treibt die Schneegraupel waagerechet ins Gesicht. An diesem Freitagvormittag gibt es sicher gemütlichere Orte in der Oberpfalz als den Truppenübungsplatz Grafenwöhr. Orte mit mehr Artenvielfalt als dieses von der US-Armee genutzte Gelände gibt es dagegen nicht. Es mag widersinnig klingen und doch ist es so: Seltene Tiere und Pflanzen "lieben" dieses militärische Übungsgelände im Westen des Landkreises Neustadt/WN.
Der Truppenübungsplatz und seine markanten Orte
"Auf dem Übungsplatz sind 3300 Tier- und Pflanzenarten bestätigt, 800 davon gelten als gefährdet oder sehr gefährdet", erklärt Carolin Kirchner. Der Übungsplatz biete damit mehr Artenvielfalt als mancher Nationalpark, bestätigt die Försterin, die beim Bundesforst in Vilseck unter anderem für den Bereich Naturschutz auf dem Übungsplatz zuständig ist. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Jochen Scharrer hat Kirchner zu einer Rundfahrt zu den biologischen Schätzen auf dem Platz geladen.
Versteckte Naturschätze
Tatsächlich ist es gut, sich bei der Suche nach der Artenvielfalt an die Experten zu halten. Denn der Laie übersieht leicht manchen "Naturschatz", den die Fläche zu bieten hat. Überhaupt ist die Artenvielfal nur ein "Nebenprodukt". "Unsere erste Aufgabe ist es, den Platz so zu erhalten, dass der Übungsbetrieb ungestört laufen kann", sagt Jochen Scharrer. Erst nachrangig kommen andere Ziele wie der Natur- und Artenschutz oder auch die Bewirtschaftung des Waldes.
Die Fahrt über matschige Panzerstraßen zeigt aber immer wieder: Diese Ziele stehen sich nicht im Weg. Im Gegenteil: Manchmal ergänzen sie sich sogar. Das vielleicht beste Beispiel sei die Gelbbauchunke, erklärt Kirchner. Dass die Amphibie hier auf dem Übungsplatz so gute Bedingungen vorfindet, hat sie den schweren Kettenfahrzeugen zu verdanken. "Die Gelbbauchunke braucht kleine, stehende Wasserflächen als Lebensraum", erklärt Carolin Kirchner. In den Spuren der Panzer bilden sich Pfützen, in denen sich die Unke wohl fühlen kann.
Bekannter als die Unke sind Übungsplatz-"Stars" wie Wolf oder Seeadler. Allerdings gibt es viele Arten, die weniger fotogen daherkommen, bei Experten manchmal aber noch mehr Begeisterung auslösen.
Seltener Neunfleckiger Prachtkäfer fühlt sich wohl
Der Neunfleckige Prachtkäfer ist dafür ein Beispiel, auf das Förster Jochen Scharrer verweist. Das Insekt galt in Bayern praktisch als ausgestorben – bis es bei einer Kartierung auf dem Übungsplatz nachgewiesen wurde. Ausgerechnet an einem sogenannten Kugelfangwall. Der Hang hat die Aufgabe Gewehrkugeln aufzufangen, die bei den Übungen ihr Ziel verfehlen. Weil hier scharf geschossen wird, betritt praktisch nie ein Mensch das Gelände. Der seltene Käfer fühlt sich ausgerechnet dort wohl.
Ähnliches gilt für einen Großteil des Waldes auf dem Platz. Auch der hat vor allem einen militärischen Zweck. Schon bei der Gründung durch die bayerische Armee im Jahr 1910 sei festgelegt worden, dass ein 1000 Meter breiter Waldstreifen als Lärmschutz anzulegen sei. Die Funktion, den Lärm für die Anlieger abzudämpfen, übernimmt der Wald noch heute. Doch nebenbei bietet er eben auch Lebensraum für viele, viele Arten. Das ändert sich nicht, obwohl der Wald sich selbst gerade stark verändert.
Normale Waldbewirtschaftung
Wie anderswo beschäftigt der Klimawandel und der dafür nötige Waldumbau die Förster des Bundesforsts. 80 Prozent des Forst bestehen heute aus Mischwald, vor 20 Jahren waren es nur 50 Prozent. Zudem wird der Wald kontinuierlich verjüngt. Dabei bleibt immer noch genug Raum für die "ganz normale" Waldbewirtschaftung. Im vergangenen Jahr habe der Bundesforstbetrieb 1,6 Millionen Euro mit dem geernteten Holz umgesetzt. Weitere 600.000 Euro kommen durch die Bejagung der Fläche hinzu.
Trotz der Bewirtschaftung dürfen hier im Wald aber auch Tothölzer stehen bleiben. In den abgestorbenen Bäumen findet sich bald so viel Leben, dass das Wort "Totholz" ziemlich irreführend wirkt. Oft macht der Specht den Anfang, treibt Höhlen ins schon morsche Holz. Diese werden dann auch vom Waldkauz und anderen Arten bezogen. An einem anderen toten Baum weist Försterin Kirchner auf viele kleine Löcher hin: "Das sind keine Einschüsse", sagt sie und lächelt. Tatsächlich haben sich hier Wildbienen eingenistet. 194 Bienenarten sind auf dem Gelände nachgewiesen. Wenn eine davon in einem toten Baum ihre Brut hinterlässt, zieht das manchmal andere Arten an, die sich von den Eiern ernähren. Diesen Parasiten folgen weitere Tiere. So entsteht ein Kreislauf hin zur Artenvielfalt.
Nistkästen für den Habichtskauz
Ein weitere Art für den Übungsplatz könnte bald schon der Habichtskauz werden. Der Naturschutzverein VLAB betreibt seit einigen Jahren im weiter nördlich liegenden Steinwald ein Projekt, dass die vor etwa 100 Jahren in der Oberpfalz ausgestorbene Eulenart neu ansiedeln soll. Inzwischen wurden mehrere Tiere im Umfeld des Übungsplatzes gesehen. Der Verein und der Bundesforst haben deshalb gemeinsam Nistkästen auf dem Gelände angebracht, um dem Kauz das Ankommen zu erleichtern.
Michaela Domeyer leitet das Kauz-Projekt für den VLAB. Auch sie schwärmt nach ihrem ersten Besuch vom besonderen Lebensraum. "Es ist schon auffällig, wie abwechslungsreich der Übungsplatz ist", schwärmt die studierte Forstwirtin, nachdem sie für die Nistkasten-Aktion erstmals auf dem Gelände war. Sie ist sicher, dass auch der Habichtskauz hier gut zurecht kommen würde.
Lärm stört Tiere nicht
Doch wieso stört der Übungsbetrieb, der Schießlärm die sensible Tier- und Pflanzenwelt nicht? Die Förster Kirchner und Scharrer zucken bei der Frage mit den Schultern. Die Übungsaktivitäten der Soldaten seien für die Tiere berechenbar, weil sie einem klaren Plan folgen. Der Lärm selbst störe sie gar nicht. Auf der anderen Seite fehlen unvorhersehbare Störungen, weil es keine Jogger, Mountainbiker oder Spaziergänger gibt. Die Pflanzen profitieren davon, dass auf dem Gelände keine Landwirtschaft betrieben wird. Hier sei praktisch noch nie mit Kunstdünger gearbeitet worden. Dazu komme aber auch, dass sich die US-Armee sehr wohl kooperativ gibt. Übungen werden mit dem Bundesforst abgestimmt, größere Schäden nach den Vorgaben der Forstexperten wieder behoben.
Alles zusammen trägt bei, aus dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr einen besonderen Ort zu machen, nicht nur für die Oberpfalz. Dazu kommen dann aber auch noch ganz besondere Plätze – so wie der Altenweiherer Ursprung, ein Weiher aus dem eine artesische Quelle Mineralien aus 30 Kilometer Tiefe an die Erdoberfläche gelangen lässt. Als vor einigen Jahren ein Geologe nachgewiesen hat, dass die Zusammensetzung mit der im Egerer Becken identisch ist, war das eine geologische Sensation, weiß Förster Scharrer. Und sogar von der cineastischen Vergangenheit des Platzes kann der Förster berichten. Gar nicht weit vom Ursprung, beim inzwischen verfallenen Hammerschloss Altenweiher, entstanden in den 1950er Jahren Szenen für den US-Film "Zeit zu lieben, Zeit zu sterben" mit Lilo Pulver. Der Streifen war für einen Oscar nominiert. Hollywood hatte schon damals ein Gespür für die richtigen Plätze.
Die Highlights des Übungsplatzes im Video
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