So ist es in der von Heribert Batzl verfassten „Geschichte der Stadt Hirschau“ zu lesen. Und exakt so schilderte auch Wilhelm Schorner, besser bekannt als der Urberl Helm, etwa als er 1989 seinen 100. Geburtstag feierte, seiner Gratulantenschar seine persönlichen Erinnerungen an diesen Tag. Mit 110 Jahren war er einst ältester Deutscher.
Am Freitag, 20. April 1945, also zwei Tage vor dem Einmarsch der US-Truppen, griffen amerikanische Flugzeuge um 9 Uhr die Stadt an und bombardierten Hirschau. Den größten Treffer bekam die Pfarrkirche ab. Aus dem oberen Teil der Südost-Ecke des Kirchturms wurde ein hausgroßes Stück herausgerissen. Die herabfallenden Steinbrocken zerstörten das halbe Kirchendach. Die US-Bomben verfehlten das nördlich der Kirche stehende Knabenschulhaus, in dem sich SS-Truppen aufhielten und wo jede Menge Munition gelagert war. Ein Treffer dort hätte nicht nur nach Meinung von Stadtheimatpfleger Sepp Strobl verheerende Folgen gehabt. Durch den Bombenangriff wurden außerdem einige Gebäude in der Innenstadt schwer beschädigt. Nicht nur Sachschäden waren zu beklagen, der Luftangriff forderte auch vier Todesopfer: Viktoria Wittmann, Wilhelm Kruse, Andreas Arnold und Johann Wagner.
Bei ihrem Einmarsch am 22. April stießen die US-Truppen auf keinen Widerstand. In der Innenstadt herrschte von 10.30 bis 12.30 Uhr Totenstille. Wilhelm Schorner, der in der Postgasse unweit des Rathauses wohnte, wagte sich als einer der wenigen Hirschauer um diese Zeit zum Marktplatz. Er sprach zwar kein Wort Englisch, konnte aber trotzdem Kontakt zu den US-Soldaten knüpfen. Die wollten von ihm wissen, wo sich die Bevölkerung aufhielt.
Versteck in Felsenkellern
Der Urberl Helm wusste, dass viele Einwohner Schutz in den Felsenkellern an der Mühl-, Kohlberger und Ehenfelder Straße gesucht hatten. Unter ihnen befanden sich auch Flüchtlinge aus Schlesien und Brandenburg, meist alte Männer und Frauen. Sie waren ab Ende Februar im Kloster der Armen Schulschwestern in der Mädchenschule untergebracht, die zum Hilfskrankenhaus umfunktioniert worden war. Trotz der Sprachbarrieren verstand Schorner, dass er die Amerikaner zu den Verstecken führen sollte. Originalton Urberl Helm: „Ich hob mi vorn auf d‘ Motorhaub'n von ein'm Jeep setzen möin. So san mir zu die Felsenkeller g'fohrn. Die Leit san dann schöi langsam assakumma.“
Die Amerikaner beschlagnahmten eine Reihe von Wohnungen; stellenweise kam es zu Plünderungen. Insgesamt verlief der Tag jedoch ziemlich ruhig. Dazu trug wesentlich das Ausgehverbot bei. Die Straßen durften nur von 8 bis 9 Uhr und von 16 bis 19 Uhr betreten werden. Der Ausgangssperre war wohl maßgeblich zuzuschreiben, dass die Hirschauer von einem Ereignis am 22. April 1945 so gut wie nichts mitbekamen – dem Tod des NSDAP-Kreisleiters Artur Kolb. Wie es dazu kam, dass dessen Leben in Hirschau im Anwesen Haas in der Grundstraße 11 endete, damit befasste sich niemand so intensiv und detailliert wie Kreisheimatpfleger Dieter Dörner. Seinen Recherchen ist es zu verdanken, dass so manche Gerüchte und Falschdarstellungen über den letzten Tag Kolbs widerlegt und seine letzten Stunden weitestgehend rekonstruiert werden konnten.
Unter Beschuss
Demnach fuhr Kolb am 22. April gegen 18.30 Uhr mit Polizeimeister Schuller und zwei Begleitpersonen zur Raigeringer Höhe, wo er gegen 18.45 Uhr ankam. Wie Bürgermeister Regler berichtete, meldete Schuller gegen 19 Uhr in der Polizeiwache, dass er den Kreisleiter nach Raigering fahren sollte. Gegenüber der Baumannvilla seien sie von amerikanischen Truppen angeschossen worden. Artur Kolb sei schwer getroffen worden und aus dem sich überschlagenden Wagen gestürzt. Schuller und seine Begleiter seien geflüchtet und hätten Kolb seinem Schicksal überlassen. Ein von Dr. Regler, dem Sohn des Bürgermeisters und späteren Stadtarchivar, am 19. April 1985 verfasster Zeitungsbericht wiederholt den Sachverhalt.
Dass Artur Kolb in Nähe der Baumannvilla angeschossen wurde, berichtet 1955 Rudolf Haberkorn in einem Pressetext. Als der Kreisleiter sich US-Soldaten gegenübersah, habe er Schuller den Befehl zum Wenden gegeben. Schüsse hätten den Wagen getroffen. Kolb sei in ein Feld gesprungen, habe mit seiner Pistole die Schüsse der Amerikaner erwidert und sei Sekunden später im Kugelhagel zusammengebrochen. Mit Frau Westiner findet sich eine weitere Zeitzeugin, die in der AZ vom 30. April 1975 davon berichtet, dass Kolb auf der Raigeringer Höhe „erschossen“ worden sei. Mit Hermann Lichtenberger berichtet ein weiterer Zeitzeuge, Kolb habe oben an der Raigeringer Straße einen Bauchschuss erhalten.
Viele Gerüchte um Artur Kolbs Tod
Demnach steht fest, dass Artur Kolb am 22. April 1945 auf der Raigeringer Höhe angeschossen wurde. In mehreren Berichten bestätigt ist sein Transport auf der Motorhaube des Jeeps über Raigering und Immenstetten nach Hirschau. Es ist davon auszugehen, dass Kolb da noch lebte und der Bauchschuss nicht unmittelbar zu seinem Tod geführt hat. Laut Sterbematrikel fand man ihn am gleichen Abend um 20 Uhr tot vor dem Haus Grundstraße 11 auf. In der Grundstraße lagerte eine Sanitätskolonne der Amerikaner. Das Anwesen Haas (Hausnummer 11) war als Leitstelle eingerichtet worden. Johann Haas berichtet, dass die Amerikaner den Leichnam noch am gleichen Abend in den Schweinekoben gebracht haben. Am 24. April zwischen 13 und 14 Uhr wiesen die Amerikaner den stellvertretenden Bürgermeister Johann Böller auf den Leichnam hin. Der Tote wurde zum Friedhof gebracht und von Bürgermeister Böller, der Kolb kannte, identifiziert. Auch Pfarrer Haffner von der Amberger Paulanergemeinde wurde über den Leichnam informiert.
Am 25. April erfolgte die Bestattung ohne Beisein Angehöriger und kirchliche Begleitung. Darstellungen von angeblichen Augen- und Ohrenzeugen, Artur Kolb sei an diesem Tag durch Hirschau geführt und dort erschossen worden, entbehren demnach jeglicher Grundlage. Gleiches gilt für das Gerücht, der Körper des NSDAP-Kreisleiters sei an einen Jeep oder Panzer gebunden und auf der Straße geschleift worden.
Keine Zeichen von Schlägen oder Schleifspuren
Am Dienstag, 24. April, nahm Dr. Ulrich Otto im Leichenhaus die Leichenschau von Artur Kolb vor. Über diese berichtete er am 23. Februar 1948 detailliert Kolbs Witwe. Darin heißt es unter anderem: „Der Tote trug lediglich eine (soweit erinnerlich braune oder olivgrüne) lange Hose mit Halbschuhen. Der Oberkörper war unbekleidet. Die Leiche war stark verschmutzt, offenbar durch das Liegen im Schweinekoben. Irgendwelche Zeichen von Schlägen (Hämatome oder dergl.) oder Schleifspuren waren nicht zu sehen. ... Der Tote hatte auf der rechten Bauchseite einen Durchschuss, offenbar von einem Infanterie-Geschoss. Die Wunde war sachgemäß mit amerikanischem Verbandsmaterial verbunden, der Verband vorn und hinten stark durchblutet. Das Gesicht war in keiner Weise entstellt, lediglich von der rechten Schläfengegend her stark mit verkrustetem Blut überzogen. Die rechte Schädelseite war stark blutig verkrustet. Erst nach langem Suchen konnte ich auf der linken Schädelseite ein Schussloch finden. Daraus schloss ich, dass der Schuss von links nach rechts gegeben sein musste. ... Die Leiche war starr, zeigte wenig Totenflecken.“
Schließlich erklärt Otto der Witwe, dass der Bauchschuss sicher den Tod herbeigeführt hat. Dass sich Kolb den Kopfschuss selbst beigebracht hat, halte er für unwahrscheinlich. Sicher habe er, nachdem ihm der Bauchschuss verbunden worden war, keine Waffe bei sich gehabt.
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